Text und Fotos Friedrich Klawiter
VANESSA & EMANUELE MEDINI
Koblenz, 06. Juni 2017

Rasant surren die Rollschuhe von Emanuele Medini Runde um Runde über die kleine Plattform, während Vanessa ihren Trick ausführt und die Pressefotografen das Paar eifrig, mit dem halbfertig aufgebauten Chapiteau des Zirkus Charles Knie im Hintergrund, ablichten.
Im Freien ohne Bühnenlicht und aus allernächster Distanz beobachtet erhält der Ablauf eine ganze eigene Dynamik, erscheint die Plattform wesentlich kleiner als in der Manege und der eigene Sound der Rollen auf dem hölzernen Geläuf transportiert eindrucksvoll das enorme Tempo der Aktion.
Direkt im Anschluss an das Shooting steht das sympathische Geschwisterpaar dem Reporter des „Lokalanzeiger“ Marcus Dietz und „circus-online“ für ein Interview zur Verfügung.
Die neunundzwanzigjährige Vanessa und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Emanuele kommen aus einer sehr großen italienischen Circusfamilie. „Unser Opa hatte vierundzwanzig Geschwister und sein Vater neunzehn“, erklärt Emanuele lachend, „wir sind im Circus unserer Familie aufgewachsen und sind von klein auf in dieses Leben hineingewachsen“. Natürlich kommt die Frage, ob und wie sich die Kindheit im Circus von der im bürgerlichen Leben unterscheidet. Die Geschwister berichten von einer wunderbaren und unbeschwerten Kindheit im Kreis der großen Familie. Circuskinder werden früher auf ihr Erwachsenendasein vorbereitet und eher an die Arbeit herangeführt. „Man lernt früher Verantwortung zu übernehmen, seinen Pflichten nachzukommen. Oftmals sind Circuskinder in ihrer Entwicklung gleichaltrigen Kindern aus dem privaten Leben weit voraus“.
Emanuele war mit vier Jahren als Clown in den Programmen des Circus seiner Familie zu erleben und Vanessa stand als Sechsjährige am Messerbrett und wirkte in der Western-Show mit. Für die beiden stand außer Frage, dass sie ihr Leben im Circus verbringen wollen.

Die Familie ermöglichte den Geschwistern eine professionelle artistische Ausbildung an der Circusschule von Verona. Dieses Institut gehört zu den bestrenommierten Italiens und genießt in ganz Europa einen ausgezeichneten Ruf. Fünf Jahre dauert die anspruchsvolle Ausbildung. In den beiden ersten Jahren werden Grundtechniken vieler Genres vermittelt und die angehenden Artisten probieren sich aus. „Nach den zwei Jahren entscheidet man sich für eine Disziplin, perfektioniert sich in dieser und schließlich entwickelt man mit dem Trainer seine eigene, manegenfertige Darbietung und seinen Auftrittsstil“.
Emanuele Medini entschied sich für die Handstandequlibristik und kreierte einen formibablen Act, während Vanessa sich eine Luft-Darbietung an Ketten aufbaute.
Nach erfolgreicher Beendigung der Circusschule waren sie mit ihren Darbietungen in den verschiedensten Engagements in europäischen Circusunternehmen und auf Kreuzfahrtschiffen unterwegs; hierzulande beispielsweise 2008 im Berliner Weihnachtscircus  des Circus Voyage und die Equilibristik-Nummer arbeitete Emanuele noch einmal 2015 im Offenburger Weihnachtscircus.

Natürlich wollten die Journalisten wissen, wie es bei der Vorgeschichte zur heutigen Rollschuh-Nummer kam. Nachdem sie einige Zeit mit ihren Solo-Nummern aufgetreten seien, berichtet Emanuele, der neben englisch auch deutsch spricht, hatten sie den Wunsch mit einem gemeinsamen Act aufzutreten. Nach einigen Überlegungen und ausprobieren sei die Wahl dann auf die Rollschuhe gefallen. Erneut begann eine längere Phase des Trainings und ausarbeiten des Acts. Schließlich war man dann soweit mit der neuen Darbietung vor Publikum auftreten zu können. Doch wirklich „fertig“ sei der Auftritt nie, erklären sie uns. „Wir hören nie auf Neues zu probieren, neue Tricks aus zu probieren und ein zu studieren. Wir entwickeln unsere Nummer ständig weiter und verändern sie dabei sukzessive. Solange wir arbeiten, werden wir immer wieder neue und andere Abläufe probieren, in den Act integrieren und die Arbeit damit für uns und die Zuschauer interessant machen“.
Rund siebeneinhalb Minuten dauert der rasante ablaufende Auftritt nun und dies genau die richtige Länge um eine Reihe anspruchsvoller Tricks zu zeigen und den Auftritt für die Zuschauer interessant zu halten. „Zu lange dauernde Nummern werden für die Besucher langweilig, nehmen Tempo und Spannung aus der Show“. Anfangs hätten sie aus Unerfahrenheit und „weil wir zeigen wollten, was wir alles können“ gute fünfzehn Minuten gearbeitet – die Aufmerksamkeit auf den Rängen habe spürbar nachgelassen.
Rein körperlich sei es für sie kein Problem so lange auf der kleinen Plattform zu rotieren. „Wir sind beide sehr gut trainiert, rein von der Belastung her können wir auch eine halbe Stunde und mehr fahren“. Tägliches Training ist für die beiden unerlässlich. „Außer den beiden Auftritten arbeiten wir täglich etwa eine Stunde lang um in Form zu bleiben“. Emanuele geht dafür häufig auch zum Krafttraining in Fitness Studios, gilt es für ihn den nicht unerheblichen Fliehkräften Stand zu halten.

Auf Grund wessen sie keine Probleme mit Schwindel nach den schnellen Drehungen, im Gegensatz zu dem Zuschauer, der für ein paar langsame Runden auf den Händen der Geschwister ruht, erkennen lassen würden, ist eine der Fragen. Zu einem geringen Teil sei dies schon auf eine Veranlagung des Körpers mit schnellen Drehbewegungen umgehen zu können und eine gewisse „Schwindelfreiheit“ zurück zu führen. In erster Linie hänge es aber mit dem entsprechenden ständigen Training und dem Gewöhnungseffekt zusammen,  dass sie nicht die Orientierung verlieren. Vanessa betont, dass sie nach dem Auftritt schon eine Weile brauche, bis sie die Umwelt wieder völlig relaxed und „normal, so wie jetzt zum Beispiel“ wahrnehme und der Adrenalinspiegel unten ist. Die Plattform auf der die beiden ihr Können demonstrieren, ist wie bei allen Rollschuhartisten, eine individuelle Anfertigung. In diesem Fall misst sie einen Meter und neunzig Zentimeter im Durchmesser und ist zur Mitte hin um vier Zentimeter abgesenkt. Den idealen Durchmesser und Steigungswinkel muss jeder Artist für sich individuell herausfinden, da die Parameter von Körpergröße, Gewicht und Tempo abhängen. „Letztlich entscheidet das Bauchgefühl, wie ich am besten fahren kann. Es ist nicht so, dass wir einfach auf ein Requisit eines anderen Artisten wechseln könnten und dort unseren Act bewältigen könnten“.

Selbstverständlich, antworten sie auf die Frage nach Zwischenfällen, habe es solche auch schon einmal gegeben. Wenn, treffe es Vanessa – als Voltigeuse – immer härter bei einer unplanmäßigen Landung. Man erinnert sich daran, dass einmal der Tisch nach dem Training ohne Abdeckung im Sattelgang stand und man nicht bedachte, dass vom Zelt herabtropfendes Kondenzwasser herabtropfte. Beim einige Stunden später stattfindenden Auftritt war der Untergrund auf Grund der Feuchtigkeit zu einem glitschigen und unbeherrschbaren Geläuf geworden.

In der fünften Saison sind die Geschwister nun mit dem Zirkus Charles Knie auf Tour. Ihnen gefällt es im Unternehmen ausgesprochen gut. Die Arbeitsbedingungen seien sehr gut und der Kontakt mit der Direktion und den Kollegen sehr angenehm. „Wir sind hier in einer sehr schönen Compagnie. Wir verstehen uns untereinander alle sehr gut und es gibt einen großen Zusammenhalt im gesamten Team“. Rund neun Monate Saison seien eine lange Zeit, in der man auf engstem Raum mit vielen Menschen verschiedener Nationalitäten und aus verschiedenen Kulturkreisen rund um die Uhr zusammen lebt und arbeitet. „Da ist es wichtig, das die Chemie stimmt, man sich gegenseitig respektiert und unterstützt“.

Wir danken dem Pressesprecher Patrick Adolph, der sich als Dolmetscher zur Verfügung stellte, für die freundliche Aufnahme. Emanuele und Vanessa Medini danken wir für das offene, ausführliche und informative Gespräch und für die Zeit, die sie sich für uns genommen haben.

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