Text und Fotos: Friedrich Klawiter
EUROPEAN CIRCUS FESTIVAL
Lüttich, 22. Dezember 2010

www.europeancircus.com
Zum zwanzigsten Mal veranstaltet Stefan Agnesen nun bereits sein European Circus Festival in Lüttich. Wie in all den Jahren ist der Circus an der gleichen Stelle im Parc d' Avroy an einer Hauptverkehrsstraße mitten in der Stadt installiert. Die gelb-blauen Zelte und Wagen sind in gewohnter Weise angeordnet. Eine Vielzahl an Lichterbögen und Tannen dekorieren die Front.
Sechs Reihen Logenstühle und neun Gradinreihen stehen den Besuchern zur Verfügung. Auffällig spät kommt ein Großteil der Besucher zur Vorstellung und so sind erst zur dritten Nummer so gut wie alle Plätze besetzt. Das Orchester unter der Leitung von Edward Tybursky gehört mit seinem eigenen Sound seit vielen Jahren als fester Bestandteil zu diesem Circus. In dieser Spielzeit kommen sie weniger zum Zuge, da viele Artisten Begleitung per CD bevorzugen.

Die Lichtanlage erfuhr in diesem Jahr eine weitere Aufrüstung.Zahlreiche Leisten kleiner sehr heller Leuchten, die in verschiedene Farben wechseln können, sind hinzugekommen.
Seit Jahren wird bei diesem Circus ein eigener revuehafter Präsentationsstil gepflegt. Großen Anteil daran hatte stets das Gino Serri Ballett, in diesem Jahr sorgt nun das Laurant Adoner Ballett für den glamourösen Rahmen. Die fünf Damen und zwei Herren sind in drei längeren Auftritten zu bewundern.


Zum Prolog tritt Francesco Shepperd in einem üppigen Weißclownkostüm in die Manege und beweist seine Musikalität auf dem Saxophon. Es schließt sich der erste Ballettauftritt an und natürlich gehört auch Monsieur Loyal Christophe Ivanes wieder zu den Akteuren. Wortgewaltig versteht er es entstehende Pausen zu überbrücken und die auftretenden Artisten ins Rechte Licht zu rücken. Monsieur Ivanes gelingt es, mit seinen Frackwechsel noch die Anzahl der zahlreichen Programmpunkte zu übertreffen.
Die 'Grande Dame' der Pferdedressur, Yasmin Smart, ist nach einem Engagement in England nun wieder einmal auf dem Festland zu erleben. Sechs dekorativ schwarz-weiß gefleckte Tinkerpferde zeigen unter ihrer Peitschenführung ihre Lauffiguren. Charmant und mit großer Souveränität lässt die Vorführerin die Aktionen ablaufen. 


Das Duo Gros bietet eine höchst eigenwillig gestaltete Hand-auf-Hand Arbeit. Ihre Kostüme sind mit Schaumstoffeinlagen extrem aufgefüttert, verformen ihre Körper zu einem dickbäuchigen Mann mit kräftigem Hintern, einer Frau mit ausladendem Hinterteil und kräftigen sonstigen Gliedmaßen. Die Köpfe, mit den hinter Masken verborgenen Gesichtern, wirken klein im Verhältnis zu den Körpern und insgesamt erinnert die Erscheinung an Figuren von Nicki St. Phalle. Ihre Aufmachung verleiht der ansonsten strengen Adagio-Arbeit eine feine Note Komik.
Den männlichen Partner sowie einen weiteren zu der Truppe gehörenden Artisten sehen wir später solo mit Equilibristik bzw. an Strapaten arbeiten. Diese Artisten waren an jenem Tag als Ersatz für die Kontorsion – Sacha der Frosch - von Olexandr Yeniyatov und die Equilibristik seiner Lebenspartnerin Aurelie Brua verpflichtet. Yeniyatov trat an diesem Tag im Finale der französischen Ausgabe des „Supertalents“ in Paris auf, derweil seine Partnerin ihm assistiert.

Weißclown Francesco Sheppert erfreut mit verträumten Spiel auf der Concertina und Gesang, dann folgt die vorzügliche Darbietung am Solotrapez von Beatrice Esterle. Die zierliche, nicht mehr ganz junge Artistin arbeitet sehr kraftvoll und elegant. Am ruhenden Trapez verzichtet sie auf jedwede Absicherung. Heute kaum noch gebotene Tricks sind Zehenhang – auch an einem Fuß - sowie Fersenhang und Genickhang, hier werden sie ohne Vorteil gearbeitet. Waage und verschiedene Abfaller werden mit großer Selbstverständlichkeit ausgeführt. Im weiteren Verlauf der Darbietung werden die Tricks in vollem Schwung wiederholt, dann allerdings mit Longensicherung.

