Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRQUE ARLETTE GRUSS
Metz, 27. April 2013



www.cirque-gruss.com
Auf dem Circusplatz im Messegelände von Metz war der Cirque Arlette
Gruss wieder einmal zu Gast. Auf der alljährlich fast gleich verlaufenden
Tournee durch Frankreich werden nur wenige Städte, so auch Metz, nicht in
jedem Jahr besucht.
Die markante Silhouette der „Cathedrale“, so der Name des unverwechselbaren
Chapiteau, beherrscht das Gelände. Dreiundachtzig mal neunundvierzig Meter
misst der Zehnmaster, der in seinem Innern Foyer, Restauration, Spielzelt,
Garderoben und technischen Bereich vereinigt.
Ein höchst umfangreicher Fuhrpark gruppiert sich um die Zeltanlagen. Natürlich
ist jeder Transport mit einer eigenen Zugmaschine versehen und an die
Sattelauflieger wird jeweils ein großer Anhänger gekuppelt. Derzeit erneuert man
den größten Teil der technischen Ausstattung des Unternehmens; dieser Prozess
wird bis zum dreißigjährigen Jubiläum im Jahr 2015 währen. Als erstes wurden
die zahlreichen Schiebeplanen-Auflieger und Anhänger mit neu gestylten Planen
versehen. Diese sind nun in weiß-rot, in der Optik passend zum Dekor der
„Cathedrale“, gehalten und tragen das aktuelle Logo des Circus. Zwei
Wohnwagenzüge mit Wohnabteilen für die Mitarbeiter und ein Gespann mit
Sanitäreinrichtungen wurden vor wenigen Wochen in Betrieb genommen. Die
Fahrzeuge wurden von Grund auf bei einem renommierten französischen
Karosseriebau-Unternehmen für den Circus gefertigt. Alle Abteile sind durch
Auszüge in ihrer Grundfläche zu vergrößern. In den kommenden Monaten
werden sämtliche Mannschaftsquartiere gegen die Neukonstruktionen
ausgetauscht.
Ebenfalls erneuert wurden zu Saisonbeginn die Stallungen. Für Pferde und
Exoten stehen drei rechteckige Zelte, mit hohen Kuppeln, bereit, deren Silhouette
und Dekor dem Chapiteau angepasst wurde. Der Elefantenstall ist eine runde,
einem Chapiteau ähnliche, Konstruktion, deren Kuppel von zwei Masten gehalten
wird, die ein auf dem Kopf stehendes „V“ bilden. Ein weiteres Zelt gleicher Bauart
beinhaltet eine Probemanege.
Üppige Illuminationen verleihen dem Edelstahl-Frontzaun ein festliches Ambiente.
Durch Holz-Pendeltüren betritt man das großzügig bemessene Foyer der
„Cathedrale“. Der edle Lounge-Charakter des Raumes wird mit der Einrichtung in
warmen Holzfarben unterstützt. Das Rondell ist mit einer Innenplane, die mit
unaufdringlichen modernen Ornamenten bedruckt ist, versehen. Großzügige
geschwungene Verkaufstheken sind in den beiden vorderen Rundungen
angeordnet. Die beiden Bistrocontainer sind in die Plane integriert, die den
Spielzeltbereich abtrennt. Mittig zwischen den Containern hat die große, mit
einem enormen Warenangebot ausgestattete, Souvenirboutique ihren Platz.
Breite Eingänge führen zu beiden Seiten des Foyers in den Show-Bereich. Die
Einrichtung des Chapiteau vermittelt den Eindruck, man befinde sich in einem
Theater. Ein teppichbelegter Holzboden führt zwischen Logen und dem in rot und
blau gehaltenen Schalensitzgradin hindurch. Sämtliche Geländer und Schutzgitter
tragen Überzüge aus blauem Samt.
Die wuchtige, mit rotem Textilbelag versehene Piste umrahmt die erhöhte, mit
einem festen Boden versehene Manege. Ein riesiger, bis hoch ans Zeltdach
reichender, leuchtend roter Samtvorhang bildet den Artisteneingang.

Die beiden amerikanischen Clowns Tom und Pepe wärmen das Publikum mit
einer poetischen Reprise, deren Geschichte sich um drei künstliche, auf der Piste
stehende, Sonnenblumen rankt, auf. Dann hebt sich der Vorhang zum
diesjährigen Spektakel unter dem Titel „Sympohnik“ und gibt den Blick frei auf das
große zwölfköpfige Orchester. Dieses begleitet die Show in weitesten Teilen im
Halb-Playback; Livemusik ist nur bei  den Tiernummern von dem großen, gut
aufspielenden Klangkörper zu hören.
