Text und Fotos Friedrich Klawiter |
CIRCUS PINDER Paris, 10.Januar 2009 www.cirquepinder.com |
Auf den Gastspielplätzen während der Saison gibt Pinder das Bild eines sehr großen Circus ab. Besucht man das Unternehmen in Paris, kann man der Werbeaussage „Geant European“ -der Gigant Europas- nur bedingungslos zustimmen. Größe der Zeltanlagen, Menge an Fahrzeugen und Anzahl der Raubtiere – hier wartet der Circus mit Dimensionen auf, die andernorts in Europa nicht erreicht werden. Das jährliche Gastspiel zur Weihnachtszeit in Paris dauert rund zwei Monate, in dieser Saison vom 8. November bis zum 11. Januar, und sieht etliche Tage mit drei und gar vier Vorstellungen täglich vor. In jedem Jahr wird der Eingangsbereich des Circus anders gestaltet. Neben dem neuen Gitterrohrbogen mit Leuchtschrift sind zwei überdimensionale aufblasbare Figuren, Weihnachtsmann und Elefant, platziert. Kasse, ein weiterer Frontwagen und ein alter Direktions Wohnwagenzug der Aera Spiessert vervollständigen das Ensemble. Ein ebenfalls neues Entreezelt beherbergt den alten, berühmten Bernard-LKW mit der Elektrozentrale. Vier Verkaufswagen fanden im langgestrecken Foyerzelt unter anderem ihren Platz. Das Sechsmasten-Chapiteau lässt sich nur mit dem Begriff 'gigantisch' treffend beschreiben. Es bietet rund fünftausend Besuchern in vier Logen- und einundzwanzig Gradinreihen – teils mit Schalensitzen bestückt – Platz. Seine Höhe ist immens, hier einen Vergleich zu einem anderen Chapiteaus zu ziehen ist fast nicht möglich. Mehr als zweihundertfünfzig Scheinwerfer und Scanner illuminieren die Show perfekt, jedoch ohne dass die Beleuchtung zum Selbstzweck mutiert. Aufwändig der gesamte Aufbau – alle Zugänge unter dem Gradin und das gesamte Foyer sind komplett mit roten Stoffbahnen und Teppichboden ausgekleidet. Die sehr zahlreichen Fahrzeuge und die Tierschau füllen den riesigen Platz. Zwei weitere Chapiteaus, während der übrigen Tournee die Spielzelte, ergänzen das Ensemble. In ihnen werden die Gäste der zahlreichen Weihnachtsgalas bewirtet. Aber nicht nur das Äußere des Circus begeistert und wird dem Slogan gerecht, auch das Programm zeigt sich eines 'europäischen Giganten' würdig. Anzahl sowie Qualität der allermeisten Darbietungen sind herausragend. Als klassisches Nummernprogramm in sehr ansprechender Präsentation geboten, lässt dieses Programm kaum einen Wunsch offen. Wir haben Gelegenheit die Soiree an jenem Samstag zu sehen. Das Gestühl ist fast bis zum letzten Platz besetzt, die Musik - leider kommt sie aus der Konserve – legt los und die Show beginnt ohne langwierige Präliminarien. Trockeneisnebel wabert über den Manegenboden und im gedämpften Licht füllen zunehmend mehr Löwen/innen in den Zentralkäfig. Ein wunderbares, heute leider viel zu selten zu sehendes, Bild. Dompteur Frederic Edelstein kommt in den Käfig, greift ordnend ein, die Tiger kommen dazu und dann formiert sich die große Pyramide. Im hell aufflammenden Licht zählt der faszinierte Zuschauer siebzehn Raubkatzen. Umfangreich ist das Repertoire spektakulärer Tricks die geboten werden. Sprünge und Hochsitzer wechseln mit Steigern und Fächer – alle Tricks die von einer 'großen gemischten' erwartet werden dürfen, werden geboten. Frederic Edelstein lässt die Löwen in einer Reihe abliegen und wirft sich im einem Hechtsprung mitten unter sie – ein Trick, den der Chronist seit den Tagen eines Pablo Noel bei Carola Williams nicht mehr sah. Auch der Sprung einer Löwin über den niederknienden Vorführer wird gezeigt. Abschließend präsentiert sich der Dompteur mit einem Löwenmann auf der Spiegelkugel und lässt sich mit donnerndem Applaus feiern. Auch in Frankreich kennt man die Castingshow „unglaubliches Talent“, Sophie Edelstein gehörte im vergangenen Jahr der Jury an, und zwei Sieger durften während der Weihnachtsgalas vor großem Publikum bei Pinder auftreten. 