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Text  und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCUS HARLEKIN
Hünibach, 31. Juli 2011

www.circusharlekin.ch
Eine besondere Perle in der Schweizer Circuslandschaft ist der Circus Harlekin von Peter – Pedro – Pichler und Monika Aegerter. Seit vielen Jahren touren die beiden mit ihrem kleinen, sehr feinen Circus in erster Linie in den Regionen Berner Oberland, Wallis sowie in der Zentralschweiz.
In Hünibach am Thuner See hat der „Circusplatz“ eine ganz besondere Atmosphäre. Hoch über dem See zwischen alten Bäumen steht auf einem super gepflegten Rasen, im Stil einer großen Villa erbaut, ein würdiges Schulhaus. Hier, auf dem Rasen des Schulhofes wird alljährlich der Viermaster aufgebaut. Das blitzsaubere blaue Zelt mit den dezenten roten Absetzungen hebt sich dekorativ vom überwiegenden grün der Umgebung ab. Im hinteren Bereich des Platzes finden die beiden kleinen Ställe Platz. Sie beheimaten Kamele, Pferde und Ochsen der engagierten Dressurgruppen.
Auf kleinen Kiesflächen dicht am Schulhaus stehen die Artisten-Campings und  Mannschaftswagen eng aneinander gerückt. Diese strahlen in weiß und rot im Sonnenschein. Vor dem Schulhaus in der Zufahrt wurde das Vorzeltdach errichtet, darunter finden der Verkaufswagen und einige Sitzgruppen Platz. Kassen- und Barwagen sind an den Seiten aufgefahren. Der Platz ist so eng, dass auf den nostalgischen Frontzaun verzichtet werden muss.

Das innen rote Chapiteau ist mit einem fünfreihigen Gradin, dass weitgehend mit Schalensitzen ausgestattet ist, eingerichtet. Die Logen sind mit dem gleichen dunkelblauen Samt dekoriert, der auch den Artisteneingang ziert. Seitlich neben diesem hat, in passender Optik, die Bühne für das Harlekin-Orchester ihren Platz.
Fünf Musiker und der langjährige Harlekin-Kapellmeister Vladym Kovalchuk sorgen in gewohnter Weise für den stimmigen Sound. Bereits während des Einlasses, die sechs Herren haben in der Manege Aufstellung genommen, schaffen sie mit flotten Dixieland-Melodien Atmosphäre.

Gradin und Logen sind bis auf den letzten Platz besetzt, als die acht jungen Artisten/Innen der Truppe Malko am Trampolin die Vorstellung eröffnen. An das große Trampolin sind auf beiden Schmalseiten mit dicken Matten belegte Plattformen angebaut. An der rückwärtigen Längsseite befindet sich ein hohes großes Podest. Dieses Podium ist Start- und Zielpunkt der meisten Aktionen. Saltos und Schrauben werden in vielen Varianten gezeigt. Auch der zweite Auftritt der Truppe erfolgt mit viel Temperament und Schwung.
Am Minitramp werden auf zunächst zwei Bahnen Saltos und Schrauben gesprungen. Da das Harlekin-Chapiteau in seinen Abmessungen begrenzt ist, erfolgt der Anlauf  bei geöffneter Gardine von der Rondellleinwand aus. Dann werden die beiden Bahnen zu einer längeren zusammengefasst und die Sprünge mit Flickflacks ergänzt.
Der junge Magier Dennis Rush präsentiert souverän seine Tricks. Es sind die gängigen Illusionen die hier mit Elan und Charme vorgetragen werden. Der Schlusstrick ist in dieser Form selten zu sehen und sorgt bei etlichen Besuchern für Verblüffung. Die auf einem Sockel stehende Assistentin wird mit einem Tuch, in Art einer Iso-Matte, überdeckt. Der Magier nimmt das Tuch, dass seine Form behält, trägt es zur Manegenmitte – und, oh Wunder, es ist niemand darunter. Die Assistentin erscheint unter dem Beifall des Publikums auf einer Eingangstreppe.

Als erste von zwei Dressurdarbietungen bringt Nicole, die Tochter von Direktor Pedro Pichler, vier große Kamele in die relativ enge Manege. Es werden eine Reihe von Lauffiguren absolviert, dann liegen die Kamele ab. Ein brauner Araber kommt hinzu, läuft achten um die Trampeltiere und überspringt diese. Ein eindrucksvoller Steiger schließt diese Vorführung ab.
Im zweiten Programmteil sehen wir Susanne mit „Schweizer Wildtieren“. Zwei prächtige Ochsen absolvieren in aller Gelassenheit ihr Programm. Im Verlauf der Nummer kommen zwei Wollschweine hinzu. Im Zusammenspiel mit den Ochsen werden Gegenlauf und weitere interessante Figuren geboten.

