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Text und Fotos Friedrich Klawiter
Cirque Alexandre Bouglione
Brüssel, 20. September 2008

www.bouglione.be
Der Herbst ist in Belgiens Hauptstadt die „Zeit der Circussaison“, wie die örtliche Presse in Artikeln und im Internet titelt. Ausdrücklich wird auf die Premiere des mehrmonatigen Gastspiels von Alexandre Bouglione hingewiesen, im gleichen Atemzug aber auch die anderen, in Belgiens Hauptstadt gastierenden Unternehmen erwähnt. Dies sind zur Zeit Zingaro, Pauwels sowie Baroness und in Kürze auch Cirque de Soleil. In diesem Jahr sind die Bougliones während achtzig Tagen, vom 19. September bis zum 7. Dezember, präsent. Dies ist zwar nun nicht wirklich die klassische Zeit für Weihnachtscircus, aber laut Nicolas Bouglione nicht anders möglich.

Eine Gastspielbewilligung wird in Brüssel für maximal drei Monate gewährt. Das Hauptproblem stellt allerdings die Platzfrage dar, da das Gelände am Atomium wegen anderer Großveranstaltungen spätestens am 10. Dezember geräumt sein muss. Die Bougliones sind vor einigen Jahren von dem traditionsreichen Circusplatz Brüssels, der Place Flagey, in den Park von Laeken umgezogen, weil es an alter Stelle mittlerweile nicht mehr genügend Raum und für die Besucher keinerlei Parkmöglichkeit gibt. Dort im weiten Park, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Atomium bieten sie ganz großen Circus. Das Äußere des Circus, genauso wie das Programm unterscheiden sich erheblich von dem, was während der übrigen Tournee gezeigt wird. Die Spitzenstellung in der belgischen Circuslandschaft wird nachhaltig und eindrucksvoll untermauert.

Einladend der Anblick des Circus auf der weiten Rasenfläche in der milden Herbstsonne. Die neue, prunkvolle illuminierte Fassade mit dem bunt bemalten Oberlichtwagen dahinter ergibt einen dekorativen Blickfang. Der nostalgische Kassenwagen hat seinen Platz unter einem Zeltdach gefunden und das Chapiteau, dass ansonsten auf der Tournee genutzt wird, fungiert hier als Vorzelt und beherbergt ein Karussell sowie die Restauration, außerdem einen weiteren Oberlichtwagen, der als Empfangssalon der Direktion dient. Gespielt wird in einem größeren Viermaster, dessen Inneres mit viel Atmosphäre versehen wurde.

Kompakt fügen sich Gradin und Logen um die Manege, lassen die Besucher unmittelbar am Geschehen teilhaben, und viel dunkelroter Stoff, mit goldenen Borden versetzt, strahlt Wärme aus. Exzellent und die Darbietungen wunderbar unterstützend, ohne dabei zum verspielten Selbstzweck zu mutieren, wird die mit zahlreichen Scannern bestückte Lichtanlage eingesetzt. Ein Wermutstropfen trübt leicht das große Glück und steht der Perfektion der Präsentation im Wege - die Musik, sehr gut passend zum Geschehen in der Manege gewählt, kommt aus der Konserve. Im Gespräch berichtet uns Nicolas Bouglione, dass in letzter Zeit viele Besucher nach mehr Tierdarbietungen verlangt hätten. Um diesem Verlangen nach zu kommen, hat der Circus im Laufe des Jahres seinen Tierbestand stark erweitert. Die hauseigene Raubtiernummer pausiert zur Zeit, da sie nach einigen Jahren gleicher Präsentation umgestaltet und neue Tricks eingearbeitet werden.

Wortgewaltig wie stets, das Publikum einbindend und für Stimmung sorgend, kündigt Monsieur Loyal Pierre Paillé den “Cirque des Cirques - Alexandre Bouglione” an. Die ersten Nummern sind zu einem fulminanten Showblock zusammengefasst und werden unter dem Motto "die siebte Generation Bouglione" in aufwändig gestaltetem Zigeunerlook präsentiert. Zehn, zwölf Personen sind daran beteiligt, wechselweise in ihren Nummern oder im Ballett. Flott, dicht und lückenlos inszeniert, rollt die Show ab, es gibt immer etwas zu sehen und das Publikum geht begeistert mit. Nach der Balletteinleitung bringt Nicolas Bouglione die vier Hinterwälder Ochsen in die Manege, die vom Schweizer Circus Medrano gekauft wurden - Die Tiere waren verschiedentlich auch Deutschland, zuletzt im Landauer Weihnachtscircus, zu sehen. Mit Begeisterung werden sie vom Publikum aufgenommen, wirken sie auf die Großstädter wahrscheinlich genauso exotisch wie Tiger oder Giraffen. Sue Ellen Sforzi-Bouglione folgt mit der Hohen Schule, bevor Reprisenclown Rony mit einem komisch präsentierten Pony für die ersten Lacher sorgt. Ebenfalls vom Circus Medrano stammen die beiden Esel und Lamas, die Angela Milla-Canestrelli anleitet. Ihre Trickfolge gipfelt im Sprung der Lamas über einen Esel. Die Saison in Skandinavien ist beendet und so ist Anouschka Bouglione mit ihrem Mann wieder im elterlichen Circus zu sehen. Ihre gut verkaufte Hula Hoop-Show, Spitzentrick ist das drehen von drei Feuerreifen, kommt sehr gut an und wird vom Publikum gefeiert. Vom Circus Amar wurden die vier Schecken-Pferde gekauft, die unter der Peitschenführung von Riccardo Canestrelli ihre Figuren laufen. Mit einer Ballettszene aller Beteiligten im Stil eines Finals endet dieser sehr schön gestaltete Showblock.

