optimiert



Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCUS PINDER
Nancy, 25. Juni 2009

www.cirquepinder.com
Der Circusplatz in Nancy, am Oberlauf der Mosel, liegt inmitten der Stadt. Direkt vor der Universität finden wir die Place Carnot, nur einen Häuserblock von der Fußgängerzone entfernt. Bekanntermaßen reist Pinder, bis auf ganz seltene Ausnahmen ohne Ausfalltage. So dröhnt denn morgens gegen ein halb acht Uhr das Lufthorn von Frederic Edelstein' s Kenworth-Truck durch die Stadt, als der Circuskonvoi sich seinen Weg durch den morgendlichen Berufsverkehr bahnt. Im Verlauf von etwas mehr als einer Stunde sind sämtliche zahlreiche Transporte vor Ort, und kurz darauf folgt der Konvoi der Artistenfahrzeuge.
Das große Chapiteau passt genau zwischen Straßenlaternen, Grünfläche und den Rand des Platzes. Die Stallungen finden zu beiden Seiten ihren Platz. Die enorme, sonst nirgends in diesem Umfang mehr vorhandene, Raubtiermenagerie wird mit ihrer 'Schauseite' zur Straße hin - unmittelbar neben einem Fußweg, dem  Ausgang einer Tiefgarage - ausgerichtet. Sämtliche Wohnwagen, Küche, einige Materialwagen und Werbefahrzeuge finden ihren Standort in der parkähnlich angelegten 'Allee Arlette Gruss', die durch eine Verbindungsstraße vom Hauptplatz getrennt ist. Es ist ein sehr großer, ein wahrer „europäischer Gigant“, Circus, der sein sauberes modernes Material hier ausbreitet. Hier wird zum letzten Mal vor der 'Sommertournee' - wie man die zahlreichen Eintagesplätze in den Badeorte der Nordsee- und Atlantikküste nennt - das dieses Equipement benutzt. Das „Sommerchapiteau“ hat zwei Reihen Gradin weniger, ist zwei Meter niedriger, einen einfacheren Artisteneingang und eine etwas reduzierte Lichtanlage. So können die Montagezeiten reduziert werden, was bei zahlreichen Eintagern ohne Ausfaller und zwei täglichen Vorstellungen durchaus sinnvoll ist.

Die abendliche Premiere im sehr gut gefüllten Chapiteau wartet mit einem 'großen Programm' in der bei Pinder üblichen Präsentation auf. Dazu zählen einerseits 'klassische Genres' - Raubtiere, Elefanten, fliegendes Trapez, Jongleur, Clownstrio - die immer in einem Pinder Programm vertreten sind, anderseits eine schnörkellose Präsentation in Form eines reinen Nummernprogramms. Einzig Frederic Colnot, seit vielen Jahren ein sympathischer hervorragender 'Monsieur Loyal' im Hause Pinder, überbrückt  Umbaupausen. Ansonsten wird es kurz dunkel und dann folgen die nächsten Artisten. Circus pur - gut, schnell, ungekünstelt, echt.
Die Lichtanlage zeigt sich modern bestückt, ihr Einsatz mutiert aber nicht zum künstlerischen Selbstzweck. Ein wenig schwieriger sieht es da schon mit der musikalischen Beschallung aus. Die Auswahl der Musik erscheint ein wenig willkürlich. Je nach Sitzplatz ist sie einfach nur krachend laut bis fast nicht hörbar. Der live mitspielende Schlagzeuger richtet sein Tun des öfteren nicht nach dem aktuellen Stück, gibt einen anderen eigenen Rhythmus vor.

Dieses an Höhepunkten reiche Programm beginnt gleich mit seinem Star. Der „berühmte Dompteur Frederic Edelstein - weltweit einmalig - allein im Angesicht von sechzehn Raubkatzen“, soweit das Zitat aus der Pinder-Werbung, teilt den Käfig mit vier Tigern/innen, vier männlichen und acht weiblichen Löwen. Mit großer Umsicht, Mut und hohem Einsatz an Energie dirigiert er seine Tiere, fast ohne Distanz agierend, zu großartigen Tricks. Eine große Pyramide aller Katzen, verschiedene Sprünge, Fächerlauf und diverse Hochsitzer werden genauso selbstverständlich gezeigt, wie zwei Tiger als Steiger. Acht Löwen/innen liegen gemeinsam ab und der Dompteur wirft sich quer auf/über seine Tiere. Der Sprung einer Löwin über den abtauchenden Vorführer gehört genauso zum Repertoire, wie die finale Pose mit Löwenmann auf der Spiegelkugel.
Der Zentralkäfig ist zum Teil entfernt, das Gewusel in der Manege lässt nach und stört kaum noch Akaena, die nun mit ihren Evolutionen am Ring beginnt. Die junge Frau südländischen Ausehens beweist große Kraft, bietet attraktive Tricks. Ihre Arbeit ist bei weitem mehr als eine Umbaupausen-Überbrückung. Die Marti Brothers arbeiten eine recht unspektakuläre Hand-auf-Hand Nummer, die auch nicht besonders Trick reich ausfällt. Die Schauspielerei, mit der der „Sturz“ beim finalen Trick verkauft wird, ist schon gewaltig übertrieben und als 'Zeit schinden' zu bezeichnen.

Zweimal sind die kubanischen Artisten der 'Los Mendes Troupe' zu bewundern. Zu fünft agieren sie auf dem russischen Barren. Es ist eine ganz andere Art der Präsentation, als man sie ansonsten von den eher Ballett oder Turnsport orientierten Gruppen kennt. Tänzerisch verspielt, mit südamerikanischer Lebensfreude und von ebensolcher Musik begleitet werden alle genereüblichen Tricks, bis hin zum dreifachen Salto, mit bemerkenswerter Präzision ausgeführt.
Mit der gleichen Fröhlichkeit präsentieren sie zu viert ihr Können mit Springseilen. Auch dieser Auftritt zeichnet sich durch die erstklassige Ausführung aus. In dieser Form ist der Schlusstrick eine Neuheit. Einer der Herren nimmt die Partnerin auf die Schultern, je eine Zuschauerin hängt sich rechts und links auf seine Hüften und dann springt er Seil.

Im vergangenen Jahr war Romina Micheletty mit ihren Hula Hoops bei Barelli zu sehen und nun kann man leicht sehen, wie perfekt die Nummer dort präsentiert und durch das fantastische Orchester unterstützt wurde. Hier, auf dem schlichten Kunststoff-Manegenteppich und zu relativ schwermütiger langsamer Musik zu Beginn der Darbietung, erreicht sie bei weitem nicht die Publikumswirkung wie auf der Barelli-Bühne.
Ihr Lebenspartner Francois Bori, ebenfalls Barelli bewährt, wirbelt rasant mit seiner Keulenjonglage durch die Manege. Bis zu sieben Keulen lässt er variantenreich fliegen während er mit dem Publikum flirtet.
Leider pausierte die hervorragende Illusions-Show von Sophie Edelstein verletzungsbedingt. Wie wir erfuhren hatte sie sich einige Tage zuvor beim Auftritt an einer Hand verbrannt.
Traditionell sieht man in der Pindermanege klassische Clownstrios; mit Reprisenclowns, Komikern oder modischer Mitmach-Clownerie hat man es in diesem Circus überhaupt nicht. Aktuell hat man mit den Harizanov nun ein Quartett engagiert. Mit sehr viel Musik auf den unterschiedlichen Instrumenten werden die Blödeleien in einem sich stetig im Tempo steigernden Wirbel präsentiert.

In der Vergangenheit wurden Darbietungen mit Pferden oftmals stiefmütterlich im Pinder-Programm behandelt. Aktuell hat man nun, seit längerer Zeit wieder einmal, eine hervorragende Pferdefreiheit im Repertoire. Gaby Dew, sie hat ihr Fach bei Alexis Gruss erlernt und u. a. bei Alberto Althoff in Holland gearbeitet, ist mit ihren acht eigenen Pferden engagiert. Die hier präsentierten Freiheitspferde laufen ihre Formationen perfekt, zeigen anspruchsvolle Figuren. Einige Da Capo-Steiger runden den Auftritt ab.
Seit Sacha Houcke die Pinder Elefanten übernahm zeigen die beiden Damen eine erstklassige, sehr flott vorgetragene Darbietung. Ein weiteres Mal sehen wir den erfahrenen vielseitigen Dresseur mit dem anspruchsvollen Exotenzug, der bereits Ende des vergangenen Jahres debütierte. Je drei Norwegerpferde, Kamele, Esel, Lamas und ein Zebra umfasst diese Gruppe, deren Repertoire in einem großen Karussell aller Tiere gipfelt.
Unweigerlich endet der erste Programmteil bei Pinder mit dem fliegenden Trapez. Aktuell sind die Flying Costa mit dieser Aufgabe betraut. Im Gegensatz zu Vorstellungen bei Barum im letzten Jahr oder davor bei Alexandre Bouglione fiel die Nummer in der besuchten Vorstellung extrem kurz aus. Einschwingen, je ein Sprung von den beiden Fliegern, Passage und schon war die Nummer zu Ende - ohne dass die Dame der Truppe die Trapezstange auch nur einmal angefasst hatte.

Mit einem ähnlich spektakulären Akt wie zu Beginn endet auch die diesjährige Show. Die Navas Brüder ziehen mit ihren waghalsigen spektakulären Sprüngen auf dem Todesrad alle in ihren Bann. Diese Nummer beinhaltet alle Zutaten die es braucht - starke Tricks, Risikobereitschaft, exzellenter Verkauf, stimmige Musik - um zu den ganz Großen zu gehören. Neben den extrem hohen Sprüngen auf der Außenbahn des Rades werden als Spitzenleistung außen drei Saltos auf dem rotierenden Rad gezeigt. Alle diese Sprünge gelingen mustergültig, werden nur auf den Füßen gelandet und lassen ein normales flüssiges weiterlaufen zu. In dem flacheren Chapiteau der Sommertournee können die Salti nicht gezeigt werden. Dort ragt das Rad zwischen die Stangen des Trapezapparates, schon das hinausgehen auf die Außenbahn ist nicht uneingeschränkt möglich, bei allen Aktionen außen steht wenig Raum zur Verfügung.
Das immer gleiche kurze Finale bei Pinder kann zur Zeit mit einer Besonderheit aufwarten - vier kleine Tiger werden von Frederic Edelstein und Sacha Houcke in einem Weidenkorb auf einem Wagen herein geschoben. Ihr künftiger Dompteur kann sie noch anfassen und auf dem Arm präsentieren, muss aber schon genau auf Zähne und Krallen achten. Beim morgendlichen Pressetermin war schon ein wenig Blut geflossen. So findet denn ein wirklich gutes Programm seinen gelungenen Abschluss. Pinder zu besuchen ist nicht nur wegen des Programms, sondern auch weil er einer der wirklichen ganz wenigen noch reisenden Großcircusse ist, lohnenswert.