Manegensprecher Mehdi Rieben, Mime Hadrien Trigance und das hauseigene
Ballett gestalten das Opening. Ihnen werden wir im Verlauf des Abends immer
wieder begegnen; verbinden und umrahmen sie mit ihren vielfältigen Auftritten die
einzelnen Nummern zu einer kompakten Show. Mime Hadrien Trigance agiert
pantomimisch als poetischer Harlekin und wird hierin von Mehdi Rieben, der mehr
tänzerisch denn als „Monsieur Loyal“ in Erscheinung tritt, unterstützt.
Nahtlos geht das Opening in den ersten Auftritt der chinesischen Truppe Zola
über. Die neun Artisten bieten bei ihren Handvoltigen, die in einer streng
wirkenden Choreographie gearbeitet werden, eine Reihe feiner Leistungen.
Absolut sicher werden die Salti und Pirouetten auf den Händen der Untermänner
gelandet und ein Salto, ohne Vorteil, zum Vier-Mann-Hoch krönt den Auftritt.
Die zweite Darbietung der Truppe Zola beschließt die Nummernfolge. Am
Schleuderbrett zeigen die neun Herren eine Reihe der bekannten Abläufe. Die
beiden Voltigeure landen ihre Sprünge auf einem großen Kissen, bzw. im Sessel
und auf den Schultern ihrer Partner. Ein longengesichertes und
stangengestütztes Vier-Mann-Hoch markiert den Höhepunkt der Darbietung.

Mit einem bunt gemischten Exotentableau präsentiert John Vernuccio die erste
Dressur-Darbietung des Programms. Drei Lamas, zwei Zebras, ein Zebroid und
ein Kamel bieten einige Lauffiguren. Nach einem Kompliment umrunden je ein
Steppenrind und Yak die Gruppe.
Im zweiten Programmteil sehen wir den Tierlehrer mit vier indischen Elefanten,
sie kommen, wie die anderen Tiere vom italienischen American Circus der Tognis,
ein weiteres Mal. Routiniert absolvieren die Dickhäuter ihr Repertoire und die
Figurantinnen auf ihrem Rücken geben dem Ablauf zusätzlichen Schauwert. Mit
der traditionellen großen Elefanten-Pyramide endet die schwungvolle Vorführung.
Tommy Dieck jun. präsentiert seine große gemischte Raubtiergruppe direkt nach
der Pause. Fünf Tiger, zwei weiße Löwen und zwei Liger bilden die interessante
Formation.
Eine große Pyramide aller Tiere eröffnet die dynamisch Präsentation. Auf einem
Riesenrad rollen ein Liger, innen, und ein Tiger, außen, durch die Manege,
anschließend folgt ein Rollover dreier Tiger und Sprünge von zwei Tigern über
eine Bar aus Tiger und weißen Löwen schließen sich an. Hochsitzer in der
Manege und am Platz, die mächtigen Liger richten sich dabei an eigens am
Netzkäfig angebrachten Streben zur vollen Größe auf, gehören ebenso zur
Trickfolge, wie ein Scheinangriff eines Tigers. Diesen pariert der Dompteur mit
einem direkt anschließenden fulminanten Rückwärtssteiger. Ein weiterer
Hinterbeinläufer eines Tigers und Barrierensprünge aller Tiere beim Abgang sind,
samt einer Schmuseszene weitere Bestandteile dieser Dressurnummer.
Nora Gruss, sie ist in diesem Jahr die einzige weibliche Artistin – lässt man das
Ballett einmal außen vor – in einem ansonsten rein männlich besetzten
Ensemble, präsentiert eine eigenwillige Pferdefreiheit. Mit dem „flechten“ dreier
dunkelbrauner Hengste beginnt die Vorführung, in der weniger die Laufarbeit im
Mittelpunkt steht. Vielmehr erinnern die gezeigten Elemente an exerzieren. Nach
einigen Steigern kommen zwei Achal-Trakehner und ein Schimmel hinzu und der
restliche Teil der Darbietung verläuft in konventionelleren Bahnen. Mit einigen Da
Capos findet die Darbietung ihren Abschluss.
Die Clowns Tom und Pepe waren bereits im letzten Jahr bei Arlette Gruss
engagiert und warten nun mit einem neuen Repertoire auf. Angekündigt als
„Super Gesangsstars“ aus Las Vegas, stört ein fotografierender weiblicher Fan
den Konzertbeginn. Als sie die Bühne verlässt, „vergisst“ sie ihr Baby in einer
Tragetasche und das Unheil nimmt seinen Lauf. Mit einem magischen Trick
überbrücken sie den Netzaufbau für das Flugtrapez und mit einer Balance den
Abbau des Raubtierkäfigs. Die zweite umfassendere Szene sieht die beiden im
Habit von Tramp-Clowns. Auf und um eine Parkbank richten sie sich häuslich ein.
