Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCUS Alexandre BOUGLIONE
Brüssel, 19. September 2009

www.bouglione.be
Seit einigen Jahren ist der Park von Laken, in Sichtweite des Atomiums, das Zuhause des Circus Alexandre Bouglione bei seinem Gastspiel in der europäischen Metropole. An einem wunderbaren, heißen Spätsommertag ist der Gedanke an Weihnachten noch sehr weit entfernt und doch wird hier in gewisser Weise die „Weihnachtscircus-Saison“ eröffnet - kann man den Circus während achtzig Tagen bis zum siebten Dezember hier besuchen. Der traditionelle Brüsseler Circusplatz in der Innenstadt, der Place Flagey steht wegen Umgestaltung derzeit nicht zur Verfügung, allerdings strebt man bei Alexandre Bouglione eine Rückkehr an diese traditionelle Spielstätte circensischer Kultur für das übernächste Jahr an.

Am Rande der weitläufigen Wiese hier im Park steht dem Circus nur ein enger Bereich und ein geteerter, dahinter verlaufender Weg zur Verfügung. Auf diesem drängen sich Ställe, Wohn- und Transportwagen dicht aneinander. Die große, in der Dunkelheit malerisch beleuchtete blau-goldene Fassade steht parallel zur Straße wird aber leider, wie der ganze Circus etwas verdeckt durch einen Bolzplatz. Neben der Front ist, unter einem rechteckigen Zeltdach der nostalgisch verzierte Kassenwagen platziert. Dann folgt ein modernes, wenige Monate altes Zweimasten-Chapiteau als Vorzelt. Dieses wird in den zumeist kleineren Städten der französischsprachigen Provinz als Spielzelt genutzt. Hier nimmt es die Restauration, einen 'Salonwagen' für offizielle Anlässe und ein Kinderkarussell auf.
In Brüssel wird im größeren der vorhandenen Viermaster gespielt. Außer Logen und einer weiteren Stuhlreihe bietet ein zwölfreihiges Gradin den zahlreichen Gästen Platz. Die Masten und Traversen dieses Zeltes wurden erneuert und bestehen nun aus Edelstahl. Bei vielen Effekten der nochmals erweiterten beeindruckenden Lichtanlage kommt das edle Material besonders zur Geltung. Der Boden in den Logen ist bis zum Gradin hin mit großen, auf Trägermaterial verschraubten hellen Laminatplatten ausgelegt und suggeriert einen edlen Marmorboden. Logen und Artisteneingang wurden erneuert. Aufwändig und phantasievoll ist deren Gestaltung. Die Seitenwände der Logen sind im oberen Bereich als dreidimensionale Pantherfiguren ausgebildet. Die Vorderseiten tragen Elefantenköpfe. Diese harmonieren perfekt mit den Leuchtern über dem Gradin, die ebenfalls aus drei zusammengesetzten Kunststoff-Elefantenköpfen bestehen. Blau und gold sind die vorherrschenden Farben im Chapiteau. Der neue Artisteneingang wirkt riesig, füllt das Chapiteau in Höhe und Breite gut aus. In großen Lettern trägt er den Namen des Circus.


Die aktuelle Produktion besteht, deutlicher differenziert als im vergangenen Jahr, aus zwei unterschiedlichen Teilen. Im ersten Teil wird ein klassisches leistungsstarkes Nummernprogramm geboten, während nach der Pause das durchgängig gestaltetes Manegenschauspiel im Vordergrund steht.
Die Programme bei Bouglione beginnen traditionell mit der Raubtierdressur, so auch in diesem Jahr. Drei Pumas, zwei Leoparden und einen schwarzen Panther umfasst die seit Jahren bewährte Gruppe von Nicolas Bouglione. Engen Körperkontakt pflegt er zu seinen Tieren, so trägt er den Panther vom Tunnel zu seinem Sitzplatz, lässt einen Puma bei einem weiten Sprung auf seinem Rücken „zwischenlanden“ und füttert einen Leoparden aus der Hand während dieser sich mit den Vorderpranken an seinen Hüften abstützt. Des Weiteren werden Pyramide, Hochsitzer und verschiedene Sprünge gezeigt. Hervorragend unterstützt wird die Präsentation durch ein exquisites Lichtdesign der zahlreichen Movingheads.
Den Käfigabbau überbrückt Clown Francesco mit virtuosem Spiel auf Trompete und Xylophon. Francesco Gilberto Beeloo, so sein bürgerlicher Name, lässt vier Zuschauer – bei deren Auswahl beweist er in der besuchten Vorstellung ein besonders gutes Händchen – in seiner sehr ansprechenden, schwungvoll und sympathisch vorgebrachten „Rockband“ mitspielen.  Zusammen mit der Familie sehen wir ihn, als 'Shepperds Clowns' machen sie „Bonbons für die Kinder“, ein weiteres Mal. Die Rolle der alles perfekt könnenden Autorität übernimmt dabei formvollendet Pierre Paille. Ansonsten eloqenter, wortgewaltiger Verkünder, versteht er es auf unnachahmliche Weise das Spiel der beiden naiven Auguste zu ergänzen.
Ein weiteres Mal sind die Gaspard mit ihrer grandiosen Rola Darbietung in diesem Circus zu sehen. Beeindruckende Leistungen werden mit hohem Schauwert gepaart geboten. Einen großen Anteil daran hat der Senior, der als 'betrunkener Zuschauer' die Manege entert, während seine Söhne auf den chromblitzenden Requisiten balancieren. Immer wieder faszinierend, wenn der alte Herr von der Rola „stürzt“, dabei den hohen Piedestal zum kippen bringt und aus etwa ein Meter fünfzig Höhe auf dem Manegenboden abrollt. Zu dritt zeigen sie Balancen mit hohen Schwierigkeiten. Der krönende Abschluss ist Sandro Monteiro, er ist der Ehemann Anouschka Bougliones, vorbehalten, in dem er auf acht aufeinander getürmte Walzen und Rollen steigt.

