Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCUS Gebr. KNIE
Luzern, 28. Juli 2010

www.knie.ch
Seit Jahren folgt die Programmgestaltung im Schweizer Nationalcircus der Gebr. Knie einer unveränderten Rezeptur. Internationale Spitzenartisten, erstklassige hauseigene Tierdressuren, klassische Clownerie und bekannte Comedians aus dem Schweizer Raum sind die Zutaten zu diesem Cocktail. Das Mischungsverhältnis hat sich indes in letzter Zeit stark verändert. Die Anzahl der artistischen Darbietungen ging sehr zurück und der Anteil der Komiker am Programmablauf nahm entsprechend zu.
„Fascination“ lautet das diesjährige Programmmotto, doch trotz teils hervorragender artistischer Darbietungen in Verbindung mit guten, bzw. hervorragender Pferdefreiheit, Dressurnummern und namhaften Clowns will sich keine Begeisterung einstellen, wirkt dieses Programm unrund, unausgewogen, weist speziell im ersten Teil Längen auf. Die zu knapp bemessene Auswahl an artistisch-akrobatischen Darbietungen wird deutlich spürbar.


In der Zeit um den Schweizer Nationalfeiertag am 1. August ist der Circus Knie stets auf der Allmend in Luzern zu finden. Diese ist immer noch eine Großbaustelle und so steht der Circus wieder ein wenig verteilt auf dem Gelände. Die Front ist im rechten Winkel zur direkt am Platz entlang laufenden Straße und damit in Blickrichtung auf die Innenstadt ausgerichtet. Das gewaltige Vorzelt dominiert die Optik des Circus, lässt das Chapiteau weitgehend hinter seinen hohen Kuppeln verschwinden. Die großzügigen Ställe und Freigehege für Pferde, Kamele, Exoten und Elefanten nehmen den Raum hinter dem Zelt ein. Nur wenige Wagen sind gleichfalls hier platziert. Nach den großen Investitionen der letzten Jahren in neues Material – Chapiteau, Vorzelt, Pferdestall, Fahrzeuge, Gradin -  kommt der Circus in diesem Jahr ohne größere augenfällige Veränderungen daher.


Beim Schweizer Nationalcircus kennt man ausschließlich nummerierte Sitzplätze und so verharren die meisten Besucher bis kurz vor Vorstellungsbeginn, bis Sprechstallmeister Enrico Caroli den baldigen Beginn ankündigt, im Außenbereich. Dann entsteht naturgemäß ein leicht hektisches Gewusel beim aufsuchen der richtigen Plätze. In dieses hinein tönt die laute schrille Stimme einer exaltierten, aufgeregt französisch parlierenden Dame. Enrico Caroli erscheint auf der Szene und durch anweisen des Platzes kann er schlussendlich Marie-Therese Porchet zum verstummen bringen.


Das große und gute Orchester unter der Leitung von Ruslan Fil hat mit der Ouvertüre eine der wenigen Situationen in denen es alleine live spielt und nicht nur Akzente zur Konservenmusik beisteuert. Insgesamt bietet der Sound bei Knie viele Geigenklänge, wirkt  so sehr weich und verhalten, lässt einigen Druck und Schwung vermissen.
Dann verstummt die Live-Musik gleich wieder, da die Akrobatik-Melange der Truppe Bingo von einer Musikkonserve im Diskosound begleitet wird. Fünf Artisten/Innen präsentieren in viel Tanz eingebettet Elemente der Genres Einrad, Jonglage und Hula Hoop, schaffen so den Rahmen für einige ansprechende Tricks eines weiteren, zur Truppe gehörenden Duos am Trapez. Den Abschluss des Openings bilden die Batude-Sprünge der drei Brüder Errani. Über eine schräge, abwärts führende hohe Anlaufbahn gelangen die Ausführenden auf ein sehr stark federndes Sprungbrett. Der Absprungpunkt liegt fast auf Höhe der Elefantenrücken und über diese, bis zu drei Tiere hinweg drehen sie ihre Salti zum Stand auf ein Polster. Diese inzwischen extrem selten zu sehende artistische Darbietung, vor vielen Jahrzehnten war es eine beliebte Programmeröffnung, wirkt spektakulär und sorgt für Begeisterung im Gradin.

