Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCUS HARLEKIN  
Frutigen, 05. April 2009

www.circusharlekin.ch
Inmitten der Schweizer Berge, Frutigen liegt zwischen Spiez, Adelboden und Kandersteg, war der Circus von Peter Pichler und Monika Aegerter an diesem ersten frühlingshaften Wochenende anzutreffen. Der Circus bereist in allererster Linie die Kantone Bern und Wallis. Blitzblank steht der kleine blau-rote Viermaster da, davor das passende neue Restaurationszelt, dazu die weiß-roten Wagen und hinter dem Chapiteau ein kleiner Stall und die Artistencampings – Circusatmosphäre wie aus dem Bilderbuch.
Wie in jedem Jahr präsentiert der 'Circus mit Stil und Ambiance' ein neues Programm, dieses Mal unter dem Motto „...obenuus!“. Das rund fünfhundert Zuschauer fassende Zelt füllte sich zusehends während nach und nach immer mehr Artisten in die Manege kommen und sich weichmachen. Diese Regieidee versammelt das komplette Ensemble zum Beginn in der Manege. Die Direktion, als Clownsduo Les Nicas von jeher fester Bestandteil des Programms,  heißt willkommen und Artisten und Mitarbeiter wiederholen nacheinander die Formel in ihrer jeweiligen Muttersprache.
Dann gehört die Manege den jungen Artistinnen der Juye Qilin Acrobatic Troupe. Haben sie in Hanson' s Wintercircus in den Niederlanden überzeugt, sorgen sie mit vier Darbietungen hier in dem intimeren Rahmen durch unmittelbares Erleben für Begeisterung. Ein erstes Highlight im diesjährigen überdurchschnittlich starken Programm setzen sie mit ihren rotierenden Tellern. Zu sechst zeigen die jungen Frauen die verschiedensten akrobatischen Tricks, während auf den Stäben in ihren Händen permanent bis zu fünf Teller rotieren.

Ihr zweiter Auftritt im ersten Programmteil zeigt die alte chinesische Kunst des 'Face Changing'. Hauchdünne verschiedenfarbige Masken sind vor den Gesichtern angeordnet und werden durch blitzschnelle Bewegungen gewechselt.

Vielerlei Reprisen und Entrees gehören zum Repertoire von Pedro und Madame Nica. In dieser Spielzeit werden einige Reprisen, darunter 'Brautpaar' 'Glockenspiel' und 'Arztbesuch', mit viel Charme und Spielfreude in ihrer unverwechselbaren eigenständigen Art geboten.
Alan, der 'Untermann' der Fratelli Rossi, versteht es, virtuos und elegant mit Bällen und Keulen  zu jonglieren. Abschließend hält er drei Zigarrenkästchen in der Luft.
Die Ikariernummer mit seinem Bruder Jody begeistert im zweiten Programmteil mit den sicher vorgetragenen Tricks. In dem relativ kleinen Harlekin-Chapiteau füllt ihr rasanter Wirbel die Manege. Da die Entfernung auch von der oberen Gradinreihe bis zur Manegenmitte nur wenige Meter beträgt, lässt sich die 'Arbeit', nicht nur dieser Artisten, auch in Details sehr gut wahrnehmen.

Über eigene Tiere verfügt Harlekin bekanntermaßen nicht, man engagiert, meist von  Medrano von Urs Strasser, jeweils für eine Saison verschiedene Gruppen. Heuer führt die junge Schweizerin Susanne Mani eine Gruppe Ziegen im Zusammenspiel mit einem Esel vor. Ihr eigenes Groß-und-Klein pausiert, die Pferde werden nur zum „Rössli-reiten“ eingesetzt. Ebenfalls von Medrano kommen die vier Haflinger, die Direktionstochter Nicole Pichler in einem betont ruhigen Ablauf dirigiert.

Nur wenige Artisten arbeiten ein Zwei-Mann-Hoch auf dem Schlappseil, so wie Allesandro Gillert mit seiner Partnerin Christina Moia. Vor der Pause geht es hoch hinaus. In diesem Rahmen wirkt das Schlappseil-Requisit schon recht gewaltig,  beinahe schon wie ein Hochseil. Routiniert, als sei es die natürlichste und einfachste Sache der Welt balanciert der nicht mehr ganz junge Artist auf seinem labilen Arbeitsplatz. Unter anderem gehören Handstandwaage, Keulenjonglage, Skateboard und Einradfahrt zum Gebotenen. Das abschließende besteigen einer Leiter auf dem Seil wird äußerst wirkungsvoll mit wilder Schaukelei verkauft und entlockt so manchem Zuschauer Schreckenslaute.
In einer pantomimischen Musik-Komödie agieren die beiden gegen Ende des Programms. In einem bezaubernd anachronistisch wirkenden Kampf mit Hupen als 'Autofahrer' und 'Radfahrerin' zeigen sie feinsinnigen Humor und kommen beim Publikum hervorragend an.

Die Harlekin-Band unter der Leitung von Vadym Kovalchuk beendet mit dem von Tino Aeby komponierten Harlekin-Marsch die Pause. Die fünf Musiker und ihr Kapellmeister begleiten die komplette Vorstellung live. In diesem Jahr zeigen sich die Arrangements wieder flotter und moderner als die eher verhaltene Musikauswahl des letzten Jahres.
Fünf Mädchen der Juye Qilin Acrobatic Troupe glänzen gleich zum Auftakt des zweiten Programmteils mit variationsreichen Diabolotricks. Anmutig und verspielt agierend, wird die Wirkung durch eine exzellente Musikbegleitung noch gesteigert. Bei Harlekin verzichtet man an dieser Stelle auf die typische 'chinesische Musik' sondern setzt stattdessen auf perfekt passende, schwungvolle Swing-Melodien.
Abschließend präsentieren vier Truppenmitglieder eine beeindruckende Kontorrsion mit vielen schwierigen, kräftezehrenden Tricks. Atemlos Stille herrscht im Zuschauerraum wenn sich die vier Damen zum Höhepunkt ihrer Evolutionen übereinander als Pyramide in den Mundstand begeben und dabei kleine Teppiche kreisen lassen. Speziell die oberste Artisten muss dazu extrem lange – sie ist die erste, bzw. letzte die die Position einnimmt respektive verlässt – ihren Körper nur auf dem Mundstab ausbalancierend.

Das Finale wird bei Harlekin immer ganz groß zelebriert. Einzelvorstellung und Zugaben sind ebenso selbstverständlich wie abschließender Gesang aller Mitwirkender. Mit dem „Bye, Bye my Love“ der Black Fööss, Pedro Pichler ist großer Fan des Kölner Karnevals, natürlich mit eigenem Text beendet die Direktion traditionell die Vorstellung. Im Vorzelt werden die Besucher dann von den beiden Direktoren alle mit Handschlag und meist mit ein paar persönlichen Worten, bis zur nächsten Saison verabschiedet. Auch in der von uns besuchten Abschiedsvorstellung herrschte keine Hektik und Aufbruchstimmung, bekamen wir ganz im Gegensatz zu anderen Circussen ein ungekürztes Programm geboten. Die Restauration und der Barwagen waren, wie an anderen Tagen auch, noch einige Zeit nach der Vorstellung geöffnet und wurden gut genutzt, während am Chapiteau allmählich der Abbau begann.
Circus Harlekin ist in seinen Ausmaßen ein kleinerer Circus, allerdings in Optik und Qualität des Gebotenen den Großen zu zu rechnen.


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