Für Pat Bratford & Kate wird ein Holzboden ausgelegt, dass sie darauf ihre mitreißende Step- und Handstandkür präsentieren können. Pat Bratford beherrscht eine große Anzahl equilibristischer Tricks, steppt im Handstand die Treppe hinunter und im Einarmer hinauf.
Nach Manege-Renz und Carl Busch ist dies nur der dritte Circus innerhalb eines Jahres, indem wir die Nistorov' s mit ihrer jugendlich-frisch präsentierten Rollschuhartistik sehen. Inzwischen ist die Truppe um eine dritte junge Frau erweitert, ohne dass sich der Ablauf oder Trickumfang merklich geändert haben. Damit ist der erste Teil komplett, Francesco und Piere Paillé leiten mit einem kleinen Sketch die Pause ein.

Der zweite Teil unterscheidet sich grundlegend vom ersten, ist als durchgängige revueartige Show gestaltet. „Au pays du Roi“, so der Titel, entführt die Zuschauer in das Indien Bollywoods. Konsequent wird das Thema umgesetzt. Angefangen vom neuen Interieur des Chapiteau, über die durchgängig originalgetreue Musik, ebensolche Kostüme, stimmiges Bühnenbild und mystische Ausleuchtung  stimmt hier einfach alles. Auch die diversen Werbeträger sind vollkommen auf dieses Thema abgestimmt.

Den Artisteneingang füllt die verschiebbare, nur ca. dreißig Zentimeter hohe Bühne mit ihrer Kulisse einer indischen Häuserzeile vollkommen aus. Den tragenden, verbindenden Part übernehmen in diesem Schaustück Musik und Ballett. Bis zu vierzehn Tänzerinnen sind auf der Spielfläche präsent. Eine Stimme aus dem Off erzählt die Story des „Maharadscha von Radjastan“ während die Damen des originalen Balletts – jeweils mit einigen Artistinnen ergänzt – die Story optisch transportieren.
Lilly Nikita, in einem schwarzen Ganzkörperoutfit mit neonfarbenen Ornamenten verziert, produziert sich am Vertikalseil. Prolongiert wurden Diana und Ethel Biasini mit Säbelbalancen, Ethel zudem mit ihrer Kür an Vertikaltüchern. Beide Nummern wurden selbstverständlich perfekt in das Motto integriert.
Dann sehen wir den Maharadscha.....ähm Direktor Alexandre Bouglione mit der, allerdings afrikanischen, Elefantenkuh Jenny. Die Reprise, in der Francesco „seine Beine“ in die unmöglichsten Stellungen verrenkt, lockert den Ablauf auf. Nun präsentiert Riccardo Canestrelli „heilige indische Kühe“, will sagen die vier Hinterwälder Ochsen, die der Circus Anfang vergangenen Jahres vom Circus Medrano übernommen hat.
Indien gilt als Land voller Mythen, Fakire und Geheimnisse – da passt eine Magic-Show bestens zum Thema. Leider bleibt das Duo Drago mit seinen wenigen, oft zu sehenden, stereotypen Standard-Illusionen recht blass. Unscheinbare Requisiten und uninspirierter Verkauf tun ein Übriges dazu bei, dass nur die pyrotechnischen Effekte  zündend genannt werden können.
Maria Paz und ihre Tochter haben eine Truppe aus sechs Damen zusammengestellt, die die Trommel- und Bolakünste, ansonsten argentinisch inspirierter Truppen, nach Indien transportiert. Das übliche Repertoire des Genres wird vorgestellt und mit dem dann dazu kommenden Ballett leitet man zum Finale über. In diesem wird deutlich, dass die aktuelle Produktion des Circus Alexandre Bouglione von einem sehr umfangreichen Ensemble gestaltet wird.

Die sehr kontrastreiche Gestaltung der beiden Programmteile schafft einen interessanten Spannungsbogen, der die Zuschauer mit Sicherheit in seinen Bann zieht. Hier wird sowohl den Ansprüchen von Liebhabern hochstehender klassischer Circuskunst, als auch der Schaulust eines dem Circus eher nicht so nahe stehenden Publikums Rechnung getragen. Circus Bougliones „au Pays du Roi“ lässt die alte Tradition der Manegenschauspiele in neuem Gewand aufleben  - bietet klassischen Circus in Bestform.

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