Der Schweizer Komiker, er wird zu vielen seiner zahlreichen Auftritte wortreich angekündigt, dieser Spielzeit ist der Westschweizer Joseph Gogorni in seiner Rolle als Marie-Therese Porchet. In der Vergangenheit schon bei Knie im französischsprachigen Landesteil zu erleben, wird er nun erstmals in allen Tourneestädten zum Programm gehören. Sein Ziel ist es den „Röstigraben“ zu überwinden und Marie-Therese Porchet zur Königin der Schweiz zu krönen. Langatmig wird dieses Unterfangen im ersten Auftritt dargelegt und ein lustlos wirkender Fredy Knie jun. überreicht Madame Porchet einen „Zaubertrank“. Nach dessen Genuss ist der ausschließlich französischsprachige Künstler in der Lage auch schwyzerdeutsch und italienisch – in beiden Sprachen wurde das für den Auftritt Notwendige phonetisch erlernt – zu sprechen.
Diese erste Szene gerät lang, wirkt dilettantisch und aufgesetzt, nimmt vollkommen den Schwung des Openings heraus. Auch seine zahlreichen weiteren Auftritte wirken teilweise bemüht und die Gags zünden nicht auf breiter Front. Die meisten Auftritte der designierten „Schweizer Königin“ enden mit Live-Gesang. Zu bekannten Schlagermelodien werden neue launige Texte vorgetragen, im Stil manchen Karnevalsauftritten ähnlich.

Lange zwanzig Minuten nachdem die Show begann, wird es dann zum ersten Male richtig Circus, als die Azzario Sisters ihre Hand-auf-Hand Darbietung zelebrieren. Seit ihrem Engagement bei Roncalli sind aus den Teenies bezaubernde junge Frauen geworden,  die ihre starken Leistung anmutig verkaufen. Nun beherrschen die beiden Töchter von José Mitchell nicht nur mit bemerkenswerter Leichtigkeit und Perfektion ihre anspruchsvolle Kür, sie verstehen sich auch hervorragend auf den Flirt mit dem Publikum.  Entsprechend enthusiastisch werden sie gefeiert.
Gleich darauf die erste Reprise der klassischen Clowns. Fumagalli und sein Bruder Darix wollen Enrico Caroli von ihren Qualitäten als Magier überzeugen. Ein buntes Tuch soll quer durch die Manege unsichtbar von einem zum anderen wandern. Die ziemlich langatmige Abwicklung dieser Reprise nimmt dem Programm wieder den Schwung und drückt auf die Stimmung.  Im ersten Teil sehen wir die beiden Auguste ein weiteres Mal mit einer kaskadeurähnlichen  Nummer auf und an einem großen Tisch, wobei die akrobatischen Elemente recht spärlich eingestreut sind. Als großes Entree gibt es heuer nicht ihr berühmtes 'Bienchen', dieses wurde bei ihrem ersten Knie-Engagement vor wenigen Jahren gespielt, sondern einen 'Boxkampf' bei dem Enrico Caroli als Ringrichter fungiert. Bei dem Klamauk wird so leicht kein Gag ausgelassen und ausführlich, wenn auch mitunter etwas improvisiert wirkend, spielt man dieses Entree. Die letzte Reprise dreht sich wiederum um einen Zaubertrick. Man wettet mit dem Sprechstallmeister, dass es gelingt ein paar Handschuhe unter einem Hut vom Kopf eines Zuschauers wegzunehmen, ohne den Hut zu berühren.


Im allmählich heller werdenden Licht ist ein abliegender Palomino in der Manegenmitte zu sehen und Marie-José Knie umrundet ihn auf einem Schimmel. Ein wenig romantisch inspiriert beginnt die diesjährige großartige Vorführung von Pferden im Hause Knie. Zwei weitere Palominos kommen dazu und vom Pferd aus dirigiert Marie-José Knie diese Nummer. Die Vorführerinnen wechseln und weitere Freiheitspferde kommen hinzu. Je vier Palominos und Friesen werden von Geraldine-Katherina Knie zu ihren Figuren angeleitet. Harmonisch und ausgewogen läuft die perfekt funktionierende Dressurfolge ab. Viele schwierige und höchst selten gezeigte Figuren und Abfolgen werden völlig entspannt und souverän von allen Beteiligten vorgetragen. So werden die auf zwei Zirkeln gegenläufig kreisenden Hengste mit wunderbarer Selbstverständlichkeit nach und nach auf der dritten Bahn zu zwei Fächern formiert. Direktor Fredy Knie jun. beschränkt seinen Auftritt in diesem Jahr auf die Da Capos. Nacheinander glänzen mehrere Hengste mit erstklassigen Steigern. Zum Abschluss des Pferdepotpourie reitet der achtjährige Ivan-Frederic sehr sicher eine ungarische Post.  Natürlich kann das Kind die 'Vorauspferde' noch nicht unter sich durchlaufen lassen, so werden die sechs Pferde nacheinander vor sein Gespann geführt und ihm die Leinen angereicht.

