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Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRQUE ARLETTE GRUSS
Thionville, 23. April 2016

www.cirque-gruss.com
Die alljährliche Tour durch Frankreich führt den Cirque Arlette Gruss in der zweiten Aprilhälfte stets an die Mosel. Das viertägige Gastspiel, eines der kürzesten im Saisonverlauf des Circus, findet stets auf einem zentral gelegenen, nur einen Steinwurf von der Fußgängerzone entfernten, Platz durchgeführt.
Noch immer beherrscht die Silhouette der „Cathedrale“, kaum jemals sorgte ein Zelt für solche Furore bei seiner Ingebrauchnahme, den Circusplatz. Der Achtmaster von dreiundachtzig mal neunundvierzig Metern mit dem markanten weiß-roten Dekor vereinigt in seinem Innern die Bereiche Foyer, Restauration, Spielzelt und technisch-logistisch Bereich mitsamt den Garderoben.
Der höchst umfangreiche Fuhrpark wurde zum dreißigjährigen Jubiläum des Unternehmens im vergangenen Jahr zu großen Teilen erneuert und komplett mit einer neuen Farbgebung versehen. Die Zugmaschinen, Auflieger und Anhänger sind nun komplett in weiß lackiert und mit rotem Dekor, im Stil passend zum Chapiteau, geschmückt. Natürlich ist auch hier jeder Transport mit einer eigenen Zugmaschine bestückt und an die Sattelauflieger wird jeweils ein großer Anhänger gekoppelt.
Die Mannschaftsquartiere wurden von einer namhaften französischen Karosseriebaufirma neu gebaut. Alle Abteile haben einen großen Auszug mit Fenster, bieten den Bewohnern nun deutlich mehr Platz und sind komplett eingerichtet. Die Treppen zu den Eingängen sind mitsamt der Geländer als Einschübe in den Tragrahmen des Aufbaus ausgeführt. In gleicher Weise sind Sanitär- und Waschmaschinenwagen gebaut. Das Fahrzeug der Mannschaftsküche ist ebenfalls neu und die angebaute geschlossene Veranda, sie misst fast die doppelte Größe des Wagens, dient als Speiseraum. Der Büroauflieger lässt sich ebenfalls mittels Auszüge enorm in seiner Fläche erweitern. Gleiches gilt für die als Absetzcontainer ausgebildete Besuchertoilette.
Die Aufbauten der älteren Material- und Tiertransporter wurden komplett mit Planen überzogen und so an das neue Erscheinungsbild des Circus angepasst.
Die Stallungen der Pferde und Exoten sind ihrer Optik an die „Cathedrale“ angepasst. Der Elefantenstall ist ein rundes Zelt mit spitzen hoher Kuppel und außenliegender Mastkonstruktion. Raubtieranlage und Seelöwenpool ergänzen den Menageriebereich.
Die Front des Circus wird von einem aufwändig gefertigten Edelstahlzaun mit üppiger Illumination und ein großen, mit Torflügeln verschließbaren, Portal darin gebildet. Die seitlich platzierte Kasse ist ebenfalls in einem extrem langen Container untergebracht. Ein Vordach aus weißer Zeltplane bietet Wetterschutz und auf einem Flachbildschirm neben den Kassenschaltern vermittelt ein Video-Trailer Eindrücke von der Show.
Durch hölzerne Pendeltüren betritt man die „Cathedrale“. Im großzügig bemessenen Foyer ziehen sich Verkaufsstände entlang der mit dekorativ bemalten Planen abgehangen Außenseiten entlang. Zwei Bistro-Container sind in die Plane, die den Spielzelt-Bereich abtrennt integriert. Mittig dazwischen hat die große Souvenirboutique mit ihrem umfangreichen, in Glasvitrinen präsentierten Angebot ihren Platz.
Zwei breite ebenerdige Eingänge führen seitlich in den Zuschauerraum.
Das Schalensitzgradin in rot und blau hat im mittleren Viertel fünfzehn und in den seitlichen Sektoren zwölf Sitzreihen. Ergänzt wird das Sitzplatzangebot von drei Logenreihen.
Die wuchtige rote Piste umschließt die erhöhte, mit einem festen Boden versehene Manege mit einer runden Hubbühne in ihrer Mitte.
Ein riesiger, bis hoch ans Zeltdach reichender, bogenförmiger roter Samtvorhang verschließt vor Showbeginn den Artisteneingang und die Orchesterbühne.
Die Lichtanlage zeigt sich höchst voluminös und weist eine enorme Anzahl modernster Beleuchtungskörper auf. Das Lichtdesign zeigt allerdings erstaunlich indifferent und bietet bei Weitem nicht die Raffinesse eines Cirque Bouglione oder Zirkus Charles Knie.
Besondere Effekte bietet ein mit zahlreichen, oftmals die Farbe wechselnden Elementen bestückter Rahmen, der beweglich im Artisteneingang angebracht ist. Waagrecht nach oben gefahren, beleuchtet er die ein-, bzw. abtretenden Akteure und während der Darbietungen senkrecht gestellt „verschließt“ er den Blick in den Backstage-Bereich. Allerdings lenken wechselnden Lichtmuster vom Geschehen in der Manege ab und machen den Hintergrund sehr unruhig.
Das große Circusorchester kommt leider nur sehr selten zum Einsatz und liefert meist nur Soundeffekte zur durchgängigen Musikkonserve. Die Musikauswahl zur Show ist eigenwillig, erinnert oftmals an „Fahrstuhlmusik“ und unterstützt die Auftretenden nicht. Auch ist der Sound oft sehr leise, scheint mitunter – speziell bei der Pferdefreiheit – völlig zu verstummen.

