Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCO MEDRANO - Casartelli
Mailand, 27. November 2009

www.medrano.it
Im Großraum Mailand, die Stadt ist die zweitgrößte Italiens, sind ganzjährig eine Reihe an Circussen anzutreffen.  Zur Zeit gastieren zudem zwei große Circusse zeitgleich direkt in der Stadt. Circus Medrano hat auf einem Brachland in einem südöstlichen Stadtteil direkt an einer  Hauptverkehrstrasse aufgebaut. In ganz großer edler Aufmachung präsentiert sich das Unternehmen den Besuchern. Im Dunkeln zu den Vorstellungen, diese beginnen um siebzehn bzw. einundzwanzig Uhr, erstrahlt der gesamte Circus in hervorragender Illumination.  Der markante kombinierte Durchgangs-, Kassen-, Bürowagen trägt in meterhohen Lettern unter dem Namenszug den Slogan „Indimenticabile“ -  unvergesslich, unvergleichlich.

Schon einige Meter vor der Kasse beginnt der Holzboden, der mit roten Teppich belegt, bis zum Sitzplatz nicht mehr verlassen werden muss. Hinter dem dekorativen Holzzaun mit seinen Lichterbögen sind zwei etwa gleich große Chapiteaus errichtet. Das linke, komplett weiße mit der hohen Kuppel dient hier als Vorzelt. Der Verkaufswagen mit breiter Veranda, Toilettenwagen und ein feiner Salonwagen der Familie sowie weitere Stände sind im Innern angeordnet. Die Fläche der Manege ist abgegrenzt, hier gibt es während des Einlasses diverse Animationen.
Das zweite Chapiteau zeigt sich in weiß/blau, wobei das Dekor auf dem Dach vier stilisierte „M“ darstellt. Seine Kuppel ist außergewöhnlich geformt - sieht aus, als würden die zahlreichen Fahnen aus einer Öffnung herausragen.

Der umfangreiche moderne Fuhrpark des Circus ist ganz in weiß lackiert, mit dezentem blauen Dekor und roter Beschriftung versehen. Er wirkt sehr gepflegt und besteht neben Sattelzügen auch aus vielen 'Circusanhängern'.

Der langgestreckte moderne Stall bietet den zahlreichen Pferden und Exoten in geräumigen Einzelboxen Platz, zudem stehen großzügige Freigehege zur Verfügung. In einem weiteren Stall sind die drei Elefanten beheimatet. Mit einer sehr massiven Metallkonstruktion wurden hier ebenfalls Einzelboxen geschaffen. Ein großer Wagen steht zur Hälfte einem Nashorn zur Verfügung, während der andere Teil ein Hubdach hat und von zwei Giraffen bewohnt wird. Es war ein recht warmer Novembertag  mit deutlich über zehn Grad Temperatur, trotzdem waren die Rotlichtlampen im Wagen eingeschaltet und die Giraffen trugen Decken. Sämtliche Wege in der Tierschau sind dick mit Kies aufgeschüttet, so dass die Besucher diese auch bei Schmuddelwetter wieder mit sauberen Schuhen verlassen.

Das Innere des Spielzeltes ist komplett in einem einheitlichen warmen Rotton gehalten. Absolut Raum beherrschend wirkt der riesige, üppig mit goldenen Ornamenten verzierte Artisteneingang. Darin integriert ist das Podium für die sechs Musiker des Orchesters, dass die Vorstellungen leider nur partiell live begleiten darf. Die Logen mit rotem Textil und goldenen Verzierungen, eine Leuchtpiste mit verspielten Ornamenten und ein stark gegliedertes Gradin sind die weitere Einrichtung. Drei Reihen Einzelstühle, fünf Reihen Schalensitze, acht Reihen Bänke - im vorderen Bereich gepolstert, hinten lackiertes Holz - ohne Rücken lassen die verschiedenen Sitzplatzkategorien deutlich werden. Die Lichtanlage zeigt sich 'up to date' und wird virtuos, geschickt den Programmablauf unterstützend, eingesetzt.
Der rote Teppich außerhalb der Zelte ist natürlich pavillonartig überdacht, wird beidseitig üppig von Grünpflanzen gesäumt. Während des Einlasses begrüßt 'Otto' - einer der Clowns - in eleganter großer Abendgarderobe im Chapiteaueingang das Publikum. Bei diesem Publikum ist man sich nun nicht so ganz sicher, aus welchen Beweggründen es den Circus aufsuchte. Es herrscht eine fortwährende Unruhe und im Gradin. Die beiden Damen direkt hinter uns jedenfalls lassen sich in ihrer lebhaften und lauten Unterhaltung keine Sekunde von dem Geschehen in der Manege ablenken.
Die Leuchtschwerter, die als Souvenir verkauft werden nerven stark. Nicht nur, dass sie bunt blinkend mit Ausdauer von den Kindern geschwungen werden, zudem geben sie eine nervende Geräuschkulisse ab. Wir erleben auch hier, wie in allen italienischen Circussen die wir bisher besuchten, das Spektakel der Fotografentruppe mit Tieren und Micky Maus-Darsteller, dass auch während der Show unbeirrt weitergeht. Zudem hat man während des Einlasses Gelegenheit die Kinder mit Mister Dalmatin' s Hunden ablichten, bzw. eine Runde auf einem seiner Ponys reiten zu lassen. Dann wird der Pkw des Werbepartners aus der Manege gerollt und erstaunt nimmt man das Tischchen mit dem Goldenen Clown darauf wahr, dass in der Mitte platziert ist.