Vlad Olandar war mit seinen acht weißen Angorakatzen  in vielen Manegen zu sehen. Ganz in der Tradition des russischen Staatscircus werden in perfekter Choreographie die Tricks abgespult.
Nach einem Clownintermezzo schließt sich die nächste Dressurnummer aus dem Hause Knie an. Maycol Errani präsentiert einen großen Exotenzug. Zu Beginn laufen vier Böhm-Zebras ihre Figuren zu denen sich alsbald vier Kamele gesellen. Anspruchsvolle Figuren aus dem Repertoire von Pferdefreiheiten werden, mit teils deutlicher Hilfe von Fredy Knie, vorgetragen. Dann wird ein großes Karussell mit Hilfe einer Anzahl Bereitern formiert. Die vier Kamele liegen ab, zwei Watussi werden an den Manegenseiten postiert und je sechs Guanakos und Lamas sind gegenläufig auf zwei Zirkeln, auf dem äußeren werden dabei die Kamele übersprungen, unterwegs.
Als Pausennummer ist die Tianjin Acrobatic Troupe mit ihren Meteoren platziert. Die acht jungen Chinesen zeigen eine durchgestylte Nummer mit einer rasanten Folge starker Tricks. Die große Begeisterung lösen sie allerdings beim Publikum nicht aus.


Der zweite Programmteil kommt insgesamt geschlossener, flotter und stärker herüber. Eröffnet wird er von Glen Nicolodi, der zusammen mit seinem vierbeinigen Partner in bekannter Weise seine Handstandkunst entbietet.
Eine junge Frau aus der Truppe Bingo präsentiert elegant eine nette Kontorsionsnummer. Ihre sechs Kollegen/Innen umrahmen mit vielfältigem Tanz und akrobatischen Elementen ihr Tun, schaffen so interessante Bilder und unterstützen den Verkauf der Darbietung in erstklassiger Weise.
Auch in diesem Jahr präsentieren die Fratelli Errani ihre ikarischen Spiele wieder in der Knie-Manege. Nun im Zusammenspiel mit Nino und Nico Huesca, den Söhnen Fumagallis. Teils wechselweise als Art Wettstreit, teils parallel werden die Tricks gearbeitet. Zu je einem Salto wirbeln die beiden Obermänner von ihrem zum Untermann des anderen Duos. Ihren Spitzentricks zeigten die Erranis in der besuchten Vorstellung nicht.
Von den zehn Elefanten des Circus Knie sind nun, nachdem Sabu wegen ihrer Eskapaden zurück in den Kinderzoo in Rapperwil verbracht wurde, nur noch drei mit auf Reisen. Sandri, der zuletzt bei Knie geborene Elefant und ihre Mutter Claudia sind laut Angaben des Circus in Belgien um dort gedeckt zu werden und die übrigen bevölkern die Elefantenanlage des Kinderzoo. Mit den drei Tieren zeigen Linna Knie-Sun und Franco Knie jun. eine ansprechende Dressurfolge. Nach einiger Laufarbeit folgen akrobatische Tricks.

Die einzige Darbietung unter der Kuppel des Chapiteau markiert den Höhepunkt des Programms. Auf dem Hochseil spielen Freddy Nock und sein, seit Saisonbeginn, neuer Partner Ramon Urs Kathriner mit den Nerven der Zuschauer. Während Nock den Arbeitsplatz über ein Schrägseil, eine Teilstrecke legt er rückwärts laufend zurück, erreicht, nimmt Kathriner den Weg über die Strickleiter. Die Trickfolge wird ohne Absicherung ausgeführt und beinhaltet ein komplettes Repertoire an Spitzentricks. Seilspringen, Bocksprung über den Partner mit anschließendem Scheinsturz und Zwei-Mann-Hoch werden beispielsweise von Freddy Nock ausgeführt, während sein Partner riskante Balancen auf einem Stuhl und den Sprung zurück aufs Seil zeigt.

Das Finale bei Knie folgt seit etlichen Jahren einer stets gleichen, bewährten Choreographie. Seit dem letzten Jahr allerdings wurde die, bis dahin sehr effektvolle und mitreißende Musik, geändert, so dass das Publikum nun verhaltener reagiert. Die Artisten und die Familie, nur die junge Generation sowie Marie-José Knie kamen zum Finale, nehmen Aufstellung und Geraldine-Katherina Knie verabschiedet das Publikum mit der stets gleichen Grussformel. Sehr lange und intensiv sind die Bemühungen Standing Ovations herbei zu führen. Endlich erhebt sich eine vergleichsweise geringe Anzahl Besucher. Sehr viele drängen bereits flott den Ausgängen entgegen und schon während der Zugaben sind die Reihen des Gradins weitgehend geleert.
„Fascination“ - so das diesjährige Programmmotto, doch offenbar haben nur wenige Besucher diese empfunden.
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