'Poete extravagant' nennt sich ein junger Mann der, ganz neu bei Pinder, während des Einlasses mit einem großen Ballon Animationen, ähnlich Versace mit seinen Würfel, macht. Während des Käfigabbaus unterhält er die Zuschauer auf originelle Art. An seiner Kopfbedeckung hat er eine lange Schlange von Luftballons in Pferdeform befestigt. Diese schweben apart durch die Luft, während er Runde auf Runde über Treppen und Gänge des Gradins dreht. Duo Jungle nennt sich die folgende Darbietung an den Strapatentüchern. In entsprechenden Kostümen und zu den Klängen von „You'll be in my heart“ zeigt das Artistenpaar weite kraftvolle Flüge. Nach zehn Monaten Abstinenz ist Sophie Edelstein mit ihrer grandiosen Magic-Show in die Manege zurückgekehrt. Mit Unterstützung von sechs Tänzern zeigt sie eine außergewöhnliche Vielzahl erstklassiger Tricks. Perfekte moderne Zauberrequisiten, gute Choreographie und flotter Ablauf kennzeichnen diese professionelle Show. Wie so oft in typischen Nummernprogrammen sind die Kontraste zwischen den aufeinander folgenden Nummern groß. Old Regnas, seit vielen Jahren in den Circusmanegen zu hause, zeigt seine wohlbekannte Tierkommödie. In der abgelaufenen Saison musste er einige Male verletzungsbedingt pausieren und bei genauem hinschauen sind Probleme mit dem rechten Knie erkennbar. Nun zeigt das zweite „unglaubliche Talent“ selbiges. Die junge Chinesin Liu Xiu brilliert als Schlangenmädchen. Sie zeigt sowohl Kontorsions- als auch Klischniggtricks und fasziniert mit absolut perfektem Verkauf und starker Trickfolge. Die Truppe Formen, unter diesem Namen treten die vier russischen Hand-auf-Hand Artisten auf, arbeitet eine ähnliche Trickfolge wie z. B. die Truppen Atlantis oder Waterworld. Treten aber im Gegensatz zu diesen eher introvertiert wirkenden Truppen, als coole Machos auf. Zu Joe Cockers „You can leave your hat on“ werfen sie zunächst ihre weißen Oberhemden ab, um dann ganz schlicht schwarz gekleidet, die Muskeln spielen zu lassen. Als Pausennummer dann, dies ist bei Pinder jahrzehntelang gehütete Tradition, das Flugtrapez. Der Aufbau des Sicherheitsnetzes verdeutlicht nochmals die Dimensionen des Chapiteaus. Annähernd fünf Meter über der Manege befindet sich das Netz und der Trapezapparat hängt etwa in der Höhe, in der in einem 'normalen' Chapiteau der höchste Punkt der Kuppel zu finden ist. Hier sind über dem Luftapparat noch einige Meter Platz nach oben. Die 'Flying Mendoza' zeigen eine Anzahl, darunter auch „dreifacher“ und Passage, gängiger Tricks des Genres, die allesamt sicher im ersten Versuch gefangen werden. Zu Beginn des zweiten Programmteils gibt es, fast schon revolutionär für ein Pinder-Programm, ein wenig Inszenierung. Mit sternförmigen Ballons bildet der 'Poete extravagante' einen hohen Bogen am Manegeneingang, die Bola-Artisten trommeln kurz, leiten so den Exotenzug, den Sacha Houcke vorführt, ein. Zuerst zeigen sechs Kamele eine kurze Laufarbeit. Anschließend sind je drei Kamele, Norwegerpferde und Lamas gemeinsam in der Manege zu sehen. Abschließend ein großes Karussell. Die Kamele liegen ab, ein Zebra in der Manegenmitte und drei Esel zwischen