Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRQUE Arlette GRUSS
Thionville, 20. April 2012

www.cirque-gruss.com
Der seit dem Jahre 2006 von Gilbert Gruss geleitete Cirque Arlette Gruss besuchte Mitte April die Kleinstadt Thionville am Oberlauf der Mosel. Hier liegt der Circusplatz, wie es in Frankreich des Öfteren üblich ist, nur einen Steinwurf weit von der Fußgängerzone entfernt.
Die unverwechselbaren Silhouette der „Cathedrale“, so der Name des markanten Chapiteau, markiert seit vier Jahren das Zentrum des Circus. Zehn Masten, zwei von elf Metern Höhe und acht von zwanzig Meter Höhe sind per Teleskop ausfahrbar. Sie tragen das dreiundachtzig mal neunundvierzig Meter große Konstrukt, dass in seinem Innern die Bereiche Foyer - Restauration, Spielzelt und technisch-logistischer Bereich mit Garderoben vereinigt.

Der im Verhältnis zu hiesigen Circussen höchst umfangreiche Fuhrpark des Circus nimmt einen bedeutenden Teil des Platzes ein. Natürlich ist auch hier jeder Transport mit einer eigenen Zugmaschine bestückt und an die Sattelauflieger wird jeweils ein großer Anhänger gekoppelt. Die Stallungen und Freigehege nehmen den weiteren Raum ein.
Üppig Illuminationen verleihen dem Edelstahl-Frontzaun ein festliches Ambiente. Durch hölzerne Pendeltüren betritt man die „Cathedrale“. Im großzügig bemessenen Foyer sind zu beiden Seiten große ringförmige Verkaufsstände um die beiden vordersten Masten arrangiert. Zwei Bistro-Container wurden in die Plane, die den Spielzelt-Bereich abtrennt, integriert.
In den Showbereich des Zeltes gelangt man nun durch breite Eingänge zu beiden Seiten des Foyers. Mittig, dort wo vorher der zentrale Eingang angelegt war, hat nun die große, mit einem breit gefächerten Sortiment ausgestattete, Souvenirboutique ihren Platz gefunden.
Das Innere des Chapiteau lässt fast vergessen, dass man sich in fliegenden Bauten befindet. Die Einrichtung vermittelt eher den Eindruck eines Theaters.  Ein teppichbelegter Holzboden trennt das in blau und rot gehaltene Schalensitzgradin, es hat im mittleren Viertel fünfzehn und seitlich zwölf Sitzreihen, von den dreireihigen Logen. Sämtliche Geländer und Schutzgitter sind mit blauem Samt abgehangen. Die wuchtige, mit rotem Textilbelag versehene Piste umrahmt die erhöhte, mit einem festen Boden versehene Manege. Ein riesiger, bis hoch ans Zeltdach reichender, leuchtend roter Samtvorhang bildet den Artisteneingang.
Über der Manege schwebt die neu erworbene Lichtanlage, die vorher die Auftritte der Musiker von „U 2“ ausleuchtete. Die raumfüllende Konstruktion ist sowohl in der Höhe variabel, als auch im Neigungswinkel der sechs Ausleger, an denen zahllose moderne Beleuchtungskörper montiert sind. Zahlreiche weitere Scheinwerfer sind an den Masten, am oberen Rand des Gradins und über dem Artisteneingang installiert. Zusätzliche optische Effekte werden mittels eines mit zahlreichen LED bestücktem Netz erzeugt. Dieses wird, vom Boden bis zum Zeltdach reichend, vor das Orchester gezogen und die moderne Technik ermöglicht Effekte und Bilder in allen Farben des Regenbogens.

„L' autre Monde“ lautet das diesjährige Motto der Show. Die andere, die phantastische Welt des Circus, der Akrobaten, Tierlehrer und Clowns ist gemeint, die sich vom grauen Alltag der „Privaten“ unterscheidet. Aber auch in der Show selbst sind zwei verschiedene Welten zu erleben. Da ist zunächst der eigene, unverwechselbare Präsentationsstil der im Cirque Arlette Gruss seit einigen Jahren gepflegt wird. Phantasievolle Kostüme aus dem Atelier von Roberto Rosello, harmonische Musikarrangements und hochwertiges Lichtdesign lassen ein klassisches Circusprogramm in moderner Verpackung daherkommen. Verbindende Elemente zwischen den einzelnen Darbietungen werden vom Monsieur Loyal, zumeist im Zusammenspiel mit den Komikern und der ballettmäßig auftretenden Haustruppe gezeigt und lassen das Nummernprogramm so zu einer Show aus einem Guss werden.