Die drei Elefanten von Christine und Lars Hölscher werden vom Publikum mit lautem Hallo aufgenommen und es zeigt sich wieder einmal deutlich, dass „Wildtiere“ von den Zuschauern in einem Circus gewünscht, ja erwartet werden. Die Trickfolge ist umfangreich, abwechslungsreich und spannend. Pyramiden, Rüsselspagat, Handstand auf den Stoßzähnen und übersteigen des liegenden Vorführers gehören zum Repertoire.
Die Shepperd Clowns, Francesco nun im Habitus eines Augusts, machen „Bonbons für die Kinder“. Nachdem Christophe Ivanes gezeigt hat wie es geht, wird von den beiden Augusten in aller Ausführlichkeit ein Hut eingesaut und reichlich mit Wasser gespuckt. Nach Auflösung der Verwicklungen verabschiedet man sich mit viel Musik.


Der zweite Teil beginnt mit der Raubtierdressur von Kid Bauer. Der erfahrene Tierlehrer hat eine neue Gruppe zusammengestellt. Ein weißer Löwe, zwei weiße Löwinnen, drei normalfarbene Löwinnen und ein Tiger nehmen im Zentralkäfig auf den gleichfalls komplett neuen Requisiten Platz. Der Dompteur ist zur Zeit ein wenig gehandicapt, nach Ende des Gastspiels steht eine Hüftoperation an, ohne das es einen Einfluss auf den Ablauf der Nummer hat. Pyramide, Bar, Hochsitzer, Sprünge, „Seillauf“, Teppich, Rückwärtssteiger – viele Dressurelemente werden ruhig und sicher absolviert. Mit einem verschmitzten komödiantischen Lächeln verkauft Kid Bauer seinen „Irrtum“ der zwei Löwen einander auf den dünnen Stangen des „Seils“ begegnen lässt. Abschließend sind einige Runden entlang der Piste, dabei sind zwei Hürden zu überspringen, zu absolvieren. Es ist ein imposantes Bild, die eng beieinander laufenden großen Katzen in hohem Tempo die Manege umrunden zu sehen.
Wenig später präsentiert Kid Bauers fünfzehnjährige Tochter Namayca eine Ziegendressur.  Auch diese Vierbeiner absolvieren ihr Programm willig und in großer Gelassenheit.


In modernem interessantem Outfit präsentiert Xavier seine abwechslungsreichen Handstände. Die Nummer ist vom ersten bis zum letzten Augenblick durchdacht und gestylt, sie bietet erstklassige Akrobatik die kraftvoll und ansprechend ausgeführt wird.
Stephan heißt der junge Mann, der in einem sehr ähnlichen Stil seine Strapatennummer aufgebaut hat. Auch er beweist enorme Kraft und große Eleganz in der Ausführung an seinem Requisit. Effektvoller wäre es, würde er seine Tricks in größerer Höhe, oftmals agiert er nur ein bis zwei Meter über der Manege, arbeiten. Seine Arbeit beschließt er mit einem freihändigen Spagat in den Strapatenschlaufen hängend.

Waren vor wenigen Jahren marokkanische Springertruppen fester Bestandteil vieler Großcircus-Programme, sind sie heutzutage fast ganz aus dem Repertoire verschwunden. Beim diesjährigen European Circus Festival ist nun mit der Dzouzi Atlas Truppe wieder einmal dieses Genre besetzt. Die sechs Herren bauen flott und sicher eine Reihe Pyramiden und wirbeln anschließend in vielerlei Varianten von Salti und Flickflacks durch die Manege. So bekommt die Show am Ende noch einmal Schwung, Tempo und einen rasanten Höhepunkt.
'Lido de Paris' wäre die geeignete Überschrift für den letzten Auftritt des Balletts, der das Finale bestimmt. Die Artisten nehmen entlang der Piste Aufstellung. Zunächst verabschiedet sich Christophe Ivanes, dann dankt Direktor Stephan Agnesen für den Besuch. Auch der Epilog sieht Francesco Sheppert als Handelnden – singend, Frank Sinatra's „New York“ - lässt er die Show ausklingen.
Auch im zwanzigsten Jahr ist es Direktor Stephan Agnesen gelungen ein interessantes, abwechslungsreiches Programm zusammen zu stellen, dass hervorragende Circuskunst in einer ansprechenden Präsentation bietet und bestens unterhält.
optimiert