Text und Fotos: Friedrich Klawiter
HEILBRONNER WEIHNACHTSCIRCUS
Heilbronn, 23. Dezember 2010

www.weihnachtscircus.com
Wieder einmal war es soweit, bereits zum zwölften Male wurden die Zeltanlagen des Heilbronner Weihnachtscircus auf der Theresienwiese errichtet. Auf dem Gelände bot sich der seit Jahren gewohnte Anblick – der riesige weiße Viermaster von Alfredo Nock bildet das Zentrum des Circus. Vorzelt, großzügiger Eingangsbereich, Kasse und einige Transporter sowie zahlreiche Wohnwagen und die Stallungen sind in der üblichen Anordnung ums Chapiteau gruppiert.

Im Vorzelt  wurde auf die großen Weihnachtsbäume im Zentrum verzichtet. So wirkt das Zelt wesentlich größer und der Ansturm der Massen ist leichter zu dirigieren. Ansturm der Massen – viel anders kann man die Situation kaum beschreiben, wenn der Einlass geöffnet wird und innerhalb kürzester Zeit Logen und Ränge sich füllen. Vor praktisch ausverkauftem Haus startet die edle Show, zu der einmal mehr Louis Knie sen. Regie geführt hat. Die Direktion in Person von Uwe Gehrmann und Sascha Melnjak hatte reihenweise erstklassige Darbietungen engagiert und Louis Knie aus dem zur Verfügung stehenden ein wunderbares Circus-Ereignis geformt. Zu keinem Augenblick hatte man den Eindruck einer gerade frisch, wir besuchten den Circus am zweiten Spieltag, entstandenen Show beizuwohnen – der gesamte Ablauf zeigte sich harmonisch und perfekt organisiert.
Zu diesem Eindruck trug das ausgezeichnet aufspielende Orchester unter Volodymyr Kozachuk ebenso bei, wie die eindrucksvolle, raffinierte und großartige Lichtregie, die wiederum in den bewährten Händen von Enrico Dennis Zoppe-Stolfa
lag.

Das Show-Ballett des Heilbronner Weihnachtscircus, während der Saison haben