Text und Fotos Friedrich Klawiter
Festi'val des Couleurs du Cirque de Vaucouleurs
Vaucouleurs, 12. Juni 2009
Zum neunten Mal wurde dieses Festival mit dem ein wenig sperrigen Namen in diesem Jahr durchgeführt. Vaucouleurs ist eine kleine Stadt, knapp 2200 Einwohner zählend, im Osten Lothringens, etwa zwanzig Kilometer westlich von Toul, inmitten der tiefsten französischen Provinz gelegen. Bekanntheit erlangt hat man durch Jeanne d' Arc, in der Nähe geboren, deren 'Karriere' hier begann. Ihr Reiterstandbild vor dem Rathaus ist das touristische Highlight der Region.
Festivalveranstalter ist ein örtliches Komitee. Man greift auf die Infrastruktur und in weiten Teilen auch auf das Programm eines Circus zurück. In diesem Jahr war dies erstmals der 'Cirque de Venise' der Familie Landri. Das Festival währt vier Tage. Der erste Tag wird von den Circusschulen Lothringens gestaltet. Vier 'normale' Vorstellungen finden statt und am Samstagabend gibt es ein Dinerspektakel mit Preisverleihung. Ausstellungen der französischen Circusfreunde und von aucirque.com, eine Tauschbörse sowie Heilige Messe in der Manege gehören ebenfalls dazu.

Am Samstagvormittag findet eine Parade statt. Hierzu wird die Hauptstraße der Ortschaft gesperrt. Die gesamte Bevölkerung scheint auf den Beinen und dicht gedrängt wartet man am Straßenrand auf das Ereignis. Nicht nur der Circus, sondern auch die örtlichen Vereine beteiligen sich an dem Event, dass für den Rheinländer sehr einem Karnevalsumzug ähnelt. Nur die beiden Stars des Festivals, Regina Bouglione und Sergio, nehmen nicht teil sondern flanieren privat durch die Menge.
Vorneweg die Gendarmerie mit Blaulicht, Fanfarenkorps, Majorette-Gruppe, Festwagen der Feuerwehr besetzt mit einem Dutzend 'Clowns', örtliche Hobby-Artisten als Clown bzw. jonglierender Einradfahrer. Dann folgt der Circus mit Cowboys, Schulreiter, Freiheitspferd, Kamel, Lamas, Artisten und dem eigenen Werbefahrzeug. Den Abschluss bildet eine Blaskapelle in Clownskostümen. Am Ende der Hauptstraße wendet der Zug und nach einem zweiten Durchgang verläuft sich die Menge und die normale mittägliche Ruhe und Beschaulichkeit hält wieder Einzug auf dem kleinen Markt rund um Jeanne d' Arc' s Denkmal.


Der Circusplatz liegt etwa zwei Kilometer außerhalb der Stadt - eine große Wiese umgeben von weitläufigem Agrarland. Der Cirque de Venise stellt sich als ein veritables, attraktiv anzusehendes Unternehmen dar. Wie mehrfach im Gespräch betont, hat man nicht den kompletten Circus zum Festival-Gastspiel verbracht. Ein Teil des Materials sei im Raum Paris, wo man anschließend auch wieder reisen wird, verblieben.
Ein größerer moderner roter Viermaster, mit auffälliger Kuppel, beherrscht den Platz. Passend dazu Vorzelt und Stall. Der Fuhrpark unterscheidet sich sehr von dem anderer Circusse in Frankreich - er ist grün lackiert. Die absolute Ausnahme, in einem Land in dem „alle“ Circusse in rot, gelb, höchstens noch in blau daherkommen.
Der Fassadenwagen ist beeindruckend bemalt und dekoriert. Das Thema, das sich auch im Namen des „Circus von Venedig“ wiederfindet, wird bereits hier hervorragend dargestellt. Auch wenn das Festival-Programm nur in Passagen dem des 'normalen' Cirque de Venise entspricht, lässt sich sagen, dass das Thema durchgängig, schlüssig und konsequent umgesetzt wird.
Der Artisteneingang aus dunkelrotem Tuch mit dezenten goldenen Absetzungen harmoniert gut mit üppiger dekorierten Logen. Auch die Piste mit den oben aufgesetzten Lichtern und dem roten Stoffbehang passt genau dazu. Man verhehlt nicht, dass 'Il Florilegio' - der Circus Darix Togni  - das Vorbild ist.