Der hohe rote Vorhang teilt sich zu Showbeginn und gibt den Blick auf das Orchester frei. Dieses wird in aller erster Linie dazu, den von CD eingespielten Grundsound zu akzentuieren und für Effekte zu sorgen.
Monsieur Loyal, Kévin Sagau begleitet seinen Live-Gesang auf der Gitarre und begrüßt vom Orchesterpodium herab das Publikum.
Hans-Ludwig Suppmeier präsentiert vier Tiger in mehreren Farben vom American Circus der Tognis im Netzkäfig. Die äußerst ruhig und zurückhaltend ablaufende Trickfolge beinhaltet Hochsitzer, Sprung über andere Tiere, Fächer mit zwei Tieren und mehrere erstklassige Hinterbeinläufer. Gemeinsam mit einem Tiger auf der Schaukel beendet Hans-Ludwig Suppmeier diesen Auftritt, der in erster Linie die Schönheit der gestreiften Katzen herausstellt.
Den sehr schnell erfolgten Käfigabbau hat man mittels einer Haustruppe, sie trägt futuristische Outfits, in eine kleine Ballettszene gebettet. Dazu gehört auch, dass der Dompteur bis zuletzt in der Manegenmitte verharrt und dann von der Truppe hinausgeleitet wird.
Roby Berousek verleiht mit seinem rasanten Wirbel auf der freistehenden Leiter dem Programm erstmals Schwung und reißt das Publikum mit. Hochklassige Tricks werden souverän und sicher ausgeführt und lassen die Balancekünste spielend leicht wirken. Eine Fünf-Keulen-Jonglage auf der Spitze einer Leiter bildet den effektvollen Abschluss dieser immer wierder gesehenen fulminanten Darbietung.
Rosi Hochegger bringt eine fröhlich aufgemachte Hunderevue in die Manege. In spielerisch erscheinender Manier zeigen die Vierbeiner ihr Können. Reifensprünge, Rollen, Spanischer Tritt, Seil springen und Vieles andere mehr wird in hohem Tempo und perfektem Ablauf geboten.
Im zweiten Programmteil sehen wir Rosi Hochegger mit ihrem Bettpferd „Scout“, nun im Western-Look an Stelle des Pipi Langstrumpf Outfits. Präzise und mit großem „schauspielerischem Talent“ füllt „Scout“ seine Rolle aus. Zur großen Freude der Zuschauer wird eine umfangreiche Auswahl an Tricks in Perfektion geboten.

Am Schwungtrapez erleben wir Nicolai Kuntz. Longengesichert werden eine größere Anzahl Pirouetten und Abfaller im vollen Schwung geboten, wobei die Longe nicht nur zur Sicherung dient, sondern durchaus die Trickausführung überhaupt erst ermöglicht.
Die amerikanischen Clowns Tom und Pepe verkörpern eigenständige und originelle Typen. Recht unterschiedlich in Körpergröße und Statur, ausgefallen in Maske und Kostüm und lebhaft im Spiel, kommen sie beim Publikum gut an. Ihre Szene im ersten Teil hat das auffangen von Hüten mit dem Kopf zum Inhalt. Die Pause leiten sie zusammen mit  Kévin Sagau ein, in dem sie die vorangegangene Magic-Show in ihrer Parodie aufgreifen.
Tatjana Kastein arbeitet ihre Handstanddarbietung weiterhin auf dem schräg gestellten polierten Edelstahl-Spiegel. Effektvolle und kraftzehrende Tricks werden erstklassig ausgeführt.