den Kamelen stehen auf ihren Tonneaus. Die Lamas laufen auf der Außenbahn die Kamele überspringend, während die Pferde auf dem inneren Ring gegenläufig unterwegs sind. Dieses anspruchsvolle Bild wird vom sehr ruhig, akzentuiert und mit viel Übersicht arbeitenden Dresseur ohne erkennbare Hilfe von weiteren Bereitern vorgeführt. Argentinische Folklore mit der Bola zeigen uns Norma und Daniel. Ihre Performance folgt den gewohnten Abläufen des Genres. Am Quadratreck sehen wir die Artisten der Truppe Zhuk. Starke Tricks vier starker Männer, die aber – wie fast alle Reckartisten – ihre Herkunft vom Turnsport nicht ganz verbergen können. Hatten wir bis hierhin ein hervorragendes Programm mit teils großartigen Leistungen gesehen, offenbarte sich nun, dass Pinder bei der Verpflichtung der Clowns bedauerlicherweise keinen Glücksgriff tat. Die drei Herren von der iberischen Halbinsel tragen einen großen Namen – Rudy Llata. Der Weißclown zeichnet sich durch sehr aufwendige, geschmackvolle Kostüme aus, ganz im Gegensatz zu beiden Augusten. Absolut eigen sind ihre Gesichter mit großem schwarz geschminkten Mund. Nun möchte der geneigte Leser wissen, welches Entree gegeben wurde? Nun – eine gute Frage, die Herren sind laut, kreischend, blödeln ein wenig herum und greifen, sehr zu unserer Erleichterung, bei Zeiten wieder zu ihren Instrumenten – ihre finale Musikeinlage ist schwungvoll und überzeugend. Die beiden Elefantendamen des Circus Pinder hören auf die Kommandos von Sacha Houcke. Er hat vor einiger Zeit ihr Training übernommen und inzwischen zeigen sie wieder das komplette Repertoire einer Elefantendressur. Eine faszinierende Arbeit hat die sehr junge Equilibristin Alona Jouravel einstudiert. Auf, in, an, um ein sehr spezielles einzigartiges Requisit zeigt sie ihre Handstände. Zwei Kuben aus Vierkantrohr stecken, mit Achsstummeln verbunden, ineinander. Der innere Kubus ist drehbar. So verändert das Requisit ständig seine Form und erlaubt der Artistin vielfältige Bewegungsabläufe. Ein echtes Highlight sind die Navas auf dem Todesrad. Supercool und sich ihrer Wirkung auf das Publikum voll bewusst, arbeiten die beiden Brüder viele der gängigen Tricks. Inzwischen gehören auch Salti auf der Außenbahn des Rades zu ihrem Repertoire. Beeindruckend die hohen Sprüngen zum Abschluss außen auf dem Kessel des schnell rotierenden Geräts, zu denen der Artist kräftig abspringt. Auch wenn Weihnachten bereits zweieinhalb Wochen vorbei ist, die aufblasbare Weihnachtsmannfigur muss zum Finale herhalten und 'Petit Papa Noel' schallt es aus den Boxen. Das Finale bei Pinder ist stets kurz und knapp. Sprechstallmeister Frederic Colnot, er ist während der gesamten Show ein eloquenter Ringmaster, stellt die Artisten vor. Ein wenig Feuerwerk, ein kurzer kollektiver Tanz und die Show ist aus. Nach rund drei Stunden, in denen ein leistungsstarkes facettenreiches Programm mit sehr vielen Nummern ohne Längen und Pausen präsentiert wurde, wird einem wieder bewusst, was echten guten klassischen Circus ausmacht, was ihn groß gemacht hat. Ein einziger Wunsch bleibt offen – diese erstklassige Vorstellung wäre wirklich perfekt, würde sie von guter Livemusik begleitet. Die geschickte Mischung der Genres, das Vorhandensein aller Großtiere – man fühlt sich an die großen Circusprogramme länger zurückliegender Jahrzehnte erinnert. Wobei selbstverständlich die Präsentation - die Qualität von Licht und Ton, Komfort und sonstiger Ausstattung - absolut auf der Höhe der Zeit angesiedelt ist. |