Jedes Jahr bringt die Direktion neue Reprisen und Entrees als  „Les Nicas“ zur großen Freude der vielen treuen Stammbesucher. Zunächst führen die Pedro und Madame Nica auf den Treppenaufgängen stehend einen Dialog, bis Pedro eines Taschentuches bedarf. Ein blütenweißes Tuch wandert von Madame Nica aus durch den Mittelblock – von Hand zu Hand weitergereicht. Kurz darauf gibt es das gleiche Problem bei Madame Nica und Pedro zaubert galant ein sehr gebrauchtes Tuch hervor, das auf gleichem Weg zurückwandert – allerdings wird es von jedem Schweizer Zuschauer genau beäugt, bevor man es mit spitzen Fingern anfasst.
„Wunder-Waschmaschine“ ist das diesjährige Entree im ersten Programmteil. Die allseits bekannten Abläufe werden mit sympathischen eigenen Gags und Wortwitz gewürzt. Nachdem Pedros große Plüschente dank Fehlbedienung der Maschine geschrumpft wurde  verschwindet er zum reparieren im Gerät. Wenig später kommt ein „Pedro“ im Miniformat zum Vorschein. Die Pause wird mit der Popkorn-Reprise eingeleitet.
Im zweiten Teil sehen wir Monika Aegerter nicht wie gewohnt als Weißclown. Zu Beginn gibt sie eine tollpatschige Putzfrau. Schon bald wird sie von Dennis Rush, der nun die Conference übernimmt, zu Pedros Assistentin befördert. Gemeinsam mit einem Jungen aus dem Gradin demonstriert Pedro seine Karatekünste an einer Rolle Toilettenpapier und zu dritt beschließen sie das Entree mit Musik auf Kuhglocken.
Das „die Schweizer“ schneller sind als allgemein behauptet, beweist Pedro mit seinem Quick-Change. Mit großer Geste und vollkommen in einem voluminösen Sack stehend gelingt es ihm mehrere Male, in jeweils knapp einer Minute die Kopfbedeckung zu wechseln.


Elegante Handstände und Waagen präsentiert Yang Rui longengesichert auf seinem Flaschenstuhl. Auf den vier Flaschen, die auf dem Piedestal ruhen, türmt er sich allmählich hocharbeitend die Stühle aufeinander. Beim Handstand auf dem sechsten Stuhl erreicht er mit den Füssen beinahe die Kuppel.
Seine Partnerin He Yuan bietet eine erstklassige Balance auf dem Hochrad. Während sie das Rad mit einem Fuß auf dem Pedal steuert, kickt sie mit dem anderen bis zu vier kleine Metallschalen hoch. Diese landen zielsicher nacheinander in einem weiteren, frei auf ihrem Kopf stehenden Schälchen. Dann wird der Schwierigkeitsgrad gesteigert. Mit dem Hochrad geht es auf eine große Kugel, die gegen heftiges weg rollen gesichert auf einer geformten Matte liegt, und wieder werden die Metallschalen hoch gekickt und auf dem Kopf sicher gefangen.

Alina und Dimitri sind Mitglieder der Truppe Malko und für die Luftnummer unter der Kuppel des Circus Harlekin zuständig. Kraftvolle Halteposen und weite, raumgreifende Flüge werden an den Strapaten geboten. Einzig die relativ niedrige Kuppelhöhe des Chapiteau lässt die Darbietung nicht ihre volle Wirkung entfalten.
Die komplette Truppe Malko setzt den Schlusspunkt der Nummernfolge. Zu acht entfachen sie beim Seil springen nochmals Wirbel. Breakdance-Elemente sorgen für zusätzlichen Schwung und eigenständigen Verkauf. Beim Publikum der besuchten Vorstellung kommt diese flotte Darbietung allerdings weniger an. Im ansonsten traditionellen Programmstil bei Harlekin bleibt diese sehr modern gestylte Nummer, man arbeitet zu Techno-Beats und in einer Scharzlicht ähnlichen Beleuchtung, ein Fremdkörper und die Stimmung im Gradin kühlt ab.
Das Finale wird bei Harlekin stets ausführlich mit Vorstellung der Mitwirkenden und verschiedenen Zugaben zelebriert. Mit Live-Gesang der Direktion,  der Black Fööss Song „Bye, Bye my Love“ wurde mit eigenem Text versehen, beendet traditionell die Vorstellung.
Wir besuchten eine Abbauvorstellung, die im Gegensatz zur anderenorts, auch bei vielen großen Circussen, üblichen Praxis ungekürzt ablief. Von Hektik und Aufbruchstimmung ist nichts zu verspüren, das Kamelreiten nach der Show findet natürlich statt. Die  Restauration und der Barwagen waren, wie an anderen Tagen auch, noch einige Zeit nach der Vorstellung geöffnet und wurden lebhaft frequentiert.

Am Ausgang, vor der Kasse, verabschieden Pedro Pichler und Monika Aegerter persönlich ihr treues Publikum mit Handschlag. Mit den allermeisten Gästen werden einige persönliche Worte gewechselt und man wünscht sich eine gute Zeit bis zum Wiedersehen im nächsten Jahr. Bei dieser Gelegenheit lernen wir dann die älteste Circusfreundin der Schweiz, die einhundertundein Jahre alte Hermine Hinterbühler kennen. Die rege alte Dame zeigte sich, wie die anderen Besucher auch, begeistert von den Leistungen der Direktion und dem unterhaltsamen abwechslungsreichen Programm.