Text und Fotos: Friedrich Klawiter
VARIETÉ DA CAPO
Darmstadt, 05. Dezember 2010

dacapo-variete.de
Wieder einmal verzaubert Da Capo' s Zeltpalast den winterlichen Karolinenplatz in Darmstadt. Ein rechteckiger Zweimaster von immenser Höhe mit zahlreichen angebauten kleineren rechteckigen Zeltbauten füllt den knappen Raum restlos aus. In edlem weiß-grauen Streifendesign gehalten, spiegelt die Plane die wechselnden Farben der üppigen Beleuchtung wider.
Die Masten werden von einem hohen Gitterbogen gekrönt, an dem in grünen Leuchtlettern der Namenszug strahlt. Da sich im Untergrund eine Tiefgarage befindet, ist ein absegeln an Anker nicht möglich und zahlreiche gestylte Ballastcontainer geben den Zeltbauten Halt. Zahlreiche Spiegelkugeln und weiterer glänzender Zierrat unterstützen die edle Ausstrahlung des Arrangements.
Durch breite Glastüren in deren Scheiben das Da Capo Logo eingeätzt ist betritt man das feine Foyer mit Garderobe. Dessen Gestaltung sowie die der Gänge und des Barbereiches mit viel rotem Stoff und dickem rotem Teppichboden lässt fast vergessen, dass man sich in einem Zelt aufhält.

Die Optik setzt sich im riesig wirkenden Zuschauerraum konsequent fort. Fein gewandetes Einlass- und Servierpersonal, bequeme mit edlem rotem Stoff bezogene Stühle, fein gedeckte Tische, Stoffverkleidungen an den Brüstungen dazwischen marmorartig gestaltete Elemente mit Leuchten. Die Tischgruppen und Stuhlreihen sind ansteigend frontal zur Bühne angeordnet, werden von einem Balkon ringsum eingefasst. Die beiden Masten stehen in der Tiefe des Zeltes nicht mittig sondern sind nach hinten versetzt. So sind sie nicht sichtbehindernd mitten im Zuschauerraum sondern etwa in Bühnenebene angeordnet.
Die Bühne wird im jährlichen Wechsel entsprechend dem aktuellen Motiv gestaltet und zeigt sich in diesem Jahr als luftige leichte, hell und freundlich wirkende unaufdringliche Konstruktion. Die Lichtanlage und deren Einsatz sowie die Qualität der Soundanlage zeigen sich über jede Kritik erhaben und lassen keine Wünsche offen.
Fünf große Werbeaufsteller auf der Bühne zeigen neben dem Bildnis von James -Jungeli- Sperlich und anderer Werbung Infos zur Leukämie-Stiftung von José Carreras. Unmittelbar vor Vorstellungsbeginn kommt Jungeli Sperlich mit dem Mikro auf die Bühne, erklärt dass Da Capo die Stiftung des spanischen Star-Tenors unterstützt und bittet die Anwesenden gleichfalls um eine Spende, die bei den durch die Reihen gehenden Mitarbeitern entrichtet werden kann.


Dann ist es soweit, die achtzehnte Produktion von Da Capo kann beginnen. Unter dem Titel „Cult“ wird eine hochklassige, hervorragend inszenierte moderne temporeiche Show geboten. Fünf Musiker einer ukrainischen Band begleiten sie zu größten Teil live. Mit Elektro-Balalaikas, Akkordeon und Schlagzeug bieten sie einen eigenen unverwechselbaren mitreißenden Sound. Die Arrangements bieten eine enorme Bandbreite. Von mitreißend, temporeich, fordernd, romantisch, verspielt bis melancholisch, von rockig bis zum Tango wird die ganze Bandbreite guter, die Artisten hervorragend unterstützender Musik geboten. Die Band ist nicht auf einem eigenen Podium stationiert, sondern wird auf der Bühne in das allgemeine Geschehen eingebunden. Sie spielen nur zu den jeweiligen Nummern. Bei den Tanzsequenzen und Übergängen dazwischen verlassen sie die Bühne, diese werden nicht live begleitet.
Die beiden Tänzer Iana Zaits und Andrii Matviienko schaffen die Verbindungen zwischen den einzelnen Nummern, lassen die Show mit ihren ausdrucksstarken Choreographien, die die uralte Geschichte der Beziehung zwischen den Geschlechtern neu mit allen Höhen und Tiefen erzählen, zu einer Einheit werden. In die Gestaltung dieser Verbindungen werden teils auch die Artisten mit eingebunden, so dass es zu fließenden harmonischen Übergängen zwischen den verschiedenen Aktionen kommt.

