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Text und Fotos Friedrich Klawiter
6. FESTIVAL der ARTISTEN
Kassel, 10. Januar 2015

http://flicflac.de
Zum „6. Festival der Artisten“, das wiederum von Benno Kastein und Thomas Schütte veranstaltet wurde, waren die gelb-schwarzen Zeltanlagen des Circus FlicFlac im Zentrum von Kassel auf dem Friedrichsplatz, einem der größten innerstädtischen Plätze Deutschlands, aufgebaut.
Für diese Edition wurde vollkommen neues Zeltmaterial in Betrieb genommen. Chapiteau, Vorzelt und Garderobenzelt glänzen natürlich in dem für FlicFlac typischen Streifendekor. Nur einige Fahrzeuge sind um die Zelte platziert und die den hohen Metallzaun zierenden Spannbänder mit Artistenportraits mussten an diesem Tag auf Grund des sehr stürmischen Wind eingerollt bleiben. An einem Portal aus Gitterohrträgern sind über dem Eingangstunnel die Leuchtschriften des Circusnamens und des Festivals angebracht.
Das Vorzelt ist im Innern völlig in schwarz gehalten. Die unzähligen Lichterketten, die mit kleinstem Abstand vom First bis zum Rondell gespannt sind, sorgen für eine angenehme Atmosphäre. Mannigfaltige Stände mit einem breiten Angebot laden die Gäste zum verweilen ein.
Gelb und schwarz – die Hausfarben des Circus FlicFlac empfangen die Gäste im Spielzelt.
Die gesamte Einrichtung präsentiert sich in schwarz. Gelb leuchten die zahllosen Lampen der voluminösen Lichtanlage, die abstrakte Muster auf das Zelt zeichnen.
Eine große Videowand vor der Gardine dient einer kurzen Präsentation der Künstler bevor sie die Bühne betreten.
Wie in den Vorjahren entscheiden pro Vorstellung zehn willkürlich ausgewählte Besucher mit ihrer Punkteverteilung über die Platzierung der Artisten und damit über die Vergabe der von Sponsoren gestifteten Festival-Preisgelder in Höhe von fünfzehntausend, zehntausend und fünftausend Euro.

Eine Tür, eine Kerze und ein Grammophon stehen auf der Bühne und eine flackernde Laterne hängt darüber - Clown Housch ma Housch trippelt herbei und gestaltet in seiner unnachahmlichen Art das Opening, das in eine Parade aller Artisten mündet.
Gleich die erste Darbietung, der Stangenwurf des Trio Yarmoshko war eines der Festival- Highlights, wie überhaupt der erste Programmteil von leistungs- und ausdrucksstarken Nummern geprägt war. Mit selten zu sehender Eleganz und Perfektion erfolgen die vielseitigen Tricks auf der Fiberglasstange. Sämtliche Saltos und Pirouetten werden sehr hoch und erstklassig ausgeführt sowie perfekt gestanden. Der Schwierigkeitsgrad steigert sich von Trick zu Trick und mit einem hervorragenden dreifachen Salto erreicht der Auftritt seinen Höhepunkt.

Die grazile und charismatische Rich Metiku aus Äthiopien begeistert mit ihrer ausgezeichneten Kontorsions-Darbietung. In unnachahmlicher Weise bringt die Artistin ihren Körper und seine Extremitäten in die unglaublichsten Positionen. In meditativer Gelassenheit und scheinbar ohne jede Anstrengung werden die einzelnen Kontorsionen sowie eine ganze Reihe an Kraftelementen ausgeführt.
Duo Racers nennen sich der ukrainische Einradartist Victor Gorodetskyy und seine Partnerin Julia. Temporeich und trickstark wird die ganze Bandbreite anspruchsvoller Einradartistik geboten. Auf einem Einrad werden Treppenstufen springend überwunden und Seil gesprungen. Quer zur Fahrtrichtung sitzend bewegt der Artist das Rad mit den Füßen auf dem Reifen laufend vorwärts. Von Alexander Zhukanov vor vielen Jahren in einer der ersten FlicFlac-Produktionen populär gemacht, erleben wir hier nach langer Zeit wieder einmal Tricks auf einem weiterentwickelten „Pur-Rad“. Ohne Sattel, nur auf den Pedalen stehend, bietet Gorodetskyy vielfältige Abläufe, die in Sprüngen von einem zum anderen Rad während der Fahrt gipfeln. Abschließend zeigt er sein großes Balancevermögen, wenn er zusammen mit seiner Partnerin auf einem hohen Stangenrad die Bühne umrundet.

Clown Housch ma Housch, alias Semen Schuster, ist mit zahlreichen Auftritten, der „rote Faden“ und das „Gesicht“ der Show, er sorgt für die Bindung, die aus rund einem Dutzend unterschiedlichster Nummern eine runde Show werden lässt. Mit seinem markantem Aussehen – Markenzeichen ist die außergewöhnliche Frisur – verkörpert er eine unverwechselbare Figur, die mit erstklassigem pantomimischem Spiel, charakteristischer Mimik, treffender Rhetorik - „kaputt“- und skurrilen Ideen die Zuschauer begeistert. Hingebungsvoll kämpft er mit einem Stromkabel gegen die Tücke des Objekts. Perfekt wird die Illusion vermittelt bei einem Stück Zottelfell handele es sich um ein lebendes Tier. Im zweiten Teil komplettieren das Konzert mit Klebeband und eine sehr ausführliche Beat Boxing Szene im Zusammenspiel mit zwei Zuschauern die Auftritte.
Valérie Inertie tritt als einzige mit zwei unterschiedlichen Darbietungen in dieser Show auf. Zunächst erleben wir die kanadische Artistin mit einer hervorragenden Arbeit an den Tuchstrapaten. Mit enormem Kraftaufwand gestaltet sie ihren ersten Aufstieg an den bis in große Höhe führenden Tüchern. Die Abfolge der Tricks unterscheidet sich deutlich von den meisten Darbietungen des Genres und erinnert, auch durch die vielen Kraftelemente, an die Arbeit am Chinesischen Mast. Selbstverständlich werden von der erfahrenen Artistin, der eine Beeinträchtigung durch eine noch nicht ausgeheilte Fersenverletzung bei ihren Auftritten nicht anzumerken war, auch riskante Abfaller an den Tüchern gezeigt.
Im zweiten Teil der Show erleben wir Valérie Inertie mit ihrer Kür am Cyr Rad. Ihr ungeheuer kraftvoll Auftritt lässt sie eins werden mit dem Requisit und in einem furiosen Wirbel erfolgt ihr Tanz mit und in dem Metallreif.

