Text  und Fotos Friedrich Klawiter
GROSSER RUSSISCHER STAATSCIRCUS
Limburg, 29. April 2011

www.staatscircus.com
Schon von der Autobahn aus, dem bundesweit bekannten „Elzer Berg“, kann man das große Chapiteau des Circus der Familie Smitt gut im Stadtbild, nahe dem Zentrum, ausmachen. Deutlich hebt es sich von der Umgebung ab. Auf dem Circusplatz dominiert die Farbe gelb, neben dem Spielzelt sind die schmucklosen Sattelauflieger des Circus in diesem Farbton gehalten.
Ähnlich schmucklos und schlicht präsentiert sich der Eingangsbereich des Circus. Zwei Anhänger sind links und rechts des Einlasstunnels aufgestellt, wovon einer als Kassenwagen dient. Spannbändern auf den Dächern der beiden Wagen zeigen den Circusnamen in vier Sprachen – deutsch, niederländisch, englisch und russisch. Wenig einladend wirken die vier kleine Schalteröffnungen in den ansonsten geschlossenen Blechfronten.
Teile der ehemaligen schwarzen "FlicFlac-Mauer", auf denen die vormalige Beschriftung gut sichtbar ist, schotten die Vorderseite des Platzes ab. Des weiteren wurden Auflieger mit Wohnabteilen und der Büro-Auflieger von FlicFlac übernommen. Zirka zwei Dutzend Sattelauflieger, etwa die gleiche Anzahl Campings und fünf Scania-Zugmaschinen sind um das Chapiteau gruppiert.

Die vollkommen auf "Starclown" Oleg Popov ausgerichtete Werbung – Plakate, Flyer und Programmheft zeigen ausschließlich sein Konterfei – verfehlt ihre Wirkung auf die anvisierte Zielgruppe nicht, beide Vorstellungen des Tages sind bis auf den letzten Platz besetzt.

Das Chapiteauinnere zeigt sich deutlich stimmiger und atmosphärisch angenehmer gestaltet, als von außen zu vermuten ist. Die großzügige Restauration ist im vorderen Teil des Spielzeltes untergebracht. Spannbänder mit Circusmotiven und Lichterketten an den Rondellstangen, Teppichbelag auf dem Boden und dekorierte Verkaufsstände empfangen den Besucher. Das Gradin ist ein Stück weit nach hinten verschoben im Zelt, so dass die vorderen mittigen Sitzplätze sich, von der üblichen Anordnung ausgehend, etwa in der Manegemitte befinden. Eine solche gibt es im „Grossen Russischen Staatscircus“ nicht, stattdessen wird auf einer leicht erhöhten runden, mit rotem Teppich belegten Bühne agiert. Deren Querachse befindet sich zwischen dem hinteren Mastenpaar. Das Gradin ist bis auf die oberen, Schalensitz bewehrten Reihen, komplett mit bequemen Polsterstühlen ausgestattet. Nicht allzuoft findet man gleich drei Logenkategorien in  einem Circus, besonders sticht dabei die „VIP-Loge“ hervor. Hier stehen, in einem mit einer Barriere abgetrennten Bereich direkt vor der Bühne, eine Stuhlreihe mit kleinen Tischen davor, auf denen Knabbereien und Getränke für die Logenbesucher bereitgehalten werden. Zwei junge Hostessen sind für den Service zuständig und in der fünfundzwanzigminütigen Pause geleiten sie die Gäste zu einem Rundgang in den Backstagebereich. Solcherart Exklusivität hat ihren Preis – fünfundsechzig Euro werden verlangt.
Das kleine, fünfköpfige Orchester hat seinen Platz auf einem flachen Podium links des hohen, aus dunkelrotem Stoff gebildeten, Artisteneingangs. Weite Teile der Vorstellung werden allerdings von CD-Musik begleitet. Die Beleuchtungsanlage ist an vier Quertraversen zwischen den Masten installiert. An diesen Traversen und auch links und rechts des Artisteneingangs sind einige beleuchtete, in warmen roten Licht, Dekorations-Elemente angebracht, die spontan Assoziationen zu Weihnachten wecken.

Nach einer Reprise von Komiker Gagik Avetisyan während des Einlasses, begrüßt der Manegensprecher des Hauses Thierry Dourin das Publikum zur diesjährigen Show unter dem Motto „Oleg Popov Jubiläumstour 2011“. Der achtzigste Geburtstag und das sechzigjährige Bühnenjubiläum Popovs werden in dieser Form gewürdigt.
Der Holzschuhtanz aus Lortzings Oper Zar und Zimmermann erklingt und die fünf Tänzerinnen des Balletts „The Minsk Starletts“ haben in Folklorekostümen ihren ersten Auftritt. Drei Tänzer komplettieren diese Formation. Die Artisten marschieren ein und nehmen Aufstellung. Das Opening wurde von der Regie einem Finale nicht unähnlich gestaltet.
Marina und Igor Markevitch sorgen mit ihrer Hundemeute für den nötigen Schwung zu Beginn eines Programms. Acht Pudel, ein Berner Sennenhund und ein Pinscher tollen voller Spielfreude eifrig um ihre Vorführer herum. Es ist eine klassische Nummer im Stil des sowjetischen Staatscircus, die perfekt gestylt wurde und ebenso abläuft.

