Text und Fotos Friedrich Klawiter
Interview mit Carmen Zander
Frankfurt, 24. Mai 2013

Im Außengehege, direkt vor dem Wagen der Tiger, hat Carmen Zander eine Sitzgruppe zum Interview-Termin arrangiert, „damit sie die Umgebung auch einmal aus meiner  Perspektive wahrnehmen“. Die Tiger schlummern derweil friedlich im wärmenden Sonnenschein in ihren Abteilen und Jasper, ein junger Berner Sennenhund, holt sich seine Streicheleinheiten vom Besuch ab.
Circus-online: Frau Zander, sie und ihre Familie kommen nicht von der Reise. Wie führte sie ihr Weg in die Manege?
Carmen Zander: Sicherlich habe ich in Kindertagen Circus-Vorstellungen besucht, doch meine Leidenschaft war der Sport – die Rhythmische Sportgymnastik. Hier habe ich sehr hart, diszipliniert, ehrgeizig  und umfangreich trainiert mit dem Ziel, eines Tages um eine olympische Medaille zu kämpfen. Verschiedene Verletzungen beendeten die Karriere vorzeitig und ich wechselte zur Berliner Artistenschule, die nach dreieinhalbjähriger Ausbildung mit dem Fachdiplom erfolgreich abgeschlossen wurde. Ich wurde umfassend in Jonglage ausgebildet und konnte mir eine Solo-Nummer aufbauen. Als es darum ging sich eine Zweitnummer zu zulegen, war mein großer Wunsch am Trapez zu arbeiten. Doch dieser wurde mir nicht erfüllt und auf Grund meiner „sportlichen Vergangenheit“ wurde mir Hula Hoop als zweite Disziplin zugeteilt. Mit diesen beiden Darbietungen bin ich dann aufgetreten, wobei der Weg eher in Richtung Varieté und Show gehen sollte, aber schlußendlich doch in den Circus führte.
Circus-online: Nun haben Sie vor einer Reihe von Jahren das Metier gewechselt  und sind Raubtierdompteurin geworden.
Carmen Zander: Raubtiere faszinieren mich von Kindesalter an. Egal ob im Zoo oder Circus, Raubkatzen waren und sind für mich von jeher das A und O. Schon als kleines Mädchen, nach dem ich die erste Raubtierdressur gesehen hatte, stand für mich fest, dass will ich machen. Dieses Verlangen ist nie in Vergessenheit geraten – der Wunsch hat sich nie mehr geändert. Ich bekam die Chance mit und für verschiedene Dompteure zu arbeiten und bestehende oder umformierte Gruppen vor zu führen. Dies sollte aber kein Dauerzustand werden, da ich nicht permanent als eins-zu-eins-Kopie eines anderen Dompteurs – und das muss man beim übernehmen einer bestehenden Gruppe notwendigerweise sein – agieren wollte. Ich wollte meine eigenen Tiere, damit ich meine persönlichen Vorstellungen einbringen konnte. Tiger sind meiner Meinung nach unter den Raubtieren die Vollendung der Schöpfung, sicherlich haben auch Löwen ihren Reiz, doch Tiger stehen für mich an allererster Stelle. So war ich sehr froh, als sich die Chance ergab einen Wurf Tigerbabys zu bekommen, diese nutzen zu können. Mit der finanziellen Unterstützung meines Vaters, außer den Tieren musste ja auf einen Schlag die gesamte Ausrüstung erworben werden, konnte ich dann starten. Es freut mich und macht mich auch ein wenig stolz, dass ich nun schon seit sieben Jahren fünf bengalischen Tigern, einer vom aussterben bedrohten Tierart, ein angenehmes Leben ermögliche und so zur Arterhaltung beitrage.
Circus-online: Wie haben Sie diese Jungtiere dann aufgezogen und die heutige Darbietung erarbeitet?
Carmen Zander: Meine fünf „Mäuse“ wurden mit der Flasche aufgezogen und die Darbietung selbst, nach meinen Vorstellungen eindressiert. Trickfolge, Raumaufteilung, Kostüm und Make Up sowie die Musikbegleitung ist alles nach eigenen Ideen entstanden. Die fünf Tiger sind Geschwister, die sich sehr gut verstehen, das macht manches einfacher, als wenn verschiedene alte Tiere, die schon die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht haben zusammen gebracht werden. Sie vertragen sich sehr gut, im Außengehege tollen sie gemeinsam herum und auch in der Nacht kuscheln sie alle in einem Abteil eng aneinander.
Dass mein Bruder Kai Breuer mich in dieser Saison, nachdem er bereits von 2006 bis 2009 mit mir reiste, wieder unterstützt, macht mich besonders froh. Denn ihm kann ich blind vertrauen und es sich wichtig, bei diesem anstrengenden und gefährlichen Job jemanden an der Seite zu haben, auf den man sich bedingungslos verlassen kann.
In den Aufbau der Trickfolge haben wir sehr viel Mühe und Arbeit investiert. Zwischenzeitlich wurde der Ablauf ein wenig geändert. Nachdem die Tiger erwachsen waren, musste ich das schmusen reduzieren. Küsschen hier, Küsschen da – das ging einfach nicht mehr. Es sind ja einige anspruchsvolle und auch gefährliche Tricks enthalten. Ganz besonders stolz bin ich auf den Schlusstrick, bei dem ich auf dem Tiger sitze, zwei weitere rechts und links hochsitzen und die beiden restlichen auch noch anwesend sind. Das erfordert schon sehr viel Einfühlungsvermögen und gegenseitiges Vertrauen.
