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Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRQUE AMAR
Valenciennes, 06. September 2014

http://cirqueamar.free.fr
Amar - einer der klangvollsten Namen der französischen Circusgeschichte feiert sein 90jähriges Bestehen. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gründete der Algerier Ahmed Ben Amar den Circus. Seine Söhne Ahmed, Abdelah, Mustapha und Cherif ließen es zwischen den beiden Weltkriegen zu einem Spitzenunternehmen unseres Nachbarlandes avancieren. Nachdem sich der letzte noch lebende Gründersohn zurückzog, gingen die Namensrechte 1973  auf die Familie Bouglione über. Seit ca. zwanzig Jahren reisen nun die Geschwister Elisa und John Falck zusammen mit ihrem Cousin André als Lizenznehmer des heutigen Rechteinhabers, Firmin Bouglione, unter der Firmierung „Cirque Amar“.
Die Familie Falck hat ihr Unternehmen im Laufe der Jahre zu einem der größten Reisecircusse Frankreichs ausgebaut und legt in ganz besonderer Weise Wert auf ein exzellentes Erscheinungsbild des Circus.
Die einzigartige, riesige dreiteilige Prunkfassade erstreckt sich über die gesamte Vorderseite des Circusplatzes. Das Herzstück des äußerst prachtvoll gestalteten Arrangements ist ein Sattelauflieger in dem mittig die Kasse platziert ist. Zwei breite Treppen führen zu ihr und den beiden Durchgängen empor.
Die gesamte Front einschließlich der elegant geschweiften Klappenelemente zeigt üppigen Schmuck mit erhaben ausgeführten Ornamenten und Blütenranken. Dutzende blauer und roter Lämpchen blinken in einem stetigen Rhythmus auf. An beiden Seiten schließen sich kunstvoll verzierte Zaunelemente an und deren hohe, reich verzierte Säulen von dekorativen Löwenköpfen gekrönt sind. Den Abschluss bilden zu beiden Seiten große Anhänger deren Fassadenelemente mit Ornamenten verziert und in Airbrushtechnik mit Motiven bemalt sind. Ihre volle Pracht entfaltet die Front nach Einbruch der Dunkelheit im Schein unzähliger, rhythmisch blinkender Lichter.
Selbstverständlich wird auch dieser große Circus, wie in Frankreich allgemeine Praxis, in einer einzigen Fahrt auf der Straße umgesetzt. Mehr als fünfundzwanzig einheitlich in rot, mit weißen Absetzungen lackierte Renault Magnum und Scania Zugmaschinen stehen bereit, jeweils einen Sattelauflieger mit angekuppeltem Jumboanhänger oder mehrere Anhänger zu transportieren.
Der moderne gepflegte Fuhrpark verdient besondere Beachtung. Alle Fahrzeuge glänzen in ferrarirot und in großen gelben Lettern prangt der Circusname auf den Seiten. Der aufwändig gebaute Raubtierwagen steht samt angebautem Außenkäfig der aktuellen Dressurgruppe zur Verfügung. Eine weitere Einheit beherbergt einen weißen Löwen. Die Transporter der Pferde und Elefanten entsprechen gleichfalls modernen Standards und zeigen ein besonderes Dekor. Die Wohnwagen sind in einem großen Karree auf einem separaten Platzteil aufgefahren. Schulwagen, Mannschaftsküche, Waschmaschinen- und Sanitärwagen sind gleichfalls vorhanden.
Aus den imposanten Wohnwagenkonvois der Familie Falck sticht ein riesiger Auflieger mit beidseitigen Doppelauszügen und einem ausklappbaren Balkon im Heck heraus. Ein optisch passender riesiger Anhänger ergänzt das Mobilheim.
Eine Platzseite wird von einem langestreckten Stall eingenommen. Zebras, Kamele, Lama und Ponys sind hier in Einzelboxen untergebracht. Ein separater Stall für die Freiheitspferde und ein weiterer für die beiden afrikanischen Elefanten komplettieren das Ensemble.

Natürlich setzt auch der Cirque Amar die in Frankreichs Circussen allgegenwärtigen Werbefahrzeuge, die mit Musik und Lautsprecheransagen auf das Gastspiel aufmerksam machen, ein. Einer der beiden Kleintransporter trägt eine Nachbildung des Kanonenschusses, der andere einen großen Clownskopf und eine Elefantenfigur. Das dritte Fahrzeug ist ein komplett mit Motiven beklebter Kastenwagen.

