Text und Fotos Friedrich Klawiter
ZIRKUS Charles KNIE
Neuwied, 23. März 2011

www.zirkus-charles-knie.de
Die fünfte Saison unter der neuen Direktion hat für den Zirkus Charles Knie nun begonnen und zum zweiten Mal in dieser Ära hat man sein Chapiteau in Neuwied errichtet. Seit dem ersten Gastspiel hat sich das Unternehmen sehr verändert und vergrößert. Nun ist der große Festplatz bis in die letzte Ecke ausgefüllt. Innenstadtnah an einer Hauptverkehrsstraße gelegen, ist der Circus bestens im Blickfeld aller Passanten gelegen.
Die moderne Front des Circus beeindruckt besonders in der Dunkelheit mit ihren vielfältigen Lichteffekten und Laufschriften. Vergleichbares sucht man in der deutschen Circusszene vergebens, allein der Fotograf wünscht sich hin und wieder einige Sekunden in denen alle Lichter ruhig leuchten – für ein schönes Foto dieser Circusfront. Tagsüber ist die riesengroße aufblasbare Clownsfigur der Blickfang vor den charakteristischen creme-rot gestreiften Zeltanlagen.
Zahlreich sind die Transporter und Wohnwagen des Circus. Den größten Raum beansprucht jedoch die umfang- und artenreiche Menagerie. Geräumige Ställe mit angegliederten Freigehegen stehen allen Vierbeinern zur Verfügung. Der Pool kommt an diesem sommerlich warmen Nachmittag bei den beiden Seelöwen gut an. Die Raubtier-Anlage die Alexander Lacey seinen Katzen zur  Verfügung stellt, ist vom Feinsten. Sowohl der Maschinenwagen als auch der Anhänger sind mit ausklappbaren Elementen bestückt, die die Grundfläche stark vergrößern. Dem gesamten Arrangement wurde ein weitläufiges Freigehege vorgebaut.


Wenn man von der Kasse kommend durch das Eingangstor in Richtung Vorzelt schreitet, fällt sofort der am Zaun beginnende Kunststoff-Wabenboden auf, der den kompletten Eingangsbereich und den Boden des gesamten Vorzeltes bedeckt. Die Einrichtung desselben wurde neu gestaltet. An Stelle des kleinen Kinderkarussells ist nun das „Circuscafé“ zu finden.
Im Chapiteau dann der gewohnte Rahmen. Edle Logen in rot und gold, das Gradin mit roten Einzelklappsitzen und der geometrisch strenge Artisteneingang aus rotem Stoff mit tausenden Glitzersteinchen darauf sorgen für ein stimmiges Ambiente.

Das achtköpfige Charles-Knie-Orchester unter der Leitung von Volodymyr Kozachuk, intoniert bereits während des Einlasses einige Stücke und erweist sich als erstklassiger Klangkörper, der das Programm auf hohem Niveau unterstützt. Schade nur, dass man die Musiker optisch nicht ein wenig mehr ins Auge des Zuschauer rückt.
Hervorragend ist das Lichtdesign der aktuellen Show. Die moderne Anlage wird von Enrico Dennis Zoppe-Stolfa virtuos eingesetzt und er versteht es ausgezeichnet mit der Beleuchtung Stimmungen zu erzeugen. In wenigen Szenen wünscht man sich einen etwas größeren erhellten Radius, da ein Teil der Akteure im Halbdunkel verschwindet.


Das diesjährige Programmmotto verheißt uns wieder „Eine Reise um den Globus“ nun „mit Tieren und Star-Artisten aus aller Welt“ und so kommt das Thema wesentlich prägnanter formuliert daher als im letzten Jahr.
Unverändert beginnt die Show mit dem Charivari, dass ein „Zigeunerlager“ widerspiegelt. Die groß angelegte Szene mit zahlreichen Mitwirkenden sorgt sofort für Stimmung auf den Rängen. Die fünf Tänzerinnen und zwei Tänzer des Balletts haben ihren ersten Einsatz. Im allgemeinen bunten Trubel zeigen Georgina und Virgilia Riedesel an Strapatentüchern bzw. auf dem Drahtseil Ausschnitte ihres Könnens. Die Geschwister Nistorov jonglieren mit Fackeln und André Riedesel,  der Sprechstallmeister des Circus, spielt mit dem Feuer.

Nahtlos fügt sich die erste artistisch-tierische Darbietung, das Pas-de-deux der Geschwister Stipka, an das Geschehene an. Auf zwei prächtigen Friesen werden die typischen Abläufe und Posen des Genres sehr sicher ausgeführt. Hervorragend der freie, ungesicherte Stand von Denisa auf dem Kopf ihres Bruders Daniel. Leider wird bei dieser gelungenen Demonstration der Stehendreiterei auf den Einsatz des Orchesters verzichtet, so dass der anfängliche Schwung ein wenig abhanden kommt.