Circus-online: Haben Sie Vorbilder, die Sie inspiriert haben?
Carmen Zander: René Strickler und seinen Umgang mit den Tieren möchte ich da zunächst nennen. Am meisten gelernt habe ich von der Familie Korittnig.
Circus-online: Welche Alternative zur Arbeit mit Raubtieren könnten Sie sich im Circus vorstellen?
Carmen Zander: Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass ich so lange es geht mit Raubtieren arbeiten möchte und werde. Sollte dies eines Tages, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr möglich sein, so wäre eine Darbietung mit Berner Sennen- und Schäferhunden eine Option. Ich bin ja bereits mit einem Berner Sennenhund aufgetreten. Eine Rückkehr zur Artistik kommt nicht in Frage, ich möchte mit Tieren arbeiten. Auch die Arbeit mit Pferden wäre eine Möglichkeit.
Circus-online: Sie sind nun seit einer Reihe von Jahren mit verschiedenen Unternehmen auf der Reise. Gibt es ein Engagement, an das Sie sich besonders gerne erinnern?
Carmen Zander:  Sehr wohl fühle ich mich im Circus Carl Busch und bin immer wieder gerne mit der Familie Wille auf Tournee. Es ist ein schönes gepflegtes Unternehmen, die Atmosphäre kollegial und der Kontakt mit der Direktion sehr angenehm. Eine sehr schöne Saison hatten wir auch in Ungarn mit dem Circus der Familie Richter.
Circus-online: Gibt es einen Circus oder eine Veranstaltung, von der Sie sagen, dass ist mein größter Traum dort einmal arbeiten zu können?
Carmen Zander: Das Circus Festival von Monte-Carlo. Dorthin eingeladen zu werden wäre für mich eine große Anerkennung und die Bestätigung, dass sich die ganze Arbeit und Mühe gelohnt hat. Sehr gerne würde ich auch einmal bei Krone auf der Sommertournee arbeiten, in einem der Winterprogramme war ich ja bereits dort. Einen derart großen Circus gibt es ja sonst nicht mehr. Doch wird dies ein Traum bleiben, da die Dompteurstelle dort ja fest vergeben scheint.
Circus-online: Dürfen wir Sie nach Ihren Plänen für die Zukunft fragen? Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Carmen Zander: Ich möchte weiterhin mit meinen Raubtieren arbeiten und auftreten. Meine fünf Tiger werden mich wohl hoffentlich noch eine Reihe von Jahren begleiten. Wenn einmal Veränderungen anstehen, könnte ich mir durchaus auch Löwen in der Nachfolge vorstellen. Ich fahre mit großer Begeisterung meine Transporte und liebe die Arbeit mit meinen Tieren und das soll so bleiben.
Mir gefällt das Leben auf der Reise mit all seinen Unwägbarkeiten,
Ein – konkreter – Traum – mehr schon ein Plan, den ich sehr gerne verwirklichen möchte und dafür auch die Reise aufgeben würde, ist es einen Raubtierpark zu schaffen. Dann bestünde die Möglichkeit mehr verschiedene Arten, auch seltene wie Schneeleoparden und den heute in Freiheit ausgerotteten Berberlöwen den Menschen nahe zu bringen und auch zur Arterhaltung bei zu tragen. Selbstverständlich in Kombination mit Dressurvorführungen. Dieses Projekt liegt mir sehr am Herzen, aber das ist nicht so einfach zu verwirklichen. Zum einen ist da die Frage der Finanzierung, da ist schon sehr viel Kapital erforderlich. Andererseits besteht das Problem ein geeignetes Areal von circa fünfzehntausend Quadratmetern zu finden, das bezahlbar ist, sämtliche Anforderungen erfüllt und alle Auflagen einhalten lässt.
Circus-online: Nach der Frage nach Ihrer Zukunft möchten wir Sie nach Ihrer Ansicht zur Zukunft des Circus fragen.
Carmen Zander: Es ist allerhöchste Zeit, dass alle die mit und vom klassischen Circus leben um seine Zukunft kämpfen. Die kleinlichen Eifersüchteleien, der Kollegenneid und Missgunst müssen aufhören, wenn eine ganze Branche überleben soll. Wenn alle mit ganzer Kraft und den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln endlich an einem Strang ziehen würden, dann glaube ich, dass der Circus gute Chancen hat auch weiterhin mit Tieren zu existieren. Wir haben keine funktionierende Berufsvertretung, keine Rechtsabteilung, wie soll so Lobbyarbeit funktionieren – Politik und Entscheidungsträger aufgeklärt werden? Wenn sich hieran nicht in allerkürzester Zeit entscheidend etwas ändert, sehe ich keine Zukunft mehr für den Circus.
Circus-online: Frau Zander wir bedanken uns herzlich für das ausführliche und offene Gespräch, dass Sie sich die Zeit genommen haben und uns diese interessanten Einblicke gegeben haben.
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