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Text  und Fotos Friedrich Klawiter
CIRQUE AMAR
Nancy, 17. September 2011

http://cirqueamar.free.fr
Amar - lautet einer der klangvollsten Namen  der französischen Circusgeschichte. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gründete der Algerier Ahmed Ben Amar den gleichnamigen Circus, der unter der Leitung seiner Söhne Ahmed, Abdelah, Mustapha und Cherif zwischen den beiden Weltkriegen zu den Spitzenunternehmen unseres Nachbarlandes  avancierte. 1968 zog sich der letzte noch lebende Gründersohn zurück und 1973 gingen die Namensrechte auf die Familie Bouglione über. Seit ca. achtzehn Jahren nun, reisen die Geschwister Elisa und Jean Falck zusammen mit ihrem Cousin André als Lizenznehmer des heutigen Rechteinhabers, Firmin Bouglione, unter der Firmierung „Cirque Amar“.
hat Die Familie Falck im Laufe der Jahre ihr Unternehmen zu einem der größten Reisecircusse Frankreichs ausgebaut. In ganz besonderer Weise wird hier Wert auf ein exzellentes Erscheinungsbild des Circus Wert gelegt. Die einmalige, dreiteilige, große und beeindruckende Prunkfassade beherrscht den Circusplatz. Zentrum dieser mehr als sechzig Meter breiten, äußerst prachtvoll gestalteten Anlage ist ein Sattelauflieger, in dem mittig die Kasse platziert ist. Breite Treppen führen zu dieser und den beiden Durchgängen empor. Die gesamte Front mitsamt der elegant geschweiften Klappenelemente ist üppig mit erhaben ausgeführten Ornamenten und Blütenranken gestaltet. Dutzende blauer und roter Lämpchen blinken in einem stetigen Rhythmus auf. Zu beiden Seiten schließen kunstvoll verzierte Zaunelemente an, deren hohe Säulen - gekrönt von dekorativen Löwenköpfen - aufwändig gestaltet sind.  Den Abschluss bilden zwei große  Anhänger, deren Fassadenelemente verziert und in Airbrushtechnik mit dekorativen Motiven bemalt sind.  Phantastisch wirkt die Fassade in der Dunkelheit mit ihren hunderten bunten Lichtern.

Wie in Frankreich üblich, wird der Circus auf der Straße in einer einzigen Fahrt umgesetzt. Mehr als fünfundzwanzig Renault Magnum Zugmaschinen, alle einheitlich in rot mit weißer Absetzung lackiert,  nehmen jeweils einen Sattelauflieger mit angekoppeltem Großraumanhänger mit auf die Reise. Der moderne und sehr gepflegte, alle Fahrzeuge glänzen in Ferrari rotem Lack, Fuhrpark verdient besondere Beachtung. Ins Auge fallen die neuen, aufwändig gebauten Transporter für Exoten und Pferde und der im gleichen Design gehaltene Raubtierwagen. Zwei weitere Käfigwagen mit angebauten Außengehegen werden von einer Anzahl weißer Tiger bewohnt. Einen vierten Wagen teilen sich ein Löwenpaar mit einer Gruppe Hundskopfaffen. In endlos lang wirkender Reihe stehen die Mannschaftsunterkünfte aufgereiht. Selbstverständlich sind Küche, Speisewagen, Waschmaschinen- und Sanitärwagen vorhanden. Ein Schulwagen wird gleichfalls mitgeführt und der große Auflieger mit der Publikumstoilette verfügt über ein behindertengerechtes Abteil. Ebenfalls nicht oft anzutreffen ist eine eigene Restauration in der Menagerie.
Die Wohnwagenkonvois der Familie Falck sind imposant. Die neueste Errungenschaft stellt ein riesiger Auflieger mit beidseitigen Doppelauszügen und einem ausklappbaren Balkon im Heck dar. Ein optisch passender riesiger Anhänger ergänzt das Mobilheim.

