Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCUS FLICFLAC
Koblenz, 07. März 2010

www.circusflicflac.de
Zum zweiten Mal reiste FlicFlac zu einem Gastspiel in der Stadt an Rhein und Mosel an. Anders als vor zwei Jahren hatte man dieses Mal einen Privatplatz ausgewählt, da der offizielle Circusplatz seit einiger Zeit nicht zur Verfügung steht. Die örtliche Messegesellschaft hat an zentraler Stelle eine mobile Lager- und Werkstatthalle errichtet. Der neue Platz unmittelbar an einer der meist befahrenen Bundesstraßen in Deutschland gelegen, lässt täglich zigtausende den Circus wahrnehmen.
Auffällig in der markanten gelb-schwarzen Farbgebung steht das neue hohe Pagodenzelt auf dem Parkplatz eines ehemaligen Supermarktes umgeben von der charakteristischen „schwarzen Wand“ der Einzäunung. Die große Anzahl der Material-Auflieger und Artistenwohnwagen ist so den Blicken der Besucher weitgehend entzogen, nur das Büro und die Kasse sind außerhalb platziert.
Die Werbekampagne war nicht zu übersehen. Zahlreiche Plakate, auch angemietete große Plakatwände, Radiowerbung, Zeitungsartikel, Ermässigungsgutscheine als Wurfsendung in der Tagespresse, dazu das FlicFlac-Flugzeug mit Werbebanner über der Stadt kreisend – umfassend wurde auf das Gastspiel aufmerksam gemacht. Dazu kommen noch sieben PKW, die auf ihren Anhängern große Werbewände tragend, kreuz und quer durch die Stadt fahren.

Schon vor der Kasse betritt man den Kunststoff-Wabenboden, der bei Flicflac komplett in allen für die Zuschauer relevanten Bereichen ausgelegt wird. Im Vorzelt ist er mit einem roten textilen Belag versehen, so wird die Atmosphäre wohnlicher. Sitzgelegenheiten und Verkaufsstände gliedern den großen Foyerbereich. Immer wieder herrlich und erwähnenswert, die Reaktionen unbefangener Erstbesucher beim Gang zur Toilette. Zunächst der „Schock“ angesichts der 'Pixie-Boxen' die der Rückwand entbehren. Umso größer dann die Begeisterung über die Luxusausführung des mobilen 'Stillen Örtchens'.

„Artgerecht“ lautet der Titel des aktuellen Programms. Nach „No Limits“ und „Underground“, die beide ja recht düster daherkamen, zeigt sich Flicflac nun in einem anderen Licht, zeigt komplett neue Facetten in der Show. Nachdem in den letzten Programmen die Elemente den Rahmen der Show bestimmten, wird nun der Gegensatz von Licht und Schatten, hell und dunkel zum Gegenstand der Story. Entsprechend sind die Kostüme der Handelnden in schwarz, bzw. weiß gehalten. Unterstützt und angeführt werden die beiden Gruppen von den Sängern Frank Fabry, der im Rammstein-Stil kraftvoll charismatisch die dunklen Mächte vertritt, und Alexandra Gerbey, die mit ihrer hellen Arienstimme popmässig aufbereitete Klassik intoniert. Die komplett durchgestylte Show des Regieseurs Bruno Darmagnac setzt dabei auf teils neu geschriebene und komplett neu arrangierte Musik. Auch die immer wieder hervorragende Lichtregie lässt die Show insgesamt in einem helleren Umfeld stattfinden.