Die Ouvertüre des Orchesters - Catherina Valente Hits, ein wenig Elvis Presley und ein Operetten-Potpourri werden intoniert - startet die Spielfolge. Eine Stimme aus dem Off gibt wortgewaltige Erklärungen zum Goldenen Clown ab, dann füllt sich die Manege. Die große Gruppe der Figuranten schafft geschickt die Illusion eines Zigeunerlagers. Braian Casartelli führt einen weißen Araber am langen Zügel um die Manege, lässt ihn zwei Mal die Kapriole vollführen.
Nun führen die jungen Damen einen Zwölfer-Zug weißer Araber in die Manege und wir erleben eine elegante Freiheit die, teils im Zusammenspiel mit dem Ballett, vielfältige Figuren in hervorragender Ausführung zeigt. 'Unendlich viele' Da Capos in verschiedensten Variationen, darunter Rundsteiger und Vorwärtssteiger von sieben Pferden, verleihen dem Auftritt Glanz und vermitteln das Flair des 'Besonderen'.
Am Schwungtrapez glänzt Stephanie Hones mit vielfältigen Abfallern und Pirouetten. Longengesichert absolviert sie mit viel Power ihre ansprechende Kür.  Auch das wenig später folgende Luftballett, eine hauseigene Produktion, von vier jungen Frauen als 'Carribbean Girls' zur Musik aus Fluch der Karibik an Strapatentüchern ändert nichts daran, dass die Aktivitäten in der weiten Kuppel überschaubar bleiben.
Die in der Werbung groß herausgestellte Flugtrapez-Darbietung der 'Flying Michael' war nur am ersten Wochenende zu sehen. Zum gleichen Zeitpunkt waren vertragsgemäß  Petra und Roland Duss mit ihren Seelöwen ausgeschieden. Auch der langjährige Sprechstallmeister Luciano Bello trat an jenem Abend, die Ansagen erfolgten durch Braian Casartelli aus dem Off, nicht in Erscheinung, genauso wie das extravagante, in Monte Carlo höchstdekorierte 'Pas de Deux' nicht gezeigt wurde.
Die Hunde und Ponys von Mister Dalmatin sorgen auch in dieser Manege für Heiterkeit und den gleichen Anklang findet Ventrologe Kevin Huesca, dessen Nummer fast identisch zu der seines Bruders Kenneth angelegt ist. 

Ganz hervorragend die beiden Clowns Otto und Vladi. Es sind zwei wunderbar skurrile, liebevoll gestaltete, konträre Charaktere die die beiden verkörpern. Otto gibt den perfekt gestylten, ziemlich tuntigen Beau in Abendgarderobe, wo hingegen Vladi als älterer leicht vertrottelter Requisiteur daher kommt. Neben bewährten -  Kraftjongleur, schwebende Jungfrau - werden auch eigene - Kampf mit einem „Gitterteil“ des Zentralkäfigs - Reprisen gearbeitet. Das Können und die Spielfreude der beiden sind groß und heben ihre Auftritte deutlich von anderen ab. Leider nur arbeiten sie, ablaufbedingt, fast immer direkt  vorn an der Piste, so dass die allermeisten Zuschauer nur von hinten ihr Spiel verfolgen können. Äußerst positiv ist uns aufgefallen, dass es bei sieben verschiedenen besuchten Circussen in Italien nur eine einzige Reprise - Messerbrett - gab, zu der ein „Freiwilliger“ in die Manege genötigt wurde.
Als Pausennummer wurde der 'Globe of Speed' der 'Crazy Riders' platziert. Die  jungen Brasilianer zeigen auf ihren Motorrädern die üblichen Abläufe. Nachdem zunächst zwei, dann drei Fahrer durch die Stahlgitterkugel jagen, folgt als Höhepunkt die fahrt zu fünft.