Ein neues Gesicht in der Charles Knie Manege ist Clown André Broger. Seine Verpflichtung wirkt sich positiv auf das Programm aus. Er kommt beim Publikum sehr gut an, wird im Gegensatz zum Vorgänger auch von den Kindern als Clown erkannt und akzeptiert. André ist im Verlauf der Show mehrere Male mit seinen Reprisen präsent. Vom ersten Augenblick an wird er vom Publikum erfreut angenommen und man geht bei seinen Späßen mit. Seinen Unwillen, wie vom Sprecher geheißen, die Piste zu kehren demonstriert er gekonnt und eine imaginäre Fliege muss darunter leiden. Popcorntüten über Zuschauer zu entleeren scheint heutzutage unverzichtbarer Bestandteil jeder Clownerie zu sein.
Dann folgen seine Klassiker. Zunächst, während der Vorbereitungen für das Flugtrapez versucht er sich als „Gesangsstar“, der durch widrige Umstände des Playbacks zu einem außergewöhnlichen Duett mit sich selbst gezwungen wird. Später  überbrückt André gekonnt den Käfigabbau, indem er seinen Teddy als furchtlosen Piloten vorstellt.

In seiner letzten Szene erleben wir ihn in einem mutigem und siegreichem Kampf mit dem "weißen Hai".

Das Ballett kommt jeweils dann zum Einsatz, wenn das Thema des Programms oder besser gesagt, die nächste Station der imaginären Reise um den Globus erreicht wird. Wir starten im orientalisch-indischen Raum, im Charles Knie Jargon „Exotistan“ genannt.

Mit großer Show in stilvollen indischen Kostümen, inklusive „Fingernagelverlängerungen“ im Stil von Tempeltänzerinnen, wird die Hula Hoop Nummer von Monika Sperlich eingeleitet und begleitet. Die Artistin erreicht in einer Sänfte die Manege, legt einen aufwändig mit einem Pfauenmotiv geschmückten Umhang ab und arbeitet ihre Nummer.
Im Anschluss präsentiert Marek Jama den großen Exotenzug. Vier Kamele und vier Zebras absolvieren gemeinsame Lauffiguren. Nachdem vier Rinder unterschiedlicher Rassen kurzzeitig die Gruppe ergänzen, verlassen die Zebras das Rund. Große Aufmerksamkeit erzeugt das Känguru, dass zwei Runden inklusive Sprung über eine Hürde um die Manege hüpft. Ihm folgen zwei normalfarbene und ein weißer Emu.
Der bekannte 6er-Zug Lamas beschließt diesen Teil der Reise.

Nun ist es an Kenny Quinn seine Qualitäten als Taschendieb zu beweisen. Zuerst erhalten drei Herren, die bereits während des Einlasses um Teile ihres Tascheninhaltes erleichtert wurden, diesen wieder zurück. Nun demonstriert er in der Manege seine Fingerfertigkeit an drei weiteren Herren. Diese, für ein Circusprogramm, untypische Darbietung stößt naturgemäß mehr beim erwachsenen Publikum auf Interesse und erzielt ihre Heiterkeitserfolge durch die Schadenfreude, die die „Beklauten“ - insbesondere derjenige, dessen Krawatte in der Manege entwendet wird – erleben.
Eine modern gestaltete Flaschenstuhl-Arbeit präsentiert René Sperlich. Sowohl Tisch als auch Stühle sind aufwändig aus Acryl-Glas gefertigt. Der Ablauf ist in eine kleine Geschichte gebettet. Als edler Ritter erfüllt der Nachwuchsartist einer jungen Frau, Monika Sperlich, den Wunsch eine blinkende Kugel aus der Zeltkuppel zu holen. So arbeitet er sich den fragilen Turm hinauf und wieder hinab, um das Objekt der Begierde zu beschaffen.

Dann ein kontrastreicher Wechsel des Bildes. Die Pferdevorführungen werden im spanischen Stil präsentiert. Ein Tangopaar leitet die Sequenz ein. Fünf Friesen stellt Marek Jama in dieser flotten, sicher laufenden Freiheitsdressur vor. Das Ballett begleitet die Hohe Schule von Daniel und Denisa Stipka in der Manege. Die ansprechende Kür erhält so zusätzliche Schaueffekte. Drei Araber kommen nacheinander als Da Capo Steiger in die Manege, wobei der letzte eine komplette Runde entlang der Piste auf der Hinterhand absolviert.
Das Fangnetz ist aufgebaut, Clown André hat sein Duett beendet, das Ballett inszeniert 'Karneval in Rio' und dann brillieren die Flying Mendonca, aktuell in der Besetzung drei Herren und eine Dame, am Flugtrapez. Zahlreiche Sprünge, u. a. Salto über die Trapezstange, doppelter Salto gestreckt, dreifacher und Passage, werden von den drei Fliegern/Innen elegant ausgeführt und allesamt sicher im ersten Versuch gefangen. Diese Darbietung bringt das Publikum im voll besetzten Gradinvor der Pause noch einmal für richtige Stimmung.