Das doppelte Schlappseil – Cross Road - von Aleksey Egorov und Taras Hoy, im letzten Jahr bei Arlette Gruss zu sehen, fasziniert gleichermaßen ob seiner Trickstärke und Ausführung. Beide Artisten tragen während des Auftritts Augenbinden und absolvieren ihre Kür blind. Beeindruckend ist die Sicherheit und Selbstverständlichkeit in der Ausführung der Balancen.
Die Geschwister  Viktoriya und Viktor Kosnirov bieten eine frische jugendliche Jonglage mit einem außergewöhnlichen Reguisit. Stäbe von ca. fünfzig Zentimeter Länge tragen am Ende je eine kleine Kugel und werden in der Art von Keulen gehandhabt. In vielfältigen Variationen werden die Passings absolviert.

Unumstrittener Publikumsliebling ist Herr Niels. „Herr Niels macht eigentlich Nichts...! ...und wenn er was macht, dann macht er meistens Unsinn...!  ...aber das macht ja nichts!“ Treffender als dieses Zitat von der Website Niels Weberlings kann man sein Tun auf der Bühne nicht beschreiben. In einer einmaligen Mischung aus Pantomime, Clownerie und Gummimensch erobert er das Publikum. Er lehnt an einem imaginären Tresen, versucht entfliehende Flaschen zu erjagen. Er kämpft mit einem widerspenstigen Ballon und Koffer - ein wenig Zauberpulver bricht allerdings deren Widerstand. Das gleiche Zauberpulver verleiht seinen Gliedmaßen eine unvorstellbare Beweglichkeit und seine Bewegungen in Zeitlupe verstärken diesen Eindruck noch. Für alle Fälle spannt er seinen Schirm  über sein Haupt und damit dies nicht vergebens geschieht, beregnet sich dieser selbstständig. Seine Szenen faszinieren ob seines mimischen Könnens, die er mit sparsamen Mitteln hervorragend gestaltet und die das Publikum begeistern.

Am Trapez zelebrieren Maryna Tkachenko und Oleksandr Krachun ihre Kür. Rasante Voltigen, vielfältige Posen und ein schwungvoller Vortrag verfehlen nicht ihre Wirkung auf die Betrachter. Dies liegt nicht zuletzt auch an der perfekten musikalischen Begleitung, diese weckt auch gewisse Assoziationen an „Tango am Trapez“. Wobei die Abfolge der Darbietung vollkommen eigenständig ist und keinerlei Anleihen bei anderen Nummern erkennen lässt. Abschließend bieten die beiden Artisten einen furiosen Nackenwirbel. Leider findet diese mitreißende Trapeznummer, trotz der immensen Zelthöhe, in sehr niedriger Distanz zum Boden statt, so dass speziell beim Schlusstrick nicht die optimale Wirkung erzielt werden kann.
Mit einer exzellenten Hand-auf-Hand Darbietung warten Anastasia Lomachenko und Mykhailo Romanenko auf. Elegant, mit weichen fließenden Übergängen werden Handstände und Hebungen ausgeführt. Die vielen kraftvollen Passagen wirken ob ihrer tänzerischen Ausführung spielerisch leicht.

