Text und Fotos Friedrich Klawiter                                                 
CIRCUS Geb. KNIE
Luzern, 24. Juli 2012

www.knie.ch
Die 94. Tournee führt den „Gebrüder KNIE Schweizer National-Circus AG Rapperswil“ in diesem Jahr durch die Kantone unseres Nachbarlandes und wie stets, ist man in der Zeit um den Schweizer Nationalfeiertag am 1. August, auf der Allmend in Luzern zu Gast.
Am angestammten Platz, dem Innenraum der Galopprennbahn, sind die Baustellen verschwunden und dem Circus steht das Gelände nun wieder uneingeschränkt zur Verfügung. Der Weg über das Geläuf, zwischen Koppeln hindurch auf denen Knie-Pferde den Tag verbringen, führt nun geradewegs auf das Zentrum des riesigen Vorzeltes hin, das auf der hohen Seitenwand das Knie-Logo trägt. Der davor stehende Frontzaun mit seinen nostalgischen Leuchten tritt optisch weit in den Hintergrund. Der moderne Kassenwagen auf der einen und ein nostagischer Holzwagen auf der anderen Seite ergänzen vor dem Vorzelt die Front. Rechts sind vier neue Bürowagen und die Kleintransporter des Circus in Paradeaufstellung angeordnet.
Auf der linken Seite des Chapiteau hat die Menagerie ihren Platz gefunden. Hinter dem im Safari-Look bemalten Eingangswagen wirbeln die drei Elefanten, der größere Teil der Herde verbleibt im Kinderzoo in Rapperswil, mächtig Staub auf. Sie wechseln nach Belieben aus dem schattigen Stall in den sonnigen Paddock und werfen sich fortwährend Sand und Grünfutter auf die Rücken. Der moderne Pferdestall bietet den edlen Hengste ideale Bedingungen, jede der geräumigen Boxen verfügt über einen Außenbereich. Das gleiche gilt für die beiden Pony-Stallzelte. Natürlich sind die Exoten – Watussirinder, Kamele, Zebras und Lamas in ähnlicher Weise untergebracht. In einigen Käfigwagen, mit Außenbereichen, haben Papageien und Affen ihr Zuhause. Eine elegante Ponyreitbahn, Restauration und Souvenirverkauf sowie ein Zelt mit einer Probemanege komplettieren diesen Bereich des Circus.
Direkt beim Chapiteau neben Kasse und Büros die Fahrzeuge der Restauration, Elektrozentrale und Garderobenwagen platziert. Die Wagen der Familien Knie und der Artisten stehen ein wenig entfernt außerhalb des Rennbahnovals. Auf einem gegenüberliegenden Gelände sind die Mannschaftswagen, Küche und Speisewagen, mobile Werkstätten und Zugmaschinen in langen Reihen aufgestellt.

Unter dem Saisonmotto „Passion Circus“ setzt man im Programm auf die seit Jahren  gleichen und bewährten Zutaten. Das ist zum einen die Familie Knie mit ihren Dressurdarbietungen, hinzu kommen internationale hochkarätige Artisten und ein Schweizer Comedian komplettiert die Show. Passion – Leidenschaft, Hingabe, Enthusiasmus, Begeisterung, Eifer –  lässt dieses Programm in weiten Teilen erkennen und in manchen Augenblicken springt der Funke aufs Publikum über.

