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Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRQUE PINDER
Paris, 12. Dezember 2009

www.cirquepinder.com
„Le Geant European“ - der Gigant Europas – sieht man den Circus während seines Gastspieles über den Jahreswechsel in der Hauptstadt wird sehr schnell klar, dass diese Werbebotschaft ohne jede Übertreibung daherkommt. Das Aufgebot an Chapiteaux und Fahrzeugen reicht gut und gerne zur Ausstattung mehrerer Großcircusse aus. Zwei große, in der Saison als Spielzelte genutzte, Chapiteaux dienen hier als Dinerzelte für Galagäste. Das Spielzelt, ein gewaltiger Sechsmaster fasst rund fünftausend Besucher.
Der Entreebereich, er wird in jedem Jahr neu gestaltet, zeigt neben Front- und Kassenwagen einige riesige aufblasbare Figuren sowie Gitterbögen mit Leuchtschriften und entlang des Zauns sind die Werbewagen des Circus aufgereiht. Im ersten Vorzelt, dass die Besucher betreten, sind einige historische Pinder-Fahrzeuge ausgestellt. In erster Linie ist es der Platz, an dem die Galabesucher die Weihnachtsgeschenke ihrer Arbeitgeber entgegen nehmen.  Das zweite Vorzelt mit der Restauration wurde neu ausgestattet. Sechs dekorative Holzbuden haben die normalen Verkaufswagen ersetzt. Weihnachtliche Leuchtelemente, große Poster und Großfiguren gestalten den Raum. Im Chapiteau folgen auf die vier Logenreihen einundzwanzig Sitzreihen des Gradins, im mittleren Bereich sind Schalensitze montiert während seitlich Holzbänke mit Rückenbretter die Besuchermassen aufnehmen. Aufwändig der gesamte Aufbau – alle Zugänge unter dem Gradin und das gesamte Foyer sind komplett mit roten Stoffbahnen und Teppichboden ausgekleidet. Mehr als zweihundertfünfzig Scheinwerfer und Scanner illuminieren die Show perfekt. Das Weihnachtsgastspiel findet vom 7. November bis zum 10.Januar statt, sieht etliche Tage mit drei und gar vier Vorstellungen vor. Viele davon sind als komplette Galas verkauft.

Nicht nur das Äußere des Circus begeistert und wird dem Slogan gerecht, auch das Programm zeigt sich eines 'europäischen Giganten' würdig. Die Qualität der allermeisten Darbietungen ist erlesen und deren Anzahl überdurchschnittlich. Als klassisches Nummernprogramm in sehr ansprechender Form präsentiert, stellt es einen jeden zufrieden. Einziger unerfüllter Wunsch ist der nach Livemusik. Die Vielfalt der Genres, das Vorhandensein aller Großtiere die noch vor wenigen Jahren in einem Großcircus selbstverständlich waren, machen diesen Besuch zu einem Erlebnis. Die Präsentation -  die Qualität von Licht und Ton, Komfort und sonstiger Ausstattung -  sind absolut auf der Höhe der Zeit. Das Gesamterlebnis 'Pinder in Paris' ist topp, zeigt was echten Großcircus ausmacht. Zeigt,  dass echter guter Großcircus noch nicht vollkommen ausgestorben ist.

Wir hatten Gelegenheit die Soiree an jenem Samstag zu sehen. Es war die vierte Vorstellung des Tages, sie begann um etwa einundzwanzig Uhr dreißig und man kann die Leistungen der gesamten Pinder-Crew kaum hoch genug würdigen. Seit dem frühen Vormittag -  die Matinee startete um zehn Uhr – vier Auftritte dazu Einlass, Verkauf während der Pause und Finale, für alle Mitwirkenden war der Tag mehr als ausgefüllt.

Diese Vorstellung war eine der fünf Galas, die von der Pariser Polizei geordert worden waren und einige Mitglieder deren Sportgruppe arbeiteten während des Einlasses zwei  artistische Darbietungen. Zwei etwa fünfzigjährige Polizisten beeindruckten zutiefst mit ihrer Nummer auf einer freischwebenden Leiter. Etwa sechs Meter über der Manege lag sie ungesichert mittig auf einer Achse und wird durch die beiden -ebenfalls ungesicherten- 'Artisten' im Gleichgewicht gehalten. Die beiden Herren zeigen ein komplettes Repertoire Tricks an ihrem hochgelegenen Arbeitsplatz. Höhepunkt ist der Zahnhangwirbel des einen Akteurs. Der Abgang über die Haltestangen des Apparates im Stil einer Arbeit am Chinesenmast verblüfft nochmals. Mit  entsprechenden Kostümen und ein klein wenig mehr Verkauf, wäre diese Nummer die Attraktion in sehr vielen Circussen. Ihnen folgen neun jüngere Kollegen, die im Stil der Holmikers agieren. Auch ihre Darbietung hält jedem Vergleich mit Profi-Artisten gleich. 

