optimiert



Text und Fotos Friedrich Klawiter
1. AUTO-CIRCUS
Recklinghausen, 31. Mai 2020

https://drive-in-circus.de
Besondere (Corona) Zeiten, in denen jede Art von Live-Unterhaltung unmöglich ist, erfordern besondere Maßnahmen, will man sein Publikum dennoch begeistern. Thomas Merz und der Familie Scholl ist dies in hervorragender Weise mit ihrem „Auto-Circus“ gelungen.
Gemeinsam entwickelten sie ihre Idee eines Circus in einem Autokino und setzten diesen gekonnt in erstklassiger Weise in Szene. Inzwischen hat man die Marke „Auto-Circus“ beim Patentamt eintragen und musterrechtlich schützen lassen. Unter enormem Medieninteresse, rund zwanzig TV-Sender berichteten in ihren Nachrichtensendungen, erlebte die neue Art Circus ihre Weltpremiere.
Auf dem Festplatz in Recklinghausen waren die notwendigen Aufbauten für das große Event vorgenommen.
Eine riesige LED-Leinwand auf dem Dach eines Sattelaufliegers bildete zusammen mit der davor platzierten erhöhten und überdachten Bühne das Zentrum der Installationen. Rechts  neben der Bühne stand ein Mastenpaar des Chapiteau des Circus. Dessen Traverse trug die Apparate der Luftartisten. Die andere Bühnenseite flankierte ein Sattelzug, auf dessen Ladefläche eine Motorradkugel montiert war. Einige Wohnwagen im Hintergrund komplettierten das Arrangement.
Mit zwei Kameras, die eine fest installiert einige Meter vor der Bühne und die andere variabel von verschiedenen Positionen eingesetzt, wurde die Show auf die große Leinwand projiziert.
Die aktuellen detaillierten Corona-Verordnungen waren gewissenhaft zu befolgen. So konnten die Eintrittskarten nur vorab online gebucht werden, pro Fahrzeug waren zwei Erwachsene und die im gleichen Haushalt lebenden Kinder zugelassen. Die Fahrzeuge mussten in den großzügig bemessenen Stellflächen – auch hier galten Abstandsregeln - stehen und durften nicht verlassen werden. Eine Pause in der Show war nicht zulässig und die im Circusbistro "to go", nur vorab möglich, georderten Erfrischungen und Snacks durften nur bei der Einfahrt auf das Gelände in Empfang genommen werden.

Die abwechslungsreiche und sehr unterhaltsame Show lief tempogeladen und straff organisiert – angesichts von drei Spielflächen entstanden keine Umbaupausen – ab. Das gut siebzig Minuten dauernde Spektakel wies keinerlei Längen auf und hatte angesichts der besonderen Umstände eine optimale Dauer.
Das veränderte Ambiente, z. B. die fehlende räumliche Begrenzung bei den Luft-Darbietungen durch das Zelt, verleihen den Auftritten einen speziellen Charakter. Auch das scheinbare Fehlen des Publikums, man nimmt die Insassen der anderen Fahrzeuge und ihre Reaktionen kaum wahr, sorgen in Verbindung mit der großen Distanz zum Geschehen für eine ungewohnte Atmosphäre. Z.B ist der Applaus  aus den geöffneten Seitenfenstern nur sehr schwach zu vernehmen und nur die kräftig eingesetzten Autohupen zeugen von der Begeisterung des Publikums.
Der akustische Part der Show – musikalische Begleitung und die Moderationen des Sprechers – ist übers Autoradio oder sonstige Geräte zu empfangen; während der Ton aus den Boxen nur das unmittelbare Umfeld der Bühne erreicht. Die Aufgaben der Lichtregie übernimmt an jenem Nachmittag in allererster Linie die strahlende Frühsommersonne, die sämtliche Effekte überlagert.