Ivan Frederic Knie, der Anfang Juli seinen zehnten Geburtstag feierte und damit ältester Vertreter der 8. Knie-Generation ist, tritt allein, im eleganten roten Frack, in die Manege und übernimmt routiniert, von seiner Liebe zum Circus und Fortführung der Tradition erzählend, die Begrüßung des Publikums.
Wie in den Jahren zuvor eröffnet eine Truppe des Circus-Theaters Bingo aus der Ukraine mit einem bunten Charivari die Nummernfolge. In einer temperamentvollen Choreographie werden zunächst Elemente der Handstand- und Luftartistik von den acht Artisten/Innen gezeigt. Akrobatik auf dem Fasttrack, hier eine Art „Luftmatratze“ die quer durch die Manege bis zum Sattelgang reicht, bestimmt den zweiten Teil des Opening. Die Brüder Errani und Mitglieder der Truppe „White Gold“ betätigen sich als vielseitige Springer, deren Aktionen von den Bingo-Artisten tänzerisch untermalt werden. Mit Tempo, Temperament und Lebensfreude pur beginnt das diesjährige Programm des Circus Knie und verheißt solchermaßen einen großen Circusabend.
Jedoch verliert die Show gleich wieder an Schwung, da der  Schweizer Komiker Michel Gammenthaler zu seinem ersten Auftritt kommt. Er kombiniert in seinen Szenen Zaubertricks mit Comedy und verkörpert dabei verschiedene, mehr oder weniger skurrile Typen. Die Tricks - u. a. das Spiel mit Metallreifen, Münzen aus der Luft greifen und das Schießen eines Tuches in einen Ballon – hat man schon vielerorts gesehen. Die besondere Wirkung soll eben durch die Verbindung mit der Comedy entfaltet werden. Dies gelingt jedoch, zumindest in der besuchten Vorstellung, nicht so recht. Erschließen sich uns aufgrund des „Schwyzerdütsch“ die Gags nicht immer, bleiben die Reaktionen des einheimischen Publikums in weiten Teilen sehr verhalten. Vor diesem Hintergrund wirkt sein Running Gag, dass man in Luzern immer langsamer reagiere und er hier immer weniger Applaus als in Zürich erhalte, etwas deplatziert. Wie im Vorjahr wurde kein weiterer Clown engagiert und so ist die Sparte Komik im Programm eher unterrepräsentiert, zumal Kinder der gebotenen Comedy wenig werden abgewinnen können.
Semeon Krachinov, ein junger russischer Jongleur, arbeitet seine Routinen in hohem Tempo. Er beginnt seine Kür mit variantenreichen Manipulationen mit Bällen, von denen letztlich neun sicher beherrscht werden. Im Anschluss werden mit bis zu sieben Keulen in der Luft gehalten.

Fredy jun., Geraldine-Katherina und Marie-José Knie sind in gewohnter Weise mit umfangreichen Pferdedressuren zu erleben. Mit einem dekorativen Groß-und-Klein eines goldfarben glänzenden Achal-Trakehners im Zusammenspiel mit einem farblich hervorragend passenden Pony eröffnet Marie-José Knie den Reigen der hippologischen Vorführungen. Einen attraktiven Zwölfer-Zug stellt Geraldine-Katherina Knie in souveräner Manier vor. Je sechs Friesen und weiße Araber zeigen in interessanten Formationen im Wechselspiel der Farben ihre Lauffiguren. Nach einem Gruppensteiger der Araber werden vier Pferde gegen Zebras ausgetauscht. In dieser Formation, die es in der Vergangenheit schon mehrmals in der Knie-Manege zu bewundern gab, ergeben sich weitere attraktive Kombinationsmöglichkeiten. Abschließend zeigt die versierte Vorführerin mit ihren Tieren ein großes Karussell, bei dem die Zebras auf dem mittleren Zirkel im Gegenlauf positioniert sind. Fredy Knie jun. beschränkt sich in diesem Jahr darauf die Da Capo Steigerpferde zu präsentieren. 
Franco jun. und Linna Knie-Sun sind gleich darauf mit den drei indischen Elefanten zu erleben. Laufarbeit, Tricks auf den Tonneaus und Hochsitzer eines Elefanten werden genauso geboten wie Tragetrick und Rüsselspagat.

Leosvel & Diosmani begeistern mit ihrer fantastischen Kür am Chinesischen Mast. Mit enormem Kraftaufwand werden die hochklassigen und teils einmaligen Tricks in hervorragender Ausführung geboten. Ungewöhnliche Abläufe, wie z. B. ein horizontal, im rechten Winkel zum Mast, aufgeführter Klimmzug lassen die Zuschauer ungläubig staunen. Begeistert gefeiert werden die beiden kubanischen Artisten bei ihrem Schlusstrick, zu dem einer der beiden sich nur an den Händen haltend, mit gestreckten Armen, als „Fahne“ vom Mast absteht und der Partner auf seinem Körper einen Handstand drückt.
Auch die dritte und letzte Dressurdarbietung, eine erstklassige Ungarische Post ist im ersten Programmteil platziert, da der zweite Teil einen Holzboden erfordert.
Die Brüder Maycol und Wioris Errani zeigen sich als hervorragende, sehr elegante Stehendreiter auf ihren beiden Friesen-Gespannen. Sicher beherrschte Hürdensprünge und das mehrfache durchlaufen je eines frei agierenden Palominos sind die ersten Aktionen dieser reiterlichen Darbietung, die echten großen Circus bietet und das Publikum begeistert mitgehen lässt. Dann werden die Voraus-Pferde, je fünf weiße Araber, nach und nach hereingelassen und den Reitern gelingt es bei dem hohen Tempo, alle Leinen aufzunehmen.