Alexander Lacey eröffnet  mit seiner immer wieder faszinierden Raubtierdressur den zweiten Programmteil. Vier Tiger und zwei Löwinnen zeigen ihr perfekt einstudiertes Können. Speziell ein Scheinangriff einer Löwin versetzt die Zuschauer in Erstaunen.  Durch den ganzen Käfig entlang der mittig im Raum sitzenden weiteren Tiere, provoziert der Dompteur durch bloßes vorstrecken eines Fingers immer wieder neues fauchen und prankenschlagen des Tieres und zieht so die Zuschauer in seinen Bann. Nachdem die Tiere durch den Laufgang den Käfig verlassen haben, wird Lacey begeistert gefeiert.
Das man große Hits auch live spielen und mit Live-Gesang vortragen kann, beweist das Charles-Knie-Orchester mit „You'll be in my heart by Phil Collins“ bei der Strapatendarbietung des Duo Jungle. Jonathan und Aline, die beiden sind Mitglieder der Flying Mendonca zeigen attraktive Tricks. Perfekt in Spiel und Kostüm wird eine kleine Liebesgeschichte a la „Tarzan und Jane“ mit dieser Darbietung erzählt.
In stilisierten Matrosenkostümen bittet das Ballett zur Seelöwendarbietung mit Monika Sperlich. In spielerischer Manier zeigen die beiden Robben ihr Können – Ballbalancen, Frisbee-Spiel und Leiterüberquerung gehören u. a. zu ihrem Repertoire.
Sehr modern, ein wenig im „FlicFlac-Look“ hat Paolo Kaiser seinen Auftritt auf der Rola gestylt. Er brilliert mit seinen Sprüngen – z. b. über einen kurzen Strick, stapeln von mehreren Brettern unter den Füssen – auf dem Requisit. Der Sprung, mit dem Rola-Brett in der Hand von einer zu einer tiefer angeordneten Rolle auf einem zweiten Tisch, Enrico Romero glänzte vor mehreren Jahrzehnten mit diesem Trick bereits in hiesigen Manegen, und ein Salto von einer auf eine andere Rola sind die Höhepunkte der Evolutionen.

Auf dem Saxophon (Hello Dolly) beginnt Ventriloge Kenneth Huesca seinen Auftritt, dem der Dialog mit drei Puppen folgt. Ein Zwischenspiel auf dem Xylophon (Renz Galopp) und schon sucht er drei Mitspieler aus dem Publikum, denen er eine neue Stimme verleiht und so die Stimmung im Zelt noch einmal nachhaltig anheizt.
Den artistischen, furiosen Schlusspunkt setzen die Geschwister Nistorov mit ihrer Akrobatik auf Rollschuhen. Rasant und sexy bieten sie so gut wie alle Tricks des Genres. Der jugendlich frische Verkauf trägt zusätzlich dazu bei, eine famose Finalnummer zu erleben.
Das Finale ist als glamouröse Revue angelegt. Das Ballett in Kostümen a la „Lido de Paris“, die Damen mit üppigem Federschmuck dekoriert, begleitet die Artisten bei der Einzelvorstellung und über allem „schwebt“ ein liebevoll gestalteter, großer „Heißluftballon“ in der Kuppel des Chapiteau, aus dessen Gondel Clown André Konfetti regnen lässt. Die Manege erscheint als ein Meer in blau und silber, da alle Mitwirkenden Kostüme in diesen Farben tragen. Mit diesem farblich stimmigen Bild findet das umfangreiche Programm seinen Abschluss.

„Supercircus“ strahlt es in Großbuchstaben über dem Zelt des Zirkus Charles Knie und dieser, natürlich branchentypische Superlativ, bezieht sich inzwischen keinesfalls mehr nur auf das Erscheinungsbild des Circus. Ein gutes klassisches Circusprogramm wird sehr geschickt mit modernen Elementen – Ballett und Licht – präsentiert. Der Zirkus Charles Knie zeigt sich insgesamt auf einem  Niveau, wie man es während einer Reisesaison nicht leicht überbieten kann. 
optimiert