Der Zentralkäfig ist aufgebaut und aus dem Off begrüßt Sergio das, in Anbetracht des heißen sonnigen Nachmittags - der Anzahl der Vorstellungen und der in Relation geringen Einwohneranzahl, erstaunlich zahlreiche Publikum. Wortreich das 'alte Rom' beschwörend wird der „moderne Gladiator - Ivan Landri“ annonciert. Aus vier Löwinnen und drei Tigern, alles noch recht junge Tiere wie uns der Vorführer erzählt, setzt sich seine Gruppe zusammen. Es ist eine erstklassige Raubtiernummer, die einem jeden Programm gut zu Gesicht stehen würde, die nun abläuft. Eröffnet wird die Trickfolge mit Sprüngen von mehreren Tieren durch den Feuerreifen. Dann folgt eine Vielzahl, auch selten zusehender, ideenreicher Tricks. Den Abschluss bildet der Steigerlauf einer Löwin.
Den Käfigabbau überbrückt Elena am Trapez. Sie versteht es, ihre ansprechende Arbeit elegant zu verkaufen.
Nun kommt Sergio erstmals in die Manege. Wortreich, fast schon ausufernd seine Plaudereien und Ansagen. Wir können ihnen wegen mangelnder Sprachkenntnisse nur bedingt folgen, aber auch dem um uns sitzenden einheimischen Publikum ist die zunehmende Ungeduld anzumerken. Leider nimmt er dem interessanten Programm Schwung und Tempo, schafft Längen - er zerredet es einfach. Seine erste große Eloge endet mit der Präsentation von  -  Regina Bouglione. Der tiefere Sinn die attraktive Vertreterin der berühmten Pariser Circusdynastie zu verpflichten, erschließt sich uns allerdings nicht. Sie trägt zum Programm außer ihrer Anwesenheit nichts bei. Freundlich lächelnd ist sie nur stumme Begleiterin Sergios bei dessen Ansagen.
Am Ringtrapez zeigt die sechsjährige Victoria, in Relation zum Alter, eine ausgereifte Kür. In chicem Kostüm und passend dekoriertem Requisit wird das kleine Mädchen gleich zum Publikumsliebling.
Zum Saisonprogramm des 'Cirque de Venise' gehört das Trio Radoi. Sie leiten den orientalischen Block mit ihren Feuerspielen ein. Abwechslungsreiche Jonglagen mit diversen brennenden Requisiten wechseln mit hoch ausgestoßenen Feuersäulen ab. In der Folge präsentiert Seniorchef Yves Landri den 'Cocktail exotique', wie das Exotentableau hier heißt. Nach einem Strauß folgen Zebra, dann zwei Kamele.
Der jüngste, der drei im Geschäft mitreisenden Söhne, Micael, demonstriert seine Kräfte an den Strapaten. Sein Bruder Steven reitet eine Hohe Schule. Diese wird eingeleitet und begleitet von einer Tänzerin in venezianischem Kostüm. Auch die zweite Luftnummer des Programms ist den Landris vorbehalten. Gelsomina agiert gekonnt am Vertikalseil.
Die Radois gestalten zwei weitere Nummern unter der hohen Kuppel. Der zweite Programmteil startet mit ihrem Todesrad. Dieser Auftritt passt nicht so ganz zum übrigen Niveau des Programms. Seine zeitliche Dauer liegt durchaus im üblichen Rahmen, allerdings wünschte man sich schon den einen oder anderen Trick mehr zu sehen. Ganz anders dagegen ihre Nummer an den Strapatentüchern. Hier zeigen sie sehr eindrucksvolle Trickfolgen die, als Demonstration  von Kraft und Eleganz das Publikum mitreißen.
Bis hierher handelt es sich um Darbietungen aus dem Saisonprogramm des 'Cirque de Venise'. Es sind um durchweg solide gute echte Circusnummern, die geboten werden. Zusätzliche Attraktivität erhalten sie durch ihre besondere Präsentation, mit der sie dem Thema „Circus von Venedig“ entsprechen.