Das Trio Tereshchenko bietet mit seinen hervorragenden Handvoltigen die einzige Luftnummer in der großen Kuppel des Knie-Chapiteau. Viele Salti und Pirouetten werden von den beiden Voltigeusen in hervorragender Ausführung geboten und sicher gefangen.
Die Truppe Bingo bietet eine schwungvolle Hula Hoop Choreographie, in der eine Solistin bis vier Ringe um Arme und Beine kreisen lässt.
„White Gold“ nennt sich das ukrainische Akrobaten-Quartett, dessen Handvoltigen und Handstandartistik beinahe eine Kopie des Repertoires von Gruppen wie Seaworld, Atlantis oder Crazy Flight ist. Obwohl konventioneller in Kostüm und weniger dramatisch inszeniert, wirkt auch dieser Auftritt recht synthetisch und weckt beim Publium nur wenig Emotionen.
Ganz anders dagegen der Auftritt der drei Brüder Errani auf dem Trampolin. Hier erleben wir einen der Momente wo die „Passion Cirque“ deutllich wird und das Publikum vom ersten Augenblick an begeistert mitgeht. Mit südländischem Temperament verkaufen die Artisten strahlend ihr Können. Gekonnt erfolgen die Salti und Pirouetten bis hin zum Drei-Mann-Hoch auf dem elastischen Tuch. Zeitweilig wird eine Trinka auf dem Trampolin montiert und die Erranis zeigen einige ihrer Ikarier-Tricks.
Valérie Inertie präsentiert eine exzellente Kür am Cyr-Rad. Ihr ungeheuer kraftvoll Auftritt lässt sie eins werden mit dem Requisit und in einem furiosen Wirbel erfolgt ihr Tanz mit und auf dem Metallkranz. Krachende E-Gitarrenklänge untermalen perfekt abgestimmt das Geschehen und setzen die Artistin hervorragend in Szene.
Die acht Dalian Girls sind mit ihrer furiosen Artistik auf Fahrrädern als Finalnummer platziert und so erleben wir eine weitere große Truppe in diesem Programm. Hochkarätige, schwierige Tricks, wie beispielsweise Sprünge im Zwei-Mann-Hoch von einem zum anderen Rad, oder eine Vorwärtsrolle mit dem Rad über die Rücken der Kolleginnen, werden mit gewohnter chinesischer Präzision.
Das Finale folgt der seit vielen Jahren bekannten und bewährten Choreographie. Eröffnet wird es von der Truppe Bingo in einer tempogeladenen Choreographie. Nacheinander versammeln sich die Artisten und die Mitglieder der Familie Knie in der Manege und Geraldine-Katherina Knie spricht die traditionelle Abschiedsformel. Der wohlverdiente Schlussapplaus mündet schließlich, nachdem man lange genug forciert hat, doch noch in Standing Ovations von Teilen des Publikums. Die folgenden Zugaben sehen die Dalian Girls mit Diabolos hantieren, die White Gold steuern einen Trick bei, Semen Krachinov springt auf einem Einrad Seil und jongliert zusammen mit den Errani-Brüdern, bevor Michel Gammenthaler einen Hula Hoop kreisen lässt. Wie gewohnt endet das fröhliche Treiben im Konfettiwirbel mit einem letzten Kompliment aller Mitwirkenden.
Der Schweizer National-Circus Gebrüder Knie präsentiert wiederum ein qualitativ hochstehendes Programm, dessen Artisten – im Gegensatz zu den Vorjahren – allesamt erstmals in dieser Manege zu sehen sind. Wenn auch Komik, bzw. Clownerie in dieser Spielzeit nicht sehr präsent sind, vermisst man am meisten eine attraktive Raubtierdressur in einem früher führenden klassischen Circus der westlichen Welt.

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