Zu Beginn der Show wird eine mehrere Meter hohe, die Manege völlig umfassende Leinwand aus der Piste heraus emporgezogen und in einem Video-Trailer werden Szenen von Ankunft und Aufbau des Circus, sowie aus den Anfangsjahren des Unternehmens gezeigt. Nachdem die Sicht in den roten Ring wieder frei ist, gestaltet das Ensemble ein ausführliches, poetisch inspiriertes Opening. Glockenspiel, Stelzenlauf, Weißclown, Jonglage und Ballett sind die Elemente und Kévin Gruss arbeitet mit seiner Partnerin Julia Friedrich Sequenzen aus ihrer Duo-Darbietung am Luftring. Traten in der Vergangenheit alle Mitwirkenden einer Show in thematisch und stilistisch aufeinander abgestimmten Kostümen, Kopfputz und Masken auf, wird dies aktuell nur noch im Opening und Finale praktiziert.
Ingo Stiebner ist mit seinen beiden Seelöwen als erster Akteur im diesjährigen Programm zu erleben. Mit seiner exzellenten Darbietung, die außer feinen und erstklassig ausgeführten Tricks auch reichlich Comedy der perfekt mitspielenden Robben bietet, erleben wir einen schwungvollen Beginn der Show, der das Publikum gleich begeistert mitgehen lässt.
Diesen Schwung nehmen die Clowns André und Bellini mit ihrer ersten Reprise gleich wieder aus der Show. Ihre aktuell gespielten Szenen laufen recht gemächlich ab und wirken durchweg ein wenig bemüht. Zunächst wird imaginär Bowling gespielt – bis der rekrutierte Zuschauer zum ersten Wurf schreitet. Eine Story um ein „empfindliches Piano“ endet schließlich mit dessen Zerstörung. Eine „automatische Hundewaschanlage“ arbeitet ebenfalls nicht ganz wunschgemäß. Den größten Anklang im Publikum erzielt ihr letzter Auftritt in dem ein Konzert auf Hupen und „Gummi-Quitschtieren“ geboten wird.

John Vernuccio-Togni ist mit zwei Mal mit Tieren des American Circus in der Manege präsent. Zunächst bieten die Exoten ein buntes Bild. Je zwei junge Dromedare und Kamele absolvieren einige Lauffiguren. Zwei Rinder, ein Zebroid und Zebras laufen zwei Runden; ihnen folgt ein weißes Känguru. Abschließend absolvieren fünf Lamas zwei Runden um die Manege und überwinden dabei flache Hürden.
Im zweiten Programmteil präsentiert der erfahrene Vorführer vier asiatische, mit Figurantinnen berittene Elefanten. Neben Laufarbeit zeigen zwei Tiere einen parallelen „Handstand“ auf Tonneaus. Effektvoll ist stets der Spagat zwischen zwei Elefanten und mit einer Pyramide findet der Auftritt seinen gelungenen Abschluss.
Helena Polach jongliert versiert mit bis zu fünf Fußbällen.
Zusammen mit ihrem Partner Michael Olivares  sehen wir sie erneut mit einer Love-Story an den Strapatentüchern. Zum Live-Gesang des Partners arbeitet sie die ersten Tricks solo in der Kuppel. Die attraktiven Partnertricks sehen in erster Linie die Artistin in der Rolle des Porteurs.
Kévin Gruss und Julia Friedrich erzählen mit ihrem tänzerisch gestalteten Hand-auf-Hand Act gleichfalls eine Liebesgeschichte.

