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Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRQUE DE LA GÉNÉROSITÉ
Dünkirchen, 05. November 2016

www.imperialshow.com
Kultur pur. Mit der Veranstaltungsreihe „Cirque de la Générosité“ bietet eine Reihe nordfranzösischer Kommunen ihren Bürgern den besonderen Service das Kulturgut Circus, der in Frankreich einen anderen Stellenwert als hierzulande genießt, zu einem für Jedermann erschwinglichen Preis zu besuchen. Die Durchführung dieser Veranstaltungen liegt seit deren Beginn in den Händen des Agenturcircus „Imperial Show“.
In der Hafenstadt Dünkirchen gastierte diese grandiose traditionelle Circus-Show für drei Tage auf dem Parkplatz des größten innenstädtischen Einkaufszentrums direkt an einem Jachthafen. Man gab elf Vorstellungen, die von weit mehr als zwanzigtausend Menschen besucht wurden - ein eindrucksvolles Zeugnis, wie stark der Circus als Kulturgut der Franzosen verwurzelt ist.
Das mächtige blaue Chapiteau mit weißen Absetzungen und hoher spitzer Rundkuppel, auf dessen Mastspitzen die Flaggen der Stadt Dünkirchen wehen, ist in diesen Tagen der Nabel des kulturellen Lebens der Hafenstadt. Ein optisch passendes, großes zweimastiges Vorzelt ist mittels zweier Tunnel an das Spielzelt angeschlossen. Ein vor den Zelten platzierter Container beherbergt die Circuskasse. Die Materialtransporter stehen dicht an beiden Seiten der Zelte und im hinteren Bereich sind die verschiedenen Ställe und Tiergehege aufgebaut. Die zahlreichen Wohnwagen der Artisten und Mitarbeiter sind in langen Reihen auf der Hafenmole aufgefahren. Manfühlt sich in die glorreichen Zeiten von Hagenbeck, der Althoffs und anderer zurück versetzt.
Im Vorzelt nimmt der lange Verkaufstresen der Circusrestauration eine Zeltseite ein. Rote Teppiche weisen den Weg ins Spielzelt.
Das Gradin umfasst fünfzehn Reihen Schalensitze und zwei Reihen bequemer, gepolsterter Logenstühle.
Der hohe Artisteneingang aus blauem Samt wird mit Hilfe moderner Beleuchtungselemente raffiniert in Szene gesetzt. Auf seiner Empore hat das ausgezeichnet aufspielende Orchester, vom schwedischen Circus Brazil Jack, Platz genommen. Exzellente musikalische Begleitung und ein ebensolches exquisites Lichtdesign schaffen ein hervorragendes Ambiente im bestens besetzten weiten Rund und lassen das hochkarätig besetzte Programm zu einem besonderen circensischen Erlebnis werden.

Mit der traditionellen Flaggenparade aller mitwirkenden Artisten nimmt die Show ihren Beginn und der „Monsieur Loyal“ der Show, Fabrice Fraisse – ein in Frankreich sehr bekannter Manegensprecher – gibt nach der Begrüßung des Publikums die Manege frei.
Aus Guinea kommt die Amadou Keita Truppe, die mit afrikanischem Temperament und Fröhlichkeit zu agiert. Die fünf Artisten zeigen sich als geschickte Pyramidenbauer und Springer, die ihr Metier in vielerlei Varianten beherrschen. Ihre Arbeit bildet den idealen Auftakt für das traditionelle und leistungsstarke Programm.
Vom schwedischen Circus Olympia kommt der große Exotenzug, der unter der versierten Peitschenführung von Direktor
Niklas Bengtsson seine Figuren abläuft. Zunächst zeigen zwei dekorative Rinder und ein Lama Achterläufe, dann wird die Formation mit vier prachtvollen Kamelen und einem weiteren Lama ergänzt. Vielerlei Lauffiguren erfolgen flott und gekonnt und mit den Sprüngen der Lamas über abliegende Kamele endet der Auftritt.
Die Reggio Sisters bieten zu viert ein stimmungsvolles Luftballett an einem kugelförmigen Doppelring. Hervorragend in Szene gesetzt bietet dieser Auftritt hohen, stimmungsvollen Schauwert und ansprechende Tricks.

Gleich zwei großartige Clown-Darbietungen sind in der Manege präsent. Zum einen das Duo Salvini mit seinem Entree „Kochschule“. Das sympathische Clownspaar erfreut mit gekonntem musizieren auf verschiedenen Instrumenten und bietet in flottem Ablauf Slapstick-Comedy.
Clown Jimmy Folco ist mit Reprisen und einem Entree zu erleben. Zunächst trägt er zusammen mit einem Jungen aus dem Publikum einen Wettstreit im Wasser spucken aus. Beim Spiel mit Luftballons, das von einer strengen Stallmeisterin – Ehefrau Claudia – immer wieder durch Zerstörung des Ballons unterbunden wird, erlebt diese eine Überraschung. Im umfangreichsten Auftritt jongliert er zunächst mit Tellern, ehe vier Zuschauer in die Manege gebeten werden. Nun entwickelt sich ein turbulentes Spiel in dessen Verlauf etliche Teller zu Bruch gehen.
Circus-Urgestein Reinhard – Johnny – Fischer sorgt als „Lucky Luke“ mit seiner Kleintierrevue für mächtig Trubel in der Manege. Ein Dalmatinerhund überspringt Hürden, eine Ziege balanciert über eine Planke und die Katzen springen durch einen Reifen. Esel, Ziegen und ein Hund bilden eine Pyramide und aus einer „explodierenden Bombe“ kommt ein weißes Kaninchen zum Vorschein. Dies alles präsentiert Johnny Fischer in seinem unvergleichlichen temperamentvollen Stil, und auch in der vierten Vorstellung des Tages temporeich und mit nie erlahmendem Elan. Abschließend dreht der Vorführer am Lenker eines leichten Krad mit einer Ziege im Beiwagen einige Runden in der Manege.