Im Dunkel einer Lasershow nimmt der weiß gekleidete Teil der Artisten auf der Drehbühne Platz. Eine Frauenstimme aus dem Off verkündet die, ein wenig aufgesetzt wirkende Geschichte von den „neuen Menschen, die frei, friedlich und  artgerecht miteinander leben“.
Die nacheinander sich erhebenden Artisten gestalten das Opening während Alexandra Gerbey singend aus der Kuppel hernieder schwebt. So wird der Aufbau des Sicherheitsnetzes der Truppe Tsisov, der aufwändige Seilapparat - er wird in verschiedenen Höhen sowohl waagrecht, als auch als Schrägseil genutzt - ist bereits vor dem Einlass installiert, in den Ablauf integriert. Die, im vergangenen Jahr mit einem silbernen Clown in Monte Carlo ausgezeichneten,  Hochseilartisten bieten eine typische russische Hochseildarbietung, pathetisch in Ausdruck und musikalischer Begleitung. Etwas gekürzt zeigt sich der Auftritt nun auf die starken Tricks konzentriert. Nun sind die folkloristischen Kostüme, die sie beim Flicflac-Festival in Kassel noch trugen, weißen modernen, zur Show passenden Outfits gewichen. Sie beginnen mit einem Spagat einer Artistin auf den Köpfen ihrer beiden Partner. Vielen Zuschauern stockt der Atem angesichts der erheblichen seitlichen Schwingungen, in die das Seil, es hat hierbei viel Durchhang da nicht straff gespannt, gerät. Immer wieder beeindruckend der Spitzentrick, zu dem ein Artist ein zweites parallel gespanntes Seil mit der Schulter so ablenkt, dass eine Begegnung und passieren auf der 'Umleitung' von zwei Zwei-Mann-Hochs ermöglicht wird.


Nach diesem poetisch-pathetischen Beginn dürfen die dunklen Mächte erstmals in Erscheinung treten, erlebt man den echten Flicflac. Frank Fabry überbrückt den Abbau des Hochseilequipements bevor die 'Bikers', nun ebenfalls in Flicflac konformer Aufmachung ihre Sprünge auf den Lkw-Schläuchen vorführen. Ihre zweite Darbietung, Sprünge von der 'Russischen Schaukel' wurde gestrafft – die Sprünge in ein schräg gespanntes Netz entfallen - und mit einigen Showeffekten versehen. So wirkt der Auftritt kompakter und attraktiver, hat weniger sportorientierten als nunmehr showmässigen Charakter.


Vollkommen neu und perfekt gestylt sehen wir Anatoli Zhukov wieder. Im Stile eines Altrocker betritt er mit seiner 'Braut', sie hat einen Kasten „Erdinger“ dabei, die Szene. In Sekunden leert eine der Bierflaschen um dann in bekannter Manier einige Liter Wasser in gewaltigen Fontänen in eine Mülltonne zu speien.Ungläubiges Erstaunen wird laut, während er zu Rammsteins 'Benzin' in kürzester Zeit mehrere Liter Brandbeschleuniger trinkt und anschließend diesen als hohe Feuersäulen wieder ausstösst.
Der junge deutsche Artist Nicolai Kuntz produziert sich am Solotrapez. Longengesichert zeigt er Abfaller, Pirouetten sowie Sprünge in den Fersen- sowie Zehenhang.

Die beiden Direktionstöchter Tatjana und Larissa Kastein sind auch in dieser Produktion mit ihren Nummern vertreten. Tatjana zeigt unverändert ihre anmutig verkaufte Handstandequlibristik auf der schräggestellten Spiegelplatte. Ihre Schwester Larissa präsentiert uns ihren 'Poledance'. Ihre kraftvollen Posen am 'Chinesenmast' sehen nun Sänger Frank Fabry im Hintergrund agieren, so dass dieser Auftritt nun atmosphärisch noch hinzu gewonnen hat.
An den Vertikaltüchern schwebt Alexandra Gerbey „singend“ durch die Kuppel, die genreüblichen Tricks absolvierend.

Als umjubelten Star des Programms erleben wir weiterhin Steve Eleky. Als „meinen total durchgeknallten Bruder“ von Frank Fabry annonciert, zelebriert er in bekannter Manier seine Gags. Sein Markenzeichen „Spaaaß“ lässt die Ränge vor Begeisterung kreischen, wenn er als scheinbar ungeschickter Jongleur agiert, bzw. als Magier seine Tricks verrät. Die Pointen sitzen perfekt und kein Spaß wird auf Kosten anderer oder unter Belästigung von Zuschauern gemacht – wahrlich eine Seltenheit heutzutage im Circus.