Den Reigen der tempogeladenen, mitreißenden Darbietungen des ersten Programmteils setzt Jongleur Claudius Specht fort. Mit ungeheurer Präzision absolviert der schweizer Gentleman die verschiedensten Routinen. Er beginnt den Auftritt mit einer temporeichen Keulenjonglage. Einzigartig, sind nach unserer Meinung, Metallbecher als Requisiten, mit denen die unterschiedlichsten Wurfmuster und Kaskaden ausgeführt werden. Eine wahre Augenweide für den technisch Interessierten ist der roboterartige, selbstfahrende und "Keulen werfende" Requisitenbehälter. Abschließend wechselt der Jongleur noch einmal zu den Keulen, hierbei zeigt er uns auch was Geschwindigkeit beim drehen derselben bedeutet. Schließlich werden sieben Keulen in einem perfekten Wirbel in der Luft gehalten.
Ventriologe Willer Nicolodi hat seine liebe Mühe mit seinem Bühnenpartner, der mexikanischen „Ratte“ Josélito - „mit die ché“ - und versucht den vorlauten Redeschwall in geordnete Bahnen zu lenken. Im zweiten Teil des Auftritts bittet er drei Freiwillige auf die Bühne und verleiht ihnen eine neue Stimme.  
Super Silva bietet mit seinem Deckenlauf einen sensationellen Akt hoch in der Kuppel des Chapiteau. Nach einigen Haltetricks am Trapez hangelt er sich kopfüber, nur mit den Füßen haltend, von einer zur nächsten Seilschlaufe. Dabei zeigt er Kehren und Wendungen, die vielen Zuschauern den Atem stocken lassen. Doch damit noch nicht genug des Nervenkitzels springt er abschließend direkt unter der Kuppel, auf jedwede Art von Sicherung verzichtend, von einem zu einem anderen Trapez. Chapeau.

Mit dem Flugtrapez der Flying Cortes beginnt der zweite Teil der Show. Ein kurzer Trapezbügel über der Fliegerposition und eine Reckstange über dem Fänger erweitern die Flugmöglichkeiten der Truppe. Jedoch werden sie von den drei Fliegerinnen und dem Flieger kaum genutzt. Ein gestreckt gesprungener Doppelsalto bleibt am nachhaltigsten in Erinnerung.
Die Kuskovs präsentieren ihre Ikarischen Spiele auf zwei Choppern und einem Trike. Die schweren, chromblitzenden Bikes machen mächtig Eindruck und die stilecht in schwarzem Lack und Leder auftretenden Artisten geben die coolen Rocker. Die beiden jugendlichen Flieger wirbeln sicher auf den Füssen ihrer Porteure und der größere der beiden zeigt seine Figuren auch auf dem langsam dahinrollenden Trike.
Die Hand-auf-Hand Darbietung von Dima und Dima wurde – ein wenig unverständlich – als vorletzte Nummer der Show platziert. Die beiden wirken ein wenig als Fremdkörper in der Show, da sie als einzige in FlicFlac typischer Attitüde zu Rammstein-Songs arbeiten. Vier brennende Benzinfässer auf der Bühne bilden den Rahmen der Darbietung, die als Kampf zweier Streetgang-Mitglieder inszeniert wurde. Wirkte dieser Auftritt in der „EXXTREM“-Show von FlicFlac durchaus stimmig, fehlt hier das Umfeld – Figuranten auf der Szene – und der Bezug zum weiteren Geschehen.

Die Wallenda Family setzt mit ihrer Arbeit auf dem Hochseil den Schlusspunkt in der Show. Nachdem ein Sicherheitsnetz über die vorderen mittleren Sitzreihen gespannt ist, das relativ kurze Hochseil ist zwischen den beiden vorderen Masten installiert, besteigen zunächst vier Wallenda-Damen das Seil und zeigen den Stand auf einem Bein anschließend folgt eine Dreierpyramide mit Kopfstand. Eine weitere Dreierpyramide, nun auf Fahrrädern und mit dem Sitz auf einem Stuhl auf der Spitze, ist ein weiterer Trick der sehr statisch wirkenden und langsam ablaufenden Darbietung. Die legendäre Siebener-Pyramide komplettiert die Darbietung. Bedächtig erfolgt der Aufbau der fragilen Formation die nach wenigen Schritten sicher die gegenüberliegende Plattform erreicht.
Zum kurz gehaltenen Finale kommen die Artisten durch Housch ma Houschs Tür auf die Bühne und werden vom Publikum, dessen Erwartungen erfüllt wurden, mit frenetischem Applaus gefeiert.
Den Epilog gestaltet Housch ma Housch in seiner unverwechselbaren Art.Von einem gelben Blatt Papier „liest“ der schwarz gekleidete Clown den „Nachspann“ in seinem typischen Brabbelslang vor, von dem nur das letzte Wort – ciao – klar zu verstehen ist.