Die Pauseneinleitung wird mit einer originellen Ballettszene vorgenommen. Die Artistinnen „waschen“ im Hintergrund der Bühne Wäsche in Metallschüsseln, derweil sie von den männlichen Kollegen umschwärmt werden. Die letztlich hochgehaltenen Schüsseln tragen auf der Unterseite die Aufschrift „Pause“.
Den zweiten Teil eröffnet Stanislaus Pryvalov an den Strapaten. Die kraftvollen akrobatischen Passagen sehen ihn alleine als Akteur, während die Flüge mit einer Partnerin im Duett, zu „My Heart will go on“ stattfinden. Dieser ohnehin schmachtende Song bekommt durch die ungewöhnliche Instrumentalisierung mit den E-Balalaikas eine neue Dimension und lässt so die Zuschauer reihenweise dahinschmelzen.
Mit Fahrradakrobatik sind Brüder Maksym und Andrii Zheman auf der Bühne zu sehen, wobei der Schwerpunkt hier eindeutig auf Akrobatik liegt. Auf und mit ihren Einrädern bieten die beiden Artisten nur wenige Aktionen. Wesentlich eindrucksvoll sind ihre Tricks aus dem Handstand-Repertoire der Partnerakrobatik.

Einen herausragenden Höhepunkt in einem erstklassigen Programm markiert Daria mit ihrer Kontorsion. Mit ihrer Kunst ist sie vollkommen zu Recht das diesjährige Werbemotiv von Da Capo und auf Plakaten, Eintrittskarten und sonstigen Printmedien präsent. In exzellenter Aufmachung – hervorragendes Kostüm, wunderbare musikalische Begleitung, zauberhafte Ausleuchtung – absolviert die junge Frau ihre starke Kür.  Den größten Teil ihres Auftritts absolviert Daria Shcherbyna im Handstand. Besonders augenfällig sind ihre Fähigkeiten Beine und Hüften scheinbar ohne jede Anstrengung extrem zu „verdrehen und verbiegen“.

Den artistischen Schlusspunkt zu setzen obliegt dem Trio Tereshchenko mit Handvoltigen am Fangstuhl. Ihre hervorragende Luftnummer bekam auf vielen Festivals Auszeichnungen. Der breitschultrige Fänger Roman Tereshchenko wirbelt die beiden zierlichen Fliegerinnen Elena und Anna mit immenser Kraft umher. Vielfältige Salti und Pirouetten werden von den beiden Artistinnen in großer Höhe ausgeführt. Einzige Sicherheit ist ein voluminöses Luftkissen auf der Bühne. Höhepunkt der Evolutionen sind zwei direkt nacheinander ausgeführte – und perfekt gefangene – Doppelsalti einer Artistin.

Die gesamte Truppe - außer den Schlappseilartisten, den Tereshchenko und dem Komiker – präsentiert sich mit Seil springen. Jung, fröhlich und verspielt wirken diese Sequenzen, die in einem ebensolchen bunten Finale münden. Die jungen Artisten kommen allesamt von der staatlichen Artistenschule aus Kiew, die hierzulande in erster Linie durch die Truppen Bingo bekannt ist. Werden andernorts Bingo-Artisten fast ausschließlich mit Charivaris präsentiert, steht bei Da Capo eindeutig die Einzelnummer im Fokus.
Das Finale ist ausführlich, folgt der allgemein üblich Choreographie ohne zu sehr auszuufern. Die Band gibt noch einmal Vollgas mit ihrem außergewöhnlichen mitreißenden Sound. Dann hilft auch noch so große Begeisterung im Zuschauerraum nicht mehr – die Bühne ist leer und eine grandiose Varieté-Show zu Ende.
Da Capo ist es mit der aktuellen Produktion gelungen eine anspruchsvolle, leistungsstarke und harmonische Show zu schaffen. Anders als im Vorjahr folgen nicht beliebige Nummern mehr oder weniger gut durch einen Entertainer verbunden aufeinander, sondern durch die Einbeziehung der Artisten entstehen fließende Übergänge. So gibt es keine abrupte Wechsel der Szenen und keine Pausen ohne Aktion auf der Bühne. Cult ist erstklassiges Varieté, dass auch eingefleischte puristische Circusfans begeistert.


optimiert