Text und Fotos Friedrich Klawiter
WIENER CIRCUS
Hasselt, 05.November 2011

www.wienercircus.com
Der Wiener Circus, das älteste in Belgien reisende Unternehmen gastiert traditionsgemäss während der flämischen Herbstferien in Kuringen, einem Stadtteil von Hasselt,  auf dem „Oude Paardenmarkt“. Der große einladende Fassadenwagen mit den weit ausladenden Klappelementen empfängt seit je her die Besucher.
Die Silhouette ist der damaligen Sarrasani-Fassade, die Fritz Mey für seinen Circus schuf, ähnlich. Hier, beim Wiener Circus sind auf blauem Grund vier großflächige Circusmotive aufgemalt. Die Kasse ist in die Fassade integriert  und der Durchgangsbereich ist mit rotem Teppich ausgekleidet. Im Frontbereich des Circus wurde ebenfalls der große Auslauf und das Stallzelt der drei circuseigenen Ponys aufgebaut. Der strahlende Sonnenschein dieses Spätherbstnachmittags verzaubert die Szene und bringt den eigenen Charme einer längst vergangen geglaubten Zeit zur Geltung.
Entlang der linken Platzseite steht malerisch unter Bäumen der Oldtimer-Fuhrpark aufgefahren. Drei Lkw und eine handvoll Wagen, alle in den Hausfarben blau weiß und gelb gehalten, transportieren das technische Equipement des Circus.
Das moderne blau-weiße Chapiteau, von sechsundzwanzig Metern Durchmesser, wird von zwei Masten und sechs Quaderpools getragen. Die Masten sind am Bühnenwagen, der hier die Manege ersetzt, angebracht und so lässt sich der Zeltbau rationell montieren und transportieren.

Eine romantische Atmosphäre empfängt den Besucher im Chapiteau, das von den Farben rot und weiß dominiert wird. Das Gradin wird von  vier klappbaren Tribünenwagen mit den festmontierten Bankreihen gebildet.
Die Logenabtrennungen werden derzeit umgestaltet. Kunstvolle, mit üppigen goldenen Ornamenten verzierte, geschwungene Elemente ersetzen Zug um Zug die schlichten roten Platten. Der große Artisteneingang wurde seit unserem letzten Besuch neu gestaltet. Er nimmt den gesamten hinteren Bereich des Chapiteau ein und gibt dem Innern ein unverwechselbares Aussehen. Orientalisch inspiriertes Dekor, mit üppigem Goldschmuck versehen, wertet die große Front nun auf.

Top ist die Lichtanlage mit Movingheads, sowie den zahlreichen kleinen Scheinwerfern entlang des Bühnenrandes. Ebenso leistungsstark und klangrein zeigt sich die Tonanlage mit ihrem Dolby-Surround-Sound.
Ausschließlich in der Pause wird der rote Vorhang neben dem Artisteneingang gehoben und der Restaurationswagen steht zur Verfügung.

Ein älterer Herr - dunkler Anzug, weißes Hemd, Brille - eilt vom Haupteingang kommend auf die Bühne, nimmt hinter einem „Spiegel“ Platz und verwandelt sein Äußeres. Dazu wird die Charly Chaplin-Melodie „Somewhere over the Rainbow“ gespielt. So wird Lionel Chaves zum Clown. Dieses Opening, in ähnlicher Form öfter zu sehen, kommt gerade hier, in dem kleinen Raum und der Nähe der Zuschauer zum Geschehen, sehr gut an.
Zusammen mit seiner Frau präsentiert Clown Lionel nun eine originelle Hundedressur. Ein  großer Mischling und drei Terrier zeigen ihr „modernes“ Repertoire - verschiedene Sprünge und Walzenlauf. Anschließend werden vier, fünf kleine Pinscher im Stil der 1960er Jahre vorgeführt. In immer wieder wechselnden Glitzerkostümen fahren sie Roller, schieben einen Kinderwagen oder kommen als „Tanzpaare“ auf die Bühne. Die Resonanz des Publikums auf diese Vorführung, die sich nicht um den oft bemühten Zeitgeist oder „political Correctness“ schert, ist überwältigend.

In Reprisen und Entrees sehen wir Lionel Chaves als omnipräsente Figur im Programm des Wiener Circus. Mit großer Spielfreude und Können agiert er in sparsamer Schminke und erstklassigen Kostümen; eine eigenständige Clownsfigur bei Jung und Alt gleichermaßen gut ankommend.  Er ist ein klassischer Clown alter Schule, der es versteht zu unterhalten, auf seine Kosten lachen lässt und auf die Belästigung von Zuschauern verzichtet. Den seriösen Gegenpart spielt der junge sympathische Direktor - Ricky Cannone. Sein Vater, der italienische Raubtier- und Elefantendompteur Riccardo Cannone war lange im Wiener Circus engagiert. Ricky wurde hier geboren, wuchs in diesem Circus auf und gehörte immer schon wie ein Sohn zur Familie von Ullrich Malter, dem Gründer des Circus.
Das diesjährigen Repertoire der Clowns wird durch viele bekannte Klassiker geprägt, die gekonnt vorgetragen, mit Schwung und Spaß gespielt werden. Die verschiedenen prägnant und ohne Längen vorgetragenen Reprisen, z. B. Spieluhr, Flaschenbalance und Ballspiel mit Zuschauern finden genauso Anklang wie die Entrees. In diesen wird zunächst gezaubert und zum Programmabschluss gibt es das „Spukschloss“. Mit einigem Aufwand und turbulentem Spiel wird die Begeisterung der kleinen Besucher entfacht.