Die drei Damen des „Scholl Ballett“ gestalten temperamentvoll das Opening.
Co-Direktor Thomas Merz begrüßt in angenehmer Weise das Publikum. Er übernimmt eloquent die Aufgaben des Manegensprechers. Die auftretenden Artisten werden charmant vorgestellt und in idealer Weise erfährt das Publikum von den großen Sorgen und Problemen der Schausteller und Circusleute in der Coronakrise.
Variantenreiche Tempojonglagen sind das Metier von Alfred Scholl und Armando Sperlich. Die cool auftretenden jungen Herren bieten zahlreiche Routinen mit Keulen, die von ihnen abwechselnd ausgeführt werden. Verschiedene Pasings mit bis zu sechs Keulen bringen Abwechslung in den Ablauf.
Die sechsjährige
Liliya Turkeieva begeistert mit Mallakhamb – einem traditionellen indischen Volkssport. An einem mehrere Meter hohen, leicht konisch geformten Holzstamm, der unter der kugeligen Spitze eine deutlich abgesetzte Verjüngung aufweist, werden Abläufe ähnlich denen am Chinesischen Mast gezeigt. Das kleine Mädchen verblüfft ein ums andere Mal mit seinen kraftvollen und in erstklassiger Haltung ausgeführten Tricks.
Die Umstände – Distanz zum „hinter Glas“ sitzenden Publikum, keine Interaktion erlaubt – sind für Clown André, dem Alter Ego von Cito Pilini, schwierig, so dass er sich auf seinen Auftritt als Teller-Jongleur beschränkt. Mit verbaler Unterstützung des Sprechers gelingt es schließlich zehn Teller rotieren zu lassen während die vier Löffel den Weg in die Gläser finden.
Talina Scholl konnten wir oftmals im Circus Busch als vielseitige Artistin in den unterschiedlichen Genres erleben. Im Rahmen dieses Programms arbeitet die talentierte und sympathische junge Frau eine eindrucksvolle Kür im Luftnetz. Die umfangreiche Trickfolge erhält ihren besonderen Drive durch spektakuläre Abfaller.

Romina Casselly präsentiert charmant ihre gekonnt ausgeführte Hula Hoop Darbietung. Die vielseitigen genretypischen Abläufe folgen in flottem Wechsel aufeinander.
Das Ballett hat einen weiteren Auftritt und ein „Hot Rod Fun“ donnert über den Platz vor Bühne, dann bieten die „Universal Rider“ mit ihren verwegenen Globe of Death Nervenkitzel pur. Im – lt. Ansage „kleinsten Globe der Welt mit nur drei Meter fünfzig Durchmesser“ - sind bis zu drei Fahrer auf kreuzenden Bahnen in höchstem Tempo unterwegs.
Das Duo Turkeiev hat seinen mitreißenden Vertikalseil Act, der eine Vielzahl anspruchsvoller und risikoreicher Tricks beinhaltet, der Situation entsprechend neu gestylt. Die beiden Artisten tragen martialisch anmutende Masken und arbeiten zum Coronasong „Zusammenstehen“ von Sebel (Sebastian Niehoff).
Die „Alten Kameraden“, Antonio und Alfredo Casselly mit einem weiteren Partner, sowie Antonios Sohn Louis, bringen mit einem Augenzwinkern verkaufte Partnerakrobatik auf die Bühne.
Selbstverständlich rocken zum Abschluss der Nummernfolge die „Gebrüder Scholl“ mit ihrem fulminanten Auftritt auf dem Trampolin die Show. Sie begeistern ihr Publikum mit Können und Ausstrahlung. Gebannt und fasziniert werden bei Alfreds abschließendem dreifachen Salto die Daumen gedrückt.
Das Ballett leitet das schwungvoll präsentierte Finale, in dessen Verlauf die Mitwirkenden noch einmal vorgestellt werden, ein. Mit einem kräftigen Hupkonzert verabschiedet ein restlos zufriedenes Publikum die Artisten.