Derweil nimmt der Mime auf der anderen Seite der Piste Platz und spielt, in sich
versunken, eine verträumte Melodie auf der Geige. Die beiden Tramps, ein jeder 
kuschelt mit einem Stofftier, nehmen in ihrem Idyll Platz und genießen die
Romantik – jedenfalls solange, bis sie ein einsetzendes „Gewitter“ vertreibt.                                                  
Kevin Gruss ist in diesem Jahr mit einer Darbietung am Rhönrad im Programm
vertreten.
Temperament jonglieren Zdenek Supka und Roby Berousek – solo, im
Zusammenspiel und gemeinsam mit den Damen des Balletts. Supka eröffnet die
Trickfolge mit der Jonglage fluoreszierender Bälle in einem großen dreieckigen
Gestell. Anschließend wird in den verschiedensten Konstellationen mit Keulen
jongliert.                                                                                                                          
Drei mal ist „The Master of Hellfire“, alias Hubertus Wawra zu erleben. Seinen
Extrem-Plateauschuh am linken Fuß und in einen schwarzen Nadelstreifenanzug
gekleidet, kämpft er sich eine Treppe hinab und durch die Loge in die Manege.
Nach dem Gag mit der Gitarre hat der Superschuh ausgedient und Wawra zeigt
sein virtuoses Können als Feuerschlucker. Variantenreich ist sein Spiel mit dem
Feuer und versetzt die Zuschauer in Erstaunen. Im zweiten Auftritt lässt der Artist
einen „Bobcat“ Minibagger auf der Bühne tanzen. Der Bobcat ist rosa lackiert,
trägt riesige Bunny-Ohren auf dem Dach und in der Schaufel Hasenzähne. Der
Auftritt wird, wie immer bei Arlette Gruss, sehr gut in Szene gesetzt, allerdings
bleibt diese Nummer ein Fremdkörper im Programmablauf. Letztlich sehen wir
den „Master of Hellfire“ spektakuläre Funkenregen produzieren indem er die
Metallplatten, die an seinem Körper angebracht sind, mit Winkelschleifern
bearbeitet.                                                                                                                        
Nicol Nicols arbeitet seine tempogeladene Darbietung auf dem Drahtseil nun zu
Tangoklängen. Das Ballett bietet den passenden Rahmen und begeistert feiert
das Publikum die Aktionen des Seilläufers, auch wenn der abschließende
Vorwärts-Salto in der besuchten Vorstellung erst im dritten Versuch gelingt.                                              
Kraftvoll und dynamisch kommt die Hand-auf-Hand Darbietung des Duo Serjo
daher. Erstklassig und elegant werden die hochkarätigen Tricks ausgeführt. Die
Publikumsiwrksamkeit wird durch den Einsatz der Hydraulik-Plattform in mitten
der Bühne beim Schlusstrick noch gesteigert.
Für den fulminanten Höhepunkt vor der Pause sind die fünf Herren der Flying
Regio zuständig. Ein zweiter Fänger, oberhalb der Trapezbahn platziert, bietet
zusätzliche Möglichkeiten, die von den drei Fliegern auch nach Kräften genutzt
werden. Sehr sicher und elegant werden die zahlreichen Sprünge, darunter auch
ein heute nur noch selten zu sehender doppelter Cutaway, sowie die Voltigen
ausgeführt. Ein erstklassig ausgeführter dreifacher Salto und eine spektakuläre
doppelte Passage sind die umjubelten Höhepunkte der Darbietung.
Das Finale wird ausführlich mit einer sehr umfangreichen Choreographie
zelebriert und offenbart die enorme Anzahl Mitwirkender in dieser stimmig
gestalteten Show. Gekonnt forciert, bedankt sich das Publikum mit Standing
Ovations für das Gebotene. Der Cirque Arlette Gruss bleibt seiner vor Jahren
eingeschlagenen Linie – etablierte Darbietungen neu zu stylen und in einem
besonderen Rahmen chic verpackt zu präsentieren – weiterhin treu. Hat man sich
einerseits in der Präsentation, Kostüm und musikalischer Begleitung ein Stück
weit vom typischen klassischen Circus entfernt, bleibt man ihm andererseits
verhaftet und setzt kompromisslos auf die Publikumswirksamkeit der klassischen
Tierdressuren von Raubtieren, Elefanten und Pferden.

optimiert