Ein mächtiges Vier-Masten Chapiteau hält den Blick gefangen und über seiner langgestreckten Kuppel hängt von zahlreichen Lichtern illuminiert der Namenszug. Acht Quaderpools formen die enorm hohe Kuppel und das moderne Design der rot und weißen Streifen gibt der Fläche Struktur. Das optische passende Vorzelt wird von einem hohen  Gitterbogen überspannt. Es bietet den beiden Verkaufswagen der Restauration auf. Durch einen Tunnel führt der Weg zu den Holztüren, die das Zelt abschließen.
Das Chapiteau-Innere zeigt sich höchst prachtvoll. Ein neunreihiges, mit optimalem Höhenversatz versehenes Schalensitzgradin füllt den großen Raum. Mit raumhohen roten Planen schließt die oberste Reihe ab. Acht riesige plastische goldene Löwenköpfe blicken auf die Besucher herab. Üppige goldene Ornamente zieren die roten Logen und rahmen den Namenszug ein. Die Ornamente der Seitenwände sind mit Elefantenköpfen dekoriert.
Der breite Artisteneingang nimmt den hinteren Teil des Chapiteau ein. Basis der Konstruktion ist ein großer Anhänger mit Kofferaufbau. Dieser lässt sich hydraulisch hochfahren und wird so zum nach vorn offenen Orchesterpodium. Die „untere Etage“ ist, breiter als die Empore, mit einem roten Samtvorhang versehen und von vier goldenen Säulen strukturiert.
Die fünf Musiker begleiten die Show zu großen Teilen live und sorgen mit ihrem voll tönenden Sound und den schwungvollen Arrangements typischer „Circusmelodien“ für eine erstklassige Begleitung des Programms.
Die Lichtanlage und deren Einsatz lässt sich kurz und knapp mit einem Wort beschreiben – exzellent. An zwei Quertraversen zwischen den Masten, an den Mastfüßen sowie am Artisteneingang sind die zahllosen Scheinwerfer und Kugelköpfe installiert. Phänomenal wie die auftretenden Artisten in äußerst eindrucksvoller Weise in Szene gesetzt und unterstützt werden.

„Monsieur Loyal“ Stephan Gistau, er wird die Show als eloquenter Manegensprecher begleiten, begrüßt die Besucher zum Jubiläumsprogramm, dass unter dem Motto „Magistral“ steht. Mit dem französischen Circusmusik-Klassiker „Vive le Cirque“ beginnt die, als rasant und lückenlos ablaufendes Nummernprogramm angelegte Show.

Der Zentralkäfig steht schon während des Einlasses bereit und John Falck startet die Programmfolge mit seiner Raubtierdressur. Sechs weiße und ein normalfarbener Tiger bilden eine Pyramide, sitzen in der Manegenmitte und am Platz hoch, zeigen einen Fächerlauf und liegen ab. Der souverän präsentierte Auftritt bietet eine umfangreiche Trickfolge, in der auch eindrucksvolle Vorwärts- und Rückwärtssteiger zweier Tiger nicht fehlen.
Jean und Mickael Falck, die Söhne von André Falck und Angie Biasini, bringen eine turbulent ablaufende Kaskadeur-Nummer in die Manege. Mit gekonntem Spiel auf ihren Trompeten eröffnen sie ihren Auftritt, in dem sich alsbald der bekannte „Kampf“ um einen Stuhl und einen Tisch entspinnt. Zahlreiche Handstände, Saltos und Kaskaden folgen temperamentvoll ausgeführt aufeinander. Nach dem Sprung durch einen mit Papier bespannten Reifen trägt Jean ein Trikot in den Farben der Tricolore über dem Kostüm.
Gianluca Ranzan wird von zehn prachtvollen Aras in die Manege begleitet. Zwei von ihnen starten zu Beginn des Auftritts aus der Gardine heraus zu etlichen Flugrunden durchs Chapiteau während der Tierlehrer die übrigen Schützlinge auf ihren Sitzen platziert. Auf einem Tisch zeigen die intelligenten Papageien ihr Können. Unter anderem hissen sie eine Flagge, fahren Rollschuh und platzieren einen Ball in einem Korb. Akrobatisch wird es bei einer Rolle und dem laufen über die ausgebreiteten Arme eines Zuschauers. Ein Schwarm kleiner goldfarbener Sittiche landet auf den Armen von Ranzan. Abschließend beeindrucken drei Paare Aras mit langen Flügen über dem Zuschauerraum.

Unter der eleganten Peitschenführung von Angie Biasini läuft in der besuchten Vorstellung die Cavallerie des Hauses Amar ab. Je drei weiße Araber und dunkelbraune Ponys interagieren temperamentvoll in variantenreicher Weise. Viele Lauffiguren spielen geschickt mit dem Größenunterschied, z.B. laufen die Ponys unter den Arabern hindurch, und den kontrastierenden Fellfarben der Pferde. Eine Reihe gelungener Da Capo Steiger beenden die Darbietung.
In großartiger Aufmachung findet die leistungsstarke Darbietung von Christina Roy statt. Zwei Ballettdamen leiten die Auftritt an den Tuchstrapaten ein und ein herausragendes Lichtdesign und optimale Musikbegleitung unterstützt die Artistin in erstklassiger Manier. Zahlreiche perfekt ausgeführte, spektakuläre Abfaller werden aus extremer Höhe gestartet. Trickstärke und Präsentation heben diese Darbietung deutlich vom Gros des Genres ab.
Jongleur Ricky Rech hat seinen Auftritt zu einer Hommage an den „King of Pop“ Michael Jackson gestylt. Im stilechten Outfit beginnt er seinen Auftritt zu entsprechenden Melodien, die von CD eingespielt werden, mit einem gekonnten „Moonwalk“. Geschickt versteht er  kleine Bällen und bis zu fünf silberne Keulen zu manipulieren. Zu den zahlreichen verschiedenen Routinen die Ricky Rech sicher beherrscht, gehört auch das besonders schnelle drehen der Keulen. Acht Ringe werden fehlerfrei in der Luft gehalten und immer wieder lockern Tanzsequenzen seine Trickfolge auf. Zum Abschluss der Nummer sehen wir Ricky Rech mit vier eindrucksvoll lodernden Fackeln jonglieren.
Vor der Pause ist eine Truppe der Diorios im Globe of Death zu erleben. Die drei verwegenen Fahrer bieten die bestens bekannten Abläufe und brillieren, im Publikum für schweißnasse Hände sorgend, zum Abschluss im sich öffnenden Globe.

Mit dem Fliegenden Trapez der Truppe von Félix Galéoti beginnt der zweite Programmteil. Je zwei FliegerInnen arbeiten sehr hoch in der Kuppel und in weitem Abstand vom Sicherheitsnetz ihre zahlreichen Sprünge. Sehr sicher werden die unterschiedlichen Saltos ausgeführt und allesamt in den Händen des Truppenchefs gelandet. Mit einer elegant ausgeführten Passage findet der Auftritt seinen gelungenen Abschluss.
John Falck bringt die beiden afrikanischen Elefanten des Cirque Amar in einer schwungvollen Dressurfolge in den roten Ring. Abwechslungsreiche Laufarbeit mit einer Vielzahl an Tricks wird in gelungener Weise mit akrobatischen Übungen, wie z. B. Hochsitzern auf den Tonneaus kombiniert.
Die Schwestern Vanessa und Laetitia Roy brillieren mit einer furiosen Hand-auf-Hand Arbeit. Anspruchsvolle, kräftezehrende Tricks werden elegant und harmonisch dargeboten. Mit starken Leistungen und hervorragendem Verkauf, erstklassiges Licht und stimmige musikalische Begleitung, werden die Zuschauer in Bann geschlagen.
Die Pedro Rivelinos Clowns sind mehrfach im Programmablauf präsent. Mit einer musikalischen Reprise wird der Käfigabbau überbrückt und mit einer Hutjonglage unterhalten sie die Zuschauer während das Netz der fliegenden Menschen abgebaut wird. Ihr großes Entree bietet viel Musik auf Trompeten und Saxophon. Das Geplänkel der Auguste mündet sich in eine „Boxschule“, in der es zunächst am Punchingball heftig zur Sache geht. Unter dem lebhaften Gekreische der Kinder tragen die beiden Protagonisten schließlich ihren Boxkampf aus.

Für das diesjährige Jubiläumsprogramm wird als Sensations- und Werbenummer „l' Homme Canon“ - der menschliche Kanonenschuß – geboten. Das riesige Requisit steht auf der rechten Zeltseite. Dort wurden im Gradin einige Unterzüge ausgespart, so dass die „Kanone“ dort Platz findet. Ein Fangnetz überspannt die linke Seite der Manege und reicht bis weit über die Zuschauerränge. Mit entsprechend großem Brimborium wird der Stunt vorbereitet. Das gesamte Ensemble kommt die Treppenaufgänge hinab in die Manege. Die Herren schwenken US-amerikanische Flaggen und die Damen treten als Chearleader auf. Daniel Diorio steigt auf das Requisit, legt seinen Sturzhelm an und nimmt seinen Platz im Innern der Kanone ein. Nachdem der Countdown vom kompletten Auditorium herunter gezählt wurde, fliegt der Artist nach einem lauten Knall im hohen Bogen mittig in das Netz.
Das Finale fällt in diesem Circus traditionell knapp aus. Die Artisten, leider bleibt die Direktion fern, stellen sich entlang der Piste auf und Stephan Gisteau verabschiedet ein sichtlich zufriedenes Publikum.
Der Cirque Amar, als einer der größten Circusse Frankreichs, präsentiert ein unterhaltsames, klassisches Programm in hervorragender Athmosphäre. Unverzichtbare erstklassige Tierdressuren werden in perfektem Wechsel mit hervorragender Artistik geboten. Nicht nur das Programm, sondern auch das umfangreiche, liebevoll gestaltete Material bietet einen großen Schauwert; man kann Amar getrost den Titel „schönster Circus Frankreichs“ verleihen. Ein Besuch dieses großen Circus ist immer wieder höchst lohnenswert.