Linda und ihre Tochter Laura Gruss stellen die Freiheitspferde in einer eigenwilligen Dressurfolge vor. Vier cremefarbene und drei Hengste mit dunkler Fellfarbe zeigen unter der Peitschenführung von Linda Gruss-Biasini einige Lauffiguren. Mit einem gemeinsamen Steiger der dunklen Pferde endet dieser Part der Nummer und Laura Gruss nimmt den Platz in der Manegenmitte ein. Gekonnt präsentiert das junge Mädchen die vier verbleibenden Hengste. Einige Da Capo Steiger beschließen diese Darbietung.
Die hauseigene Magic Show geleitet die Besucher in die Pause. Drei Großillusionen werden von der Truppe mit Kevin Gruss an der Spitze geboten. Überzeugend ist die Variation der „zersägten Jungfrau“, während hingegen die abschließende Fluchtkiste unter unglücklichem Verkauf leidet und beim Publikum kaum Resonanz findet.
Vier Elefanten vom italienischen American Circus eröffnen den zweiten Programmteil. Verschiedene Pyramiden, Tonnenarbeit und der Spagat einer Figurantin zwischen den Elefantenköpfen sind die Eckpunkte dieser, durch den Einsatz vieler Figuranten aufgewerteten, ruhigen Dressurfolge.
Tom und Pepe sind in der zweiten Hälfte mit einem umfangreicheren Entree vertreten. Diverse Probleme ergeben sich beim Versuch gemeinsam zu musizieren und schließlich lassen sich diese, auch mit Hilfe eines mitwirkenden Zuschauers lösen. Sie erreichen mit ihrem eigenständigen Auftritt die Zuschauer, doch würde eine Straffung der Nummer ihre Wirkung weiter steigern.
Nun schon mehrere Saisons in der Gruss-Manege zu erleben, zeigt sich Zdenek Supka im Zusammenspiel mit seiner Partnerin Nathalie als eleganter Jongleur mit Bällen. Der Auftritt ist als Flirt eines Paares angelegt und immer wieder greift Nathalie einzelne Bälle aus den Mustern heraus oder fügt sie wieder hinzu.
Die beiden bulgarischen Artisten Miroslav Toskov und Nicolay Dobrovolov bilden das Duo Varnas. Sie zelebrieren eine eindrucksvolle Hand-auf-Hand Kür. Die meisten der hochwertigen Tricks werden mit großer Selbstverständlichkeit und in hervorragender Ausführung an den Strapaten in luftiger Höhe demonstriert.

Nach dieser furiosen akrobatischen Performence gelangen wir in die andere Welt von „l' autre Monde“. Haben wir bis hierher eine für diesen Circus typische unaufgeregt gestaltete Show gesehen, erleben wir nun Action und Tempo pur.
Die Manege wird in hartes Licht getaucht und Direktorensohn Kevin Grussversucht sich als Hart-Rock Gitarrist.
Harte Beats dröhnen aus den Boxen, dann ertönt Musik von Rammstein und langsam wird der gigantische Globe of Speed, der jahrelang Deutschlands größte reisende Akrobatik-Show prägte, hinein gerollt. Mit drei Fahrern startet diese Performance und schließlich jagen acht Maschinen zugleich durch die Gitterkugel, wobei ein Fahrer die Bahnen der anderen kreuzt. Als neues optisches Higlight leuchten bei dieser Aktion an den Maschinen LED Lichtbänder entlang der Konturen der Bikes auf. Beim Kompliment werden die Fahrer mit Standing Ovations von den Rängen gefeiert.
Larissa Kasteins kraftvoller erotischer Pole Dance sorgt noch einmal für einen besonderen Moment im roten Ring und zeigt uns die Vielfalt der Mastartistikt.
Dann ist es am Duo Vanegas mit ihrem US-Todesrad die Stimmung auf den Rängen auf die Spitze zu treiben. Mit Macho-Attitüde verkaufen die beiden Südamerikaner ihre hervorragenden Leistungen, die mit vollem Risiko geboten werden. Die umfangreiche Trickfolge beinhaltet so gut wie alles an diesem Requisit machbare. Verwegene Sprünge und Salti in den Kesseln, Seil springen und Blindlauf sowie extrem hohe Absprünge auf der Außenbahn werden getopt von einigen Salti im vollen Lauf außen auf einem Kessel. Die Begeisterung im Gradin ob dieser rasanten, im typischen FlicFlac-Stil präsentierten Nummer, ist nahezu grenzenlos.
Zum relativ kurzen Finale kommen die Artisten in einem einheitlichen Look in die Manege und werden noch einmal namentlich vorgestellt während auf dem LED-Vorhang die Flaggen der bei Arlette Gruss tätigen Nationalitäten als Lauflichter aufleuchten.
Mit frenetischem, minutenlangem Beifall und Standing Ovations bringt das Publikum seine Begeisterung über diese umfassende und in Teilen großartige Circusshow zum Ausdruck...
optimiert