Die Rückseite des Platzes wird von einem langestreckten Stall eingenommen. Zebras, Kamele, Lama und Ponys sind hier in Einzelboxen untergebracht. Ein separater Stall für die Freiheitspferde und ein weiterer für die beiden afrikanischen Elefanten komplettieren das Ensemble.

Das Chapiteau ist ein für heutige Verhältnisse riesiger, hoher rot-weiß gestreifter Viermaster. Über der langen Kuppel hängt, mit zahlreichen Lämpchen illuminiert, der Namenszug des Circus. Acht hohe Gittermast-Quaderpools verleihen dem Zelt seine Silhouette. Das Vorzelt wird von einem Gitterrohrbogen überspannt. In seinem Innern finden der Restaurationswagen sowie ein Wagen für den Souvenirverkauf Platz.
Im Chapiteau wird der meiste Raum vom neunreihigen modernen Bankgradin eingenommen. Die Logen zeigen sich in aufwändiger Gestaltung. Auf dem roten Untergrund sind vielfältige goldfarbene Ornamente, die den Namenszug umrahmen, angebracht. Die Ornamente der Seitenwände sind mit Elefantenköpfen dekoriert. Komplettiert wird die Einrichtung des Chapiteau von einem modernen dreiteiligen Artisteneingang über dessen mittleren Teil die fünf Musiker des Orchesters ihren Platz haben. Mit erstklassiger Live-Musik begleiten sie in weiten Teilen das sehenswerte Programm.
An zwei Quertraversen zwischen den Masten sowie am Artisteneingang sind die zahllosen Scheinwerfer der Beleuchtungsanlage installiert. Phänomenal ist deren exzellenter Einsatz. In großartiger Weise werden die Auftretenden in Szene gesetzt.

Monsieur Loyal Stephan Gistau tritt in die Manege und begrüßt das Publikum. Versiert und charmant führt er durch das Programm.
Eröffnet wird die Spielfolge mit der Raubtierdressur von John Falck. Sechs Tiger werden in einer abwechslungsreichen Trickfolge präsentiert. Hochsitzer am Platz, Pyramide, überspringen eine hochsitzenden Tigers, Teppich und Vorwärtssteiger werden u. a. gezeigt.
Nachdem der Zentralkäfig abgebaut ist, demonstrieren die Eleven des Circus ihr Können. Die sieben Nachwuchsartisten präsentieren eine bunte Melange aus parterrespringen, seilspringen und bauen eine finale Pyramide.
Vom kubanischen Nationalcircus Circuba kommt die Truppe Scala. Die acht Artisten/Innen sind mit zwei Darbietungen präsent. Zunächst überzeugen sie mit ihrem Können am „Russischen Barren“ Sichere und elegante Ausführung kennzeichnet die Vielzahl der Sprünge. Eine Passage zwischen zwei Stangen und ein dreifacher Salto markieren die Höhepunkte des Auftritts.
Im zweiten Teil arbeitet die Truppe am Schleuderbrett. Sämtliche Sprünge werden ohne Longe und Hilfsmittel ausgeführt. So erfolgt der Sprung zum Vier-Mann-Hoch ohne Stützstange, genau wie in den Handstand zum Drei-Mann-Hoch. Abschließend wird ein dreifacher Salto in einen Sessel geboten.
Clown Versace ist bei uns von seinem mehrjährigen Engagement in einem deutschen Circus bestens bekannt. Nun ist er mit seinen Reprisen im Cirque Amar zu sehen. Mit dem überdimensionalen, luftgefüllten Stoff-Würfel, den er über das Gradin rollen lässt, wird der Käfigabbau überbrückt. Als „Supermann“ tanzt er im aufblasbaren Kostüm durch die Manege und demonstriert einen einarmigen „Handstand“.  Die etwas rührselige Szene,die auf Kinderseelen recht grausam wirken kann, mit den drei „Elefanten“ wurde logischerweise vor der Nummer der echten Dickhäuter platziert. Im zweiten Teil werden, mit sehr langatmiger Einleitung, vier Herren die Hocker unter dem Allerwertesten weggezogen. Abschließend tanzen vier Skelette zusammen mit Versace, alle im Piratenlook, zu YMCA  an Stangen. Diese Szene blieb als einzige im Vergleich mit dem Vorjahr optisch unverändert. In allen anderen sind neue Kostüme und Requisiten zu beobachten.