Ein Highlight des ersten Programmteils bietet Gunter Sacckmann jun. mit seinen Ratten und Nutrias. Durch verschiedene Weihnachtscircus-Engagements auch hierzulande bekannt, bekommt die Darbietung durch sein gekonntes und humorvolles rekommandieren, was in der Muttersprache möglich ist, zusätzlichen Drive.
Linda Gruss-Biasini und ihre Tochter Laura präsentieren die Freiheitspferde des Hauses. Die Chefin des Hauses lässt zunächst vier Schimmel, mit Hilfe eines Bereiters, einige Figuren ablaufen. Dann übernimmt ihre Tochter das Zepter und acht prächtige Friesen bieten ihr Repertoire. Einige gelungene Da Capo Steiger sorgen für einen harmonischen Abschluss der Darbietung.
Mit der Stangenwurf-Nummer des Trio Stoian geht es in die Pause. In erstklassiger Ausführung werden die verschiedenen Saltos und Pirouetten auf dem Russischen Barren ausgeführt. Da fällt es auch weiter nicht ins Gewicht, dass der groß annoncierte dreifache Salto nur als Doppelter gesprungen wird.
Eine Lasershow gestalten Alexis Hurtado & Kévin Gruss als Duell zweier „Star Wars“ Krieger. Grüne Laserstrahlen werden von den beiden Protagonisten mit den Händen „geformt“ und „gelenkt“ und schließlich schießen hellblaue Lichtstrahlen von unzähligen Punkten durch die Kuppel, derweil hohe Flammensäulen aus der Manege aufsteigen. Das Publikum scheint diese Art von Darbietung zu goutieren, da er Act den mit Abstand meisten Beifall im ersten Programmteil erhielt.

Einen weiteren circusuntypischen Auftritt bietet Alexis Fly Chaix im zweiten Teil mit seinem Modellflugzeug. Etliche Kapriolen dreht der Flieger ehe er schließlich im Lasergewitter einen hoch in Kuppel hängenden großen Ring durchfliegt.

Der zweite Programmteil beginnt mit Ramon Kathriner auf dem Hochseil. Über ein Schrägseil erreicht er seinen Arbeitsplatz hoch über dem Zentralkäfig. Souverän meistert er die Tricks, wie z.B. Sprung durch einen Reifen und Balance auf einem Stuhl. Zum spektakulären Abschluss seines Auftritts, der Überquerung des Hochseils auf Stelzen, wird die Spannung im Publikum nochmals gesteigert, da nun die Löwen und Tiger von Manuel Farina ihre Plätze in der Manege eingenommen haben.
Der Meisterdompteur präsentiert mit zwei Tigern und drei männlichen Löwen, darunter ein weißer, eine exzellente Darbietung. Pyramide, Hochsitzer und weite Sprünge erfolgen flüssig und leicht. Scheinangriffe bringen die nötige Würze und ein ansatzlos ausgeführter Kopftrick mit dem weißen Löwen sorgt für Verblüffung auf den Rängen. Ein Sprung eines Tigers aus dem Stand vom Manegenboden über drei andere Tiere zeigt eindrucksvoll die enorme Kraft und Beweglichkeit der Großkatzen. Gruppenkuscheln ist angesagt, wenn sich der Dompteur auf ein Bett der drei Löwenkörper wirft. Mit einem hervorragenden Vorwärtssteiger eines Tigers erreicht der Auftritt seinen Höhepunkt.

Noch einmal kommt die Videoleinwand zum Einsatz und Trailer von waghalsigen Motorradstunts stimmen die Zuschauer auf das Folgende ein, wenn die Aufsprungrampe für die Stunts der FMX Riders aufgebaut wird. Sie starten ihre verwegenen Flüge auf den Motocross-Maschinen quer über die Manege von einer Rampe in einer Aussparung im vorderen Gradinblock. In mehreren Durchgängen zeigen die vier Fahrer ihr Können und wieder kommen, während man zur letzten Sprungserie zurückfährt, die Laser zum Einsatz. Zum Höhepunkt der Darbietung wird ein Motorrad in Luft quer zur Flugbahn gestellt.
In einem kurz gehaltenen Finale verabschiedet sich das Ensemble von seinem Publikum und nimmt, nachdem sich der lebhafte Schlussapplaus gelegt hat, im Foyerbereich am „Photo Point“ Aufstellung, auf das die hinaus strömenden Besucher Gelegenheit zu einmaligen Erinnerungsfotos haben.