Für das Hauptstadtgastspiel wird in jedem Jahr eine besondere Attraktion verpflichtet, so dieses Mal Clown Mimi, der bisher in Belgien noch nicht zu sehen war. Unnachahmlich und absolut überzeugend, wie er den hektischen, den Ablauf störenden Circushandwerker gibt und in Pierre Paillé den idealen ‘autoritären’ Gegenspieler findet, der lange die artistischen Ambitionen des Störers unterbinden kann. Seine Wandlung zum ‘Handstandequilibristen’ wird an diesem Abend, mehr oder weniger freiwillig, von einem ‘Pascal’ unterstützt und begeistert auch dieses Mal wieder das Auditorium. Mit schwebender Leichtigkeit tanzt Katie Moreno-Borman auf dem Seil. Die junge, grazile Frau kommt vom gleichnamigen Pariser Circus und begeistert mit charmant vorgetragenen, trickreichen Evolutionen. Sie startet mit Spitzentanz, nutzt Hula Hoops und Einrad und glänzt mit vielfältigen Tanzschritten, Sprung und Spagat.

Die große afrikanische Elefantenkuh Jenny hört seit Jahren auf die Kommandos von Nicolas Bouglione. Ethel Biasini agiert ausdrucksstark und kraftvoll an den Strapatentüchern und zeigt Abfaller aus großer Höhe bis in Bodennähe. Zusammen mit ihrer Schwester Dania eröffnet sie mit Antipodenspielen den zweiten Programmteil. Die beiden waren ebenso bereits im Frühjahr in dieser Manege zu sehen, wie Dahlia Laurent mit einer ‘Hohen Schule am langen Zügel’ ausgeführt von einer deutschen Dogge sowie anschließender ‘Freiheit’ von fünf Dalmatinern. Diese gefällige Darbietung, die sich völlig von der üblichen Hundepräsentation abhebt, ist die einzige Tiernummer im zweiten Teil. Längen kennt dieses Programm keine, da außer Mimi mit seinen ‘Störungen’ auch Ronnie mit verschiedenen Reprisen die wenigen Umbaupausen zu überbrücken versteht.

So auch, als die Alex Ramien Truppe ihren Golden Globe in Stellung bringt und mit rasanten Motorradstunts  das spektakuläre Highlight vor der Pause setzt. Sie sind die einzigen Artisten, die wir ein zweites Mal sehen. Mit ihren Läufen und Sprüngen auf dem Todesrad bieten sie einen weiteren spannungsgeladenen Auftritt und stellen die Finalnummer. Einen ungewöhnlichen neuartigen Luftapparat nutzt Aimeé, die Ehefrau Mimis, an Stelle der bisherigen Strapaten. In Form eines Stuhles, der an der Quersprosse der Rückenlehne hängt, vereint das Gerät Solotrapez und Kubus. Anmutig und kraftvoll nutzt sie geschickt die erweiterte Aktionsfläche mit einer Vielzahl eleganter und kraftvoller Posen. Auch sie erzählt eine kleine Geschichte - wie eine ‘normale’ Hausfrau zu einer eleganten Trapezartistin wird und wechselt dazu am Trapez zweimal das Kostüm. Einer der artistischen Höhepunkte ist der Auftritt von Reinaldo Monteiro auf der Rola. Trickfolge und Verkauf, hier stimmt einfach alles. Wenn er dann zum Abschluss den Turm aus acht Säulen und Rollen besteigt, ist im Gradin kollektives Luftanhalten angesagt.

Das ansprechend gestaltete Finale folgt der üblichen Regie mit Einzelvorstellung und kollektivem Tanz, ohne über Gebühr ausgedehnt zu werden. Sehr lang anhaltender, starker Applaus zeugt von der Begeisterung der Besucher und nur sehr langsam leert sich das Gradin.