Ganz in gold getaucht begeistert das ungarische Trio Laruss mit seiner Adagioakrobatik. Kraftvoll und voller Eleganz präsentieren die drei Artisten auch schwierigste Hebe- und Halteelemente, wobei auch eine der beiden weiblichen Truppenmitglieder als Porteur agiert.
Nervenkitzel pur zu später Stunde bietet das Duo Jasters mit seiner furiosen Kunstschuss und Messerwurf Darbietung. Mit absoluter Treffsicherheit zerplatzen knapp neben dem Kopf der Partnerin platzierte Luftballons unter den von der Armbrust abgefeuerten Pfeilen. Selbstverständlich gehört auch der „Tell-Schuss“ zum Repertoire. Selbst durch eine die Partnerin komplett verdeckende Papierbahn hindurch finden die Wurfmesser sicher das Ziel, ebenso bei den Würfen auf die rasant rotierende Scheibe.
Der Glanzpunkt vor der Pause ist das große doppelte Fliegende Trapez der „Flying Reggio“. An den beiden parallel angeordneten Trapezen sind vier Fliegerinnen und zwei Flieger mit einer großen Anzahl an Sprüngen zu sehen. Viele der relevanten Tricks des Genres werden sicher ausgeführt. Der dreifache Salto wird beim ersten Versuch sicher gefangen und eine Passage, parallel auf beiden Bahnen gearbeitet, bildet den gelungenen Abschluss des Auftritts.

Pavel Vyakin und Bär „Tima“präsentieren eine wunderbare, vertrauensvolle Zusammenarbeit von Mensch und Tier. Völlig alleine in der Manege, da der Vorführer immer wieder bis hinter den Vorhang zurück tritt, zeigt der große prächtige Bär sein Können. Er nimmt selbstständig eine Fanfare durch ein Loch seines Maulkorbs ins Maul und entlockt ihm Töne. Einen leichten, auf dem Kopf liegenden Kunststoffsessel dreht er blitzschnell in die richtige Position und nimmt gelassen darauf Platz. Auch gelingt es ihm, einen gereichten Hula Hoop Ring sich über den Kopf zu stülpen und ihn völlig selbständig in Rotation zu setzen. einfach faszinierend.
Meisterjongleur Mario Berousek begeistert die Massen mit großem Können und Charisma. Perfekt und mit enormer Sicherheit manipuliert er die silbernen schlanken Keulen mit solcher Geschwindigkeit, das vor den Augen der Zuschauer zu einer silbernen Scheibe zu mutieren scheinen. Viele Jongleure versuchen dies zu imitierend, doch nur selten mit Erfolg. Bis zu sieben Requisiten hält der sympathische Artist in der Luft.

Der Höhepunkt der Show ist erreicht, wenn die Familie Joy Gärtnermit ihren grauen Riesen die Manege erobert. Die fünf mächtigen asiatischen Elefantenkühe und die neunköpfige Familie – alle Kinder und Schwiegertöchter sind in den Ablauf integriert – präsentieren eine rasante, trickstarke Darbietung wie sie heutzutage in Westeuropa ansonsten nicht mehr zu sehen ist. Mit der Pyramide aller Elefanten auf Tonneaus und anschließendem hochsitzen der Tiere nimmt der Auftritt seinen Beginn. Ein Doppelsalto von einem, durch einen Elefanten ausgelösten Schleuderbrett und Handstandtricks auf den Elefantenrücken sind weitere Elemente der Darbietung. Zum Höhepunke sitzen vier Elefanten im Kreis auf den Tonneaus hoch, während der fünfte, auf einem erhöhten Postament in der Mitte, auf den Hinterbeinen steht und Joy Gärtner mit seinem Sohn einen Handstand zum Zwei-Mann-Hoch auf seinem Kopf ausführen. Chapeau.
Im anschließenden Finale stellt Manegensprecher Fabrice Fraisse, der in der Show als sehr angenehmer unaufdringlicher „Monsieur Loyal“ mit allerlei Informationen aufwartete, noch einmal die zahlreichen Mitwirkenden vor. Nach einem nicht enden wollenden Schlussapplaus mit minutenlangen Standing Ovations leert sich die Manege und zu guter Letzt schreiten die Clowns und der „Monsieur Loyal“ Arm in Arm in bester Circus Barelli-Manier durch den Vorhang.
Die Imperial Show bietet bei dieser Veranstaltungsreihe ein äußerst leistungsstarkes Programm, das als traditionelles Nummernprogramm mit einem sich ständig steigernden Spannungsbogen ausgerichtet ist und dank der engagierten überragenden Könner ihres Fachs auf unterstützendes Chichi und Inszenierungs-Firlefanz verzichten kann. Großer und großartiger Circus, wie er vor wenigen Jahren noch gang und gäbe war und heute leider fast nicht mehr zu erleben ist. Um dieses erlesene Programm zu sehen ist kein Weg zu weit.