Nach der Pause zeigt das Flugtrapez der '"Heros", zu Puccinis Arie „Nessun dorma“ aus Turandot,  eine erste Annäherung der Welten, wenn der „schwarze“ Underground-Fänger seine „weißen“ Flieger-Kollegen sicher in Empfang nimmt. Zahlreiche attraktive Sprünge werden von den drei Fliegern und einer Fliegerin perfekt absolviert. Im weiteren Programmablauf geht die Konkurrenzsituation von „schwarz“ und „weiß“ immer mehr in eine gegenseitige Inspiration über, um im Finale die Symbiose zu erleben.
Auf dem Weg dorthin sehen wir nach der „schwarzen“ Larissa Kastein die junge „weiße“ Ukrainerin Yulia Galenchyk an Netzstrapaten. Sie zeigt ihre faszinierende ungesicherte Kür in großer Höhe weiterhin in diesem Rahmen. Große Trickstärke, hohe Risikobereitschaft sowie ein hervorragender Verkauf kennzeichnen diese exzellente Darbietung.
Ebenso wurde die außergewöhnliche Jonglage-Darbietung von Eddy Carello prolongiert. Seine Präsentation einer E-Guitarre auf den Devilsticks und Balljonglage auf dem Schlagzeug passt genau in diesen Rahmen.

Noch einmal kommen Strapaten zum Einsatz. Die beiden Bulgaren Miroslav Toskov und Nicolay Dobrovolov, auch sie wurden prolongiert, zelebrieren eine eindrucksvolle Kür an diesem Requisit. Ihre Folge an Tricks die dem Genre Hand-auf-Hand entstammen, werden hier mit großer Selbstverständlichkeit und in erstklassiger Ausführung an einem Luftrequisit demonstriert.
Der 'Globe of Speed' ist seit vielen Jahren fester Bestandteil der Flicflac-Programme und wird aktuell wieder einmal als Finalnummer präsentiert. Während des Aufbaus und zwischen den verschiedenen Turns hängt Frank Fabry an, bzw. steht auf der Gitterkugel einen Rammstein-Song interpretierend. Bis zu acht Fahrer versammeln sich in der Kugel, sorgen für kollektives Atem anhalten im Gradin.

Das kurze, flicflactypische Finale offenbart die große Anzahl Mitwirkender. Per Windmaschine werden lange Papierbänder zusammen mit einer großen Staubwolke über die Besucher des 'Block A' geblasen, dann verlassen die Akteure nacheinander die Bühne über den zentralen Zuschauereingang. Sie nehmen im Vorzelt Aufstellung und geleiten die Menge unter lautem trommeln und Applaus hinaus. Wir werden uns bewusst, dass Flicflac erstmals seit 'ewiger Zeit' auf die obligatorische Riesenrad-Nummer verzichtet hat. Wirklich vermisst haben wir es nicht – wurden doch eindrucksvolle Luft-Darbietungen anderer Disziplinen in andernorts nicht anzutreffender Vielzahl geboten.


Angesichts des perfekten Auftretens dieses Unternehmens in jeder Beziehung, modernes technisches Equipement, Werbung und Marketing, und des einzigartigen Programmkonzeptes, ist es mehr als schade, dass es in dreieinhalb Monaten  „eine Pause auf unbestimmte Zeit“ geben wird. Noch einmal haben die Macher eine große neue Show zusammengestellt, haben hervorragende Artisten verpflichtet, mit großem Aufwand für wenige Monate eine erstklassige – gegenüber dem Vorgänger gesteigerte – Produktion geschaffen. Es ist außerordentlich bedauerlich, dass in Kürze  für einen weiteren Spitzencircus in Deutschland die Reise endet, die "Circuslandschaft" ein weiteres Stück trister wird.


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