Nun gab es zudem einige Artisten die eigens für dieses Festival engagiert wurden. Allesamt gute attraktive Darbietungen, ganz im Gegensatz zu den anderen Nummern sind sie eher der Varietészene zu zuordnen. An erster Stelle ist nun Luce zu nennen. Sie präsentiert eine perfekt inszenierte und durchdachte Jonglage. Aus den Boxen klingen Geräusche eines Bahnhof zur Dampflokzeit. Eine Dame der 'besseren Gesellschaft' erscheint mit einen Schrankkoffer auf der Szene. Beim anzünden einer Zigarette gerät scheinbar die Oberseite des Koffers in Brand. Es sind drei Feuerbälle, mit denen sie ihre Routinen beginnt. Dann öffnet sie den Koffer und sein Inneres entpuppt sich als perfekt eingerichtete Bar. Alle Jonglierutensilien sind entsprechend gestaltet. Keulen als Champagnerflaschen, Silberbecher als Shaker, Ringe als überdimensionaler Jeton aus dem die Mitte herausgenommen werden kann, hinzu kommen drei Zylinderhüte. Mit all diesen Requisiten versteht sie versiert umzugehen. Dann pfeift im Off der Fahrdienstleiter, sie schließt den Koffer und eilt den Zug noch zu erreichen.
Des Weiteren sind die Magier Reginald & Myriam zu sehen. Sie präsentieren eine Anzahl traditioneller Zaubertricks, die mit Charme und einem Augenzwinkern verkauft werden.

Eine Besonderheit weist dieses Festivalprogramm auf - es kommt vollkommen ohne Clown aus. Und wir wollen es gleich festhalten - Clowns wurden auch offensichtlich vom Publikum nicht wirklich vermisst. Für das oftmals so schwierige Fach Komik und Humor wurde Gregory Bellini verpflichtet. Im Habitus eines klassischen Zauberers im Frack erscheint er dreimal, gewollt ein wenig störend wirkend, um Sergio und Madame Regina von seinen 'phantastischen magischen Fähigkeiten' zu überzeugen. Natürlich funktionieren die Tricks nicht so, wie es zunächst den Anschein hat, dass sie funktionieren sollen. In der besuchten Vorstellung schmeißt er allerdings bei seinem letzten Auftritt, einer ganz besonderen Fluchtkiste, unfreiwillig die Pointe selbst. Ein wenig hektisch agierend bringt er die Kiste vorzeitig zum auseinander fallen. Seine Mitspieler können ihr Lachen nur mit Mühe kontrollieren, damit sie normal weitermachen, die Panne überspielen und die Kiste wieder bereiten. Gregory reagiert angefressen, dass man besser mit dem 'wesentlich professionelleren Christoph Ivanes zusammenarbeiten' könne.
Das Finale dient in allererster Linie Sergio seine Sangeskünste zu demonstrieren, ohne die heute anscheinend kein Manegensprecher mehr auskommen kann. Die mitwirkenden Artisten kommen dagegen nur extrem kurz in die Manege um ihren wohlverdienten Abschiedsapplaus entgegen zu nehmen. Preise werden beinahe schon inflationär verliehen, je drei Haupt- Publikums- und Spezialpreise, bei diesem Festival. So kommt denn am Ende wirklich jeder Teilnehmer in den Genuss einer Trophäe. Den ersten Platz der Hauptpreise belegte vollkommen zu Recht die Raubtiernummer von Ivan Landri.
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