Mit einer großen gemischten Raubtiergruppe, sechs Tiger und fünf prächtige männliche Löwen, vorgeführt von Redi Montico kommt eine weitere erstklassige Dressurnummer zu Gesicht. Sehr elegant im roten Frack, ruhig und souverän dirigiert er seine Katzen zu vielfältigen Tricks. Pyramide aller Tiere, Löwenbar mit überspringenden Tigern, Hochsitzer am Platz, Sprungtricks der Tiger werden u. a. geboten. Beindruckend und wunderschön in der Ausführung die abschließenden nacheinander folgenden Vorwärtssteiger von drei verschiedenen Tigern. Mit Erstaunen nehmen wir zur Kenntnis, dass hier außer den Requisiteuren auch Artisten zum Käfigabbau herangezogen werden, so schleppen die „Crazy Riders“ und Mister Dalmatin im Laufschritt die schweren Käfigteile aus der Manege.
Die Catana Truppe bietet feine und leistungsstarke Artisitik am Schleuderbrett, auch die schwierigsten Tricks klappen auf Anhieb perfekt. Nur leider vermittteln sie wenig Freude an ihrem Tun, kein Lächeln ist auszumachen.

Wie zu Beginn, gibt es auch vor dem Finale ein großes Schaubild, wird eine hauseigene Dressurdarbietung in eine optisch opulente Geschichte verpackt. Dieses Mal verwandelt sich die Manege in einen orientalischen Markt und zur Verstärkung dieses Eindrucks wird ein entsprechend bemaltes Banner vor den Artisteneingang gespannt, ein großer Baldachin schließt die Kuppel ab. Glanzvolle prächtige Kostüme beherrschen das Bild, selbst die Requisiteure stecken in entsprechenden Kaftanen. Nach der ausgiebigen Einleitung beginnend mit einem Märchenerzähler und endend mit dem „Flug“ des Sultan - Braian Casartelli - mit seiner Prinzessin auf einem „Fliegenden Teppich“ folgt das große Exotentableau. Sechs prächtig aufgeschirrte Dromedare zeigen variantenreiche Laufarbeit, dann liegen sie ab und wie üblich werden die weiteren Tierarten kurz vorgezeigt. Interessant und außergewöhnlich hierbei, dass das Känguruh und die Emus ihren Weg über die lang gestreckt auf der Erde liegenden Hälse von drei Dromedaren nehmen. Das Nashorn kommt bei diesem Tableau nicht zum Einsatz.
Integriert in dieses Bild ist die Vorführung der drei Elefanten des Circus. Mit Figurantinnen besetzt zeigen die großen Kühe eine Reihe heute gängiger Tricks. Besonders imponierend  ist die große Afrikanerin mit ihren schönen langen gebogenen Stoßzähnen. Zum Abschluss dieses Blocks werden noch kurz die beiden Giraffen zum 'schön stehen' und 'gut aussehen' in die Manege gelassen.

Das Finale zeigt den oftmals erlebten Ablauf. Ein junger Mann in Stallmeisteruniform singt, die Artisten kommen in die Manege, ein paar kollektive Tanzschritte, das Orchester spielt einen Can-Can, die Mitwirkenden bilden eine Pyramide und dann leert sich rasch die Manege. Otto kehrt noch einmal  zurück - komplett in rosa gewandet trägt er Bademantel, Lockenwickler, Adiletten und Federboa - und bedeutet dem Publikum, dass nun wirklich Schluss sei.
Die permanente Unruhe geht nahtlos in allgemeine Aufbruchshektik über und so verlassen auch wir diesen Circus überraschend schnell nach einem kurzen Programm. Einem Programm, das perfekt verpackt und präsentiert wird in einem opulent hergerichteten Umfeld. Andererseits in der erlebten Form nur teilweise - mit Tierdressuren und Komik - zu überzeugen versteht. Der artistische Teil vermag für einen der führenden großen italienischen Circusse, auch angesichts der verlangten Eintrittspreise, in der erlebten Form den Ansprüchen des Publikums nicht gerecht zu werden. 

optimiert