Tempogeladene Jonglagen mit Keulen, Ringen und Tellern sind das Metier von Ricky Cannone.Verschiedenste Muster werden sehr sicher und routiniert gearbeitet. Auch das superschnelle drehen von drei Keulen wird beherrscht. Abschließend lässt er bis zu fünf Teller durch die Luft fliegen.
Natürlich obliegt es dem Chef die Pferde vorzuführen und so lässt er in edler schwarzen Livree drei Ponys auf der Bühne paradieren.
Seine attraktive Schwester Natascha brilliert mit einer eleganten Kür am Luftring. In einem dekorativen Kostüm versteht es die charmante junge Frau ausgezeichnet, sich und ihre Leistung ins rechte Licht zu rücken. Vielerlei Tricks und Posen werden publikumswirksam zu Gesicht gebracht.
Zu Beginn des zweiten Programmteils bieten die „Magic Fantasys” eine flotte Magic-Show. Natascha Cannone, Deny Chaves-Cannone und eine weitere Artistin präsentieren charmant gängige Großillusionen.
„Barbie“, alias Alexandra Malter, entsteigt einem aufwändig gestalteten Kabinett und zu passender Musik (I' m a Barbie Girl) rockt die Vierzehnjährige mit ihrer ausgereiften Hula Hoop-Nummer das Zelt. Konsequent wird das Barbie-Thema bis zum Schluss beibehalten.

Mit großem fahrerischen Können bugsiert Gaspard Monteiro sein "komisches Taxi" flott durch den engen verwinkelten Artisteneingang und über die schmale steile Rampe auf die Bühne. Die bestens bekannte Darbietung gewinnt durch die große Nähe zu den Zuschauern nochmals an Wirkung.

Den Höhepunkt der akrobatischen Darbietungen erleben wir mit der in Monte-Carlo preisgekröten Rola-Rola-Darbietung des Duo Gaspard. Ein Flügel wird auf der Bühne aufgestellt und im schwarzen Anzug nimmt Ivo Monteiro daran Platz, rasch beginnt er auf dem Instrument mit seinen Evolutionen auf der Rola. Alle Requisitenteile sind optisch dem Thema 'Klavierkonzert' angepasst - Zwischenwalzen stellen stilisierte Zylinderhüte dar, Aufstiegshilfen wurden a la Klavierhocker gestaltet - und  stilsicher in schwarz und weiß gehalten. Vater Gaspard ist bereits in der Pause im Zuschauerraum zugegen und verfolgt das Programm aus einer Loge heraus. Dann erstürmt er, der von Las Vegas bis Monte Carlo in allen großen Manegen der Welt gestanden hat, in bekannter Manier als 'betrunkener Gast' die Bühne und den Flügel. Vom Direktor der Bühne verwiesen „stürzt“ er in einer Art zurück in die Loge, die Stühle mitreißend, dass keine Zweifel an der Echtheit des Sturzes aufkommen. Die Besucher der Nachbarloge sind sehr bemüht, den "peinlichen Betrunkenen" zu ignorieren. Nachdem der ältere Herr auf der Rola den Straßenanzug, den er über dem Kostüm trägt, abgelegt hat, zeigen Vater und Sohn gemeinsam auf dem Flügel ihre Künste auf den fragilen Türmen unter ihren Rolabrettern.
Ricky Cannone und seine goldene Trompete leiten zum Finale über. Alle Mitwirkenden empfangen den wohlverdienten Applaus und der Herr Direktor bedankt sich für den zahlreichen Besuch. Auf der nun leeren Bühne schminkt sich der Clown,  „What a wonderful World“ intoniert Ricky Cannone auf seiner Trompete dazu, ab. Lionel Chaves, der ältere Herr im dunklen Anzug setzt sich seine Brille auf, winkt ein letztes Mal ins Publikum und geht.
Bis zuletzt verharren die Zuschauer auf ihren Plätzen, erfreuen sich an einem guten und liebevoll gestalteten Programm des engagiert auftretenden Ensembles dieses familiären Circus. Nun leeren sich die Ränge allmählich und die zufriedenen Besucher werden beim Zeltausgang von der Direktion per Handschlag in die Nacht entlassen.
optimiert