André Falck präsentiert die Cavallerie des Cirque Amar - ein vierfaches Groß-und-Klein. Weiße Araber und dunkelbraune Ponys bieten größenmäßig und farblich einen reizvollen Kontrast. Die abwechslungsreichen und interessanten Lauffiguren, es werden eine Reihe andernorts nicht zu sehender und interessanter Abläufe gezeigt, werden mit großer Präzision flott und fehlerfrei dargeboten. Drei Araber demonstrieren das flechten, bevor einige Da Capo-Steiger die Darbietung beschließen.
Christina Roy hat ihre Kür an den Strapatentücher in eine kleine Geschichte gebettet. Kraftvoll agiert die Artistin hoch in der Kuppel und versteht es ausgezeichnet ihre Tricks und Abfaller publikumswirksam auszuführen.
Das Duo Orange Love zelebriert seine sinnlich inspirierte Handstandakrobatik in Form eines Flirts. Der weibliche Part Marina wird in vielfältigen Varianten von ihrem Partner Sergej, er führt die meisten Handstände aus, „getragen“.
Sergej bietet in seiner Solonummer den artistischen Höhepunkt des Programms. Anounciert als „L' Homme drapeau“ - die menschliche Fahne -  arbeitet er an einem etwa zwei Meter hohen, langsam rotierenden Mast. Handstände auf dessen Spitze werden mit zahllosen Abstehern kombiniert. Sehr lange Zeit verharrt der Artist, sich nur mit den Händen am Requisit haltend, in der Luft und beweist enorme Kraft. Geschmeidig und elegant werden die Übergänge zwischen den verschiedenen Positionen ausgeführt.

Vor der Pause präsentiert John Falck die beiden afrikanischen Elefanten des Cirque Amar. Die beiden Dickhäuter, sie wurden vor einigen Jahren von Alfons Quaiser übernommen, beherrschen ein umfangreiches Repertoire an Laufarbeit und akrobatischen Tricks. So sitzen sie u. a. auf ihren Tonneaus hoch. Auch das Spiel auf einer Mundharmonika ist einem der beiden geläufig.
Eine fulminante Show hoch in der Kuppel bieten die Flying Silva am Trapez. Drei Fliegerinnen und zwei Flieger beherrschen eine breite Palette der gängigen Tricks. Selbstverständlich gehört auch ein, sicher gefangener, dreifacher Salto sowie eine Passage zum Gezeigten.
Als Finalnummer präsentiert die Daniel Diorio Truppe ihren Splitting Globe of Speed. In rasanter Fahrt jagen auf laut dröhnenden Motorräder zunächst einer, dann zwei und endlich drei Fahrer durch die Gitterkugel. Ungläubige Reaktionen sind im Gradin auszumachen, wenn der untere Teil der Kugel schlussendlich abgesenkt wird und die drei Artisten im oberen Bereich ihre Runden ziehen.
Das Finale fällt recht kurz aus. Die Mitwirkenden stellen sich entlang der Piste auf, die Motorradkugel verbleibt in der Manegenmitte, und Stephan Gistau verabschiedet sich bis zum nächsten Jahr.
Cirque Amar, als einer der größten Circusse Frankreichs, präsentiert ein unterhaltsames, stimmiges klassisches Programm in hervorragender Athmosphäre. Unverzichtbare klassische Tierdressuren werden in perfektem Wechsel mit erstklassiger Artistik, u.a. sind zwei große Truppen im aktuellen Programm engagiert, geboten.
Aber nicht nur das Programm, sondern auch das außergewöhnliche Material, völlig zu Recht kann man vom schönsten Circus Frankreichs sprechen, des Cirque Amar machen einen Besuch dieses Unternehmens immer wieder höchst lohnenswert.