Auf einer Leinwand vor dem Artisteneingang werden schwarz-weiß Fotos und kurze Filmsequenzen eingespielt, die den Werdegang Oleg Popovs nachzeichnen. Man sieht, wie ein Circusclown dem kleinen Oleg-Konstantinowitsch einen roten Luftballon schenkt und dieser dadurch von einer eigenen Circuskarriere zu träumen beginnt.
Die Leinwand teilt sich, Oleg Popov kommt singend auf die Bühne und überreicht rote Luftballons an Kinder. Nachdem der Letzte wie geplant platzt, folgt – etwas zusammenhanglos – eine abschließende Quick-Change-Sequenz mit seiner Frau Gabriela. In fünf weiteren Reprisen tritt Oleg Popov im Laufe des Abends in Erscheinung. Seinen in sich zusammengesackten Mitspieler versucht er per Luftpumpe aufzurichten und entfernt ihn nach misslingen per Schubkarre. Er stellt seine „fliegende Ratte“ vor. Sehr langatmig gerät die Zauberei, die zunächst ein weißes Kanninchen erscheinen lässt, um es hernach in ein schwarzes zu verwandeln. Ein „Mädchen aus dem Zuschauerraum“ überbringt einen Blumenstrauß und als er ihr Belohnungs-Eis nicht bezahlen kann, werden einige Münzen herbeigezaubert. Es sind leise, poetisch anmutende kleine Szenen, einige zu langatmig, die der große alte Clown recht introvertiert präsentiert.
Ganz anders dagegen die Auftritte von Gagik Avetisyan, des zweiten Komikers im Programm. Der klein gewachsene quirlige Mann im Charlie-Chaplin-Outfit erscheint omnipräsent in der Show. Seine beiden markantesten Szenen finden mit Publikumsbeteiligung statt. Zunächst fährt ein Paar „Motorrad“ und schlussendlich werden die Beiden miteinander verheiratet. In der zweiten Reprise werden vier Zuschauer zu einer verwegenen Rockband vereinigt.

Komik dominiert das Programm, alleine zu Beginn des zweiten Programmteils werden die ersten dreißig Minuten von den Clowns bestritten. Auch die Nummer der Igor Markevitch Truppe an ihrem Riesenfahrrad wird „auf komisch“ geboten. Laut Circus-Website eine siebenköpfige Truppe, bemühen sich in der Realität drei Herren einige akrobatische Übungen an ihrem Requisit clownesk zu verkaufen.
In drei unterschiedlichen Disziplinen sind Rodion und Julia Girgenov zu sehen. Eine Partnerakrobatik wird mit Klischnigg-Tricks von Rodion kombiniert und abschließend zwängt er sich in einen kleinen Plexiglas-Kubus. Höhepunkt des ersten Teils ist ihre Magic-Show; als „Magic Woman Urbanovitch“ wird sie annonciert. Speziell der erste Trick, blitzschneller Personenwechsel in einem Bett, fasziniert. Im zweiten Teil sehen wir das Paar mit der einzigen Luftnummer des Programms. Zu klassischer Musik absolviert  man an den Strapaten eine Kür,die an klassisches Ballett angelehnt wirkt.
Galina Kusmenko jongliert mit Ringen in einem japanischen Kimonos nachempfundenen Kostüm. In mystischer Atmosphäre, das Ballett leitet den Auftritt aufwändig ein, werden im dichten Bühnennebel die wenigen Routinen mit fünf und sieben Ringen, versetzt mit einigen kleinen Effekten, vorgetragen.
Kiroushenkov und Shulga, den Angaben der Website zufolge Olympiasieger - in welcher Disziplin wird nicht genannt - arbeiten eine Hand-auf-Hand Darbietung. Im sehr traditionellen Präsentationsstil werden ansprechende Leistungen geboten. Höhepunkt ist ein Kopf-auf-Kopf, bei dem auf den üblichen Vorteil verzichtet wird.
Die zweite Nummer des Programms, in dem ein Tier mitwirkt, sieht Yuri Volodchenkov mit seinem von Roncalli her bekannten Reitakt. Eigens für diesen Auftritt werden Gittermastelemente als Pistenersatz auf dem Rand der Bühne platziert. Auf dem wenig geeigneten Untergrund einer Bühne erreicht diese Darbietung nicht die Brillanz wie seinerzeit in der Manege.
Den Programmhöhepunkt gestalten die Mitglieder der Daniel Diorio Truppe auf ihren Motorrädern in dem splitting Globe of Death. Begeisterung macht sich breit, wenn im sich öffnenden Globe zwei Fahrer im unteren und drei im oberen Teil ihre Bahnen ziehen.
Das übliche Finale, mit Einzelvorstellung der Mitwirkenden, wird vom Ballett gekonnt eingeleitet.
An ein Programm eines „Russischen Staatscircus“ hat der geneigte Besucher bestimmte Erwartungen, sind doch viele akrobatisch-artistische Disziplinen geradezu typisch für die russische Circusschule, setzen russische Artisten internationale Maßstäbe. So kann der Verzicht auf klassische Artistik, wie z. B. Stangenwurf, Schleuderbrett, russische Schaukel, Handvoltigen, Hochseil und Trapez, der Verzicht auf Truppen nicht durch ausufernde Clownerie kompensiert werden. So bleibt denn das Gebotene hinter den anfänglich gehegten Erwartungen zurück. 
optimiert