Das Gestühl ist aller bestens besetzt, die Musik legt los und die Show beginnt ohne langwierige Präliminarien mit einer der faszinierendsten Raubtiernummern unserer Tage.  Die folgenden, vor knapp einem Jahr verwendeten Worte treffen es auch heute noch perfekt: „Trockeneisnebel wabert über den Manegenboden und im gedämpften Licht füllen zunehmend mehr Löwen/innen den Zentralkäfig. Ein wunderbares, heute leider viel zu selten zu sehendes, Bild. Dompteur Frederic Edelstein kommt in den Käfig, greift ordnend ein, die Tiger kommen dazu und der Dompteur formiert die große Pyramide. Sechszehn Raubkatzen haben ihren Platz eingenommen. Umfangreich ist das Repertoire spektakulärer Tricks. Sprünge und Hochsitzer wechseln mit Steigern und Fächer  – alle Tricks die von einer 'großen gemischten' erwartet werden dürfen, werden geboten. Frederic Edelstein lässt die Löwen in einer Reihe abliegen und wirft sich im einem Hechtsprung mitten unter sie – ein Trick, den der Chronist seit den Tagen eines Pablo Noel bei Carola Williams nicht mehr sah. Auch der Sprung einer Löwin über den niederknienden Vorführer wird gezeigt. Abschließend präsentiert sich der Dompteur mit einem Löwenmann auf der Spiegelkugel und lässt sich mit donnerndem Applaus feiern.“

Das aktuelle Programm diesen Jahres wurde insoweit unverändert gezeigt, als es die Darbietungen die im vergangenen Jahr noch nicht in Paris zu sehen waren, betrifft. So waren Francois Bori mit seiner Keulenjonglage und seine Partnerin Romina Micheletty mit Hula Hoop, Akaena am Luftring, die Harizanov Clowns sowie die Martis Brothers weiterhin dabei. Die Truppe Havanna zeigte nur ihre starke Leistung auf dem russischen Barren.

Die grandiose Großillusionsshow von Sophie Edelstein beinhaltet einige erstklassige neue Tricks. So erscheint etwa einer ihrer Assistenten aus einem Stuhl. Mit Unterstützung von fünf Tänzern zeigt sie eine außergewöhnliche Vielzahl feiner Tricks. Perfekte moderne Zauberrequisiten, gute professionelle Choreographie und flotter Ablauf kennzeichnen diese Show.
Der großartige Exotenzug wurde von Sacha Houcke variiert. Zuerst zeigen sechs Kamele eine ausführliche, Figuren reiche  Laufarbeit. Das große Karussell aller Tiere fasziniert immer wieder aufs Neue. Vier Kamele liegen ab, ein Zebra in der Manegenmitte und drei Esel zwischen den Kamelen stehen auf ihren Tonneaus. Drei Lamas laufen auf der Außenbahn die Kamele überspringend, während drei Pferde auf dem inneren Ring gegenläufig unterwegs sind. Dieses anspruchsvolle Bild wird vom Dresseur perfekt und ohne erkennbare Hilfe von weiteren Bereitern vorgeführt. Ein Da Capo Steiger der drei Pferde beendet diesen gelungenen Dressurakt. Wenig später leitet er die beiden Elefantendamen des Circus Pinder zu ihrem reichhaltigen Trickrepertoire an. Auch dieser Auftritt besticht durch die Ruhe und Perfektion seiner Ausführung.

Neu im Programm sind zwei verschiedene große chinesische Truppen. Da ist zunächst eine eindrucksvolle Luftdarbietung. Monsieur Loyal Frederic Colnot bemüht in der Ansage, wie immer in französischen Circussen wenn es um Flugnummern geht, Leotard, dann startet eine fulminante Show. Der Luftapparat ist in enormer Höhe und hohem Abstand zum Netz angebracht. Drei frei stehende Fänger – nur ein lose anliegender Gurt vor dem Bauch sichert sie -  sind hintereinander aufgereiht, unter dem mittleren ist ein drehbares Trapez mit einem weiteren Fänger installiert. Zwischen diesen Stationen werden die  drei Flieger/Innen in vielfältigsten Variationen voltigiert. Salti, Pirouetten und Passage werden geflogen. Der dreifache misslingt im ersten Anlauf knapp, was vom Sprecher sofort mit der hohen Belastung bedingt durch die vierte Vorstellung des Tages entschuldigt wird.

Die Uhr zeigt zehn Minuten vor Mitternacht, als Sacha Houcke in Vertretung von Gaby Dew deren Pferde vorführt. Elegant im gut sitzenden schwarzen Frack agiert er meisterhaft. Perfekt laufen die acht Hengste ihre Figuren und Da Capi – ganz ganz großer Circus, der hier perfekt geboten wird.

Aus Hebei kommt die zweite chinesische Truppe. Zweimal in jeder Vorstellung begeistern die acht jungen Männer mit ihrem Können. Große Schleuderbrett-Truppen sind rar geworden in den Manegen - umso schöner, dass man hier eine hervorragende Darbietung genießen kann. Geschmackvolle Kostüme, eine straffe disziplinierte Choreographie und Spitzentricks  - Vier-Mann-Hoch ohne Stützstange, Flug zum Drei-Mann-Hoch in den Sessel auf einer Perch – hier stimmt einfach alles. Ihren zweiten Auftritt mit Lassos tragen sie schwungvoll vor. Salti und Flick-Flacks in vielerlei Varianten werden durch die rotierenden Seilschlingen gesprungen.

Die aufblasbare Weihnachtsmannfigur zum Finale hat Kultstatus und 'Petit Papa Noel' schallt es aus den Boxen. Dazu gibt es heuer zwei chinesische Löwen und ein wenig Drachentanz. Das Finale bei Pinder ist stets kurz und knapp, folgt der immer gleichen Regie. Sprechstallmeister Frederic Colnot, er ist während der gesamten Show ein eloquenter Ringmaster, stellt die Artisten vor, ein wenig kollektiver Tanz und Feuerwerk, dann ist die Show aus.
Es ist ein großes Programm, dass „le Geant European“ bietet. Ein circensischer Hochgenuss, wie man ihn andernorts kaum mehr geboten bekommt. Auch wenn die meisten der ausharrenden Besucher um null Uhr fünfzehn müde sind und viele den Circus nicht aus echtem Interesse – sondern weil es die Weihnachtsfeier war – besuchten, der Applaus zeigt deutlich, dass dieses Circusprogramm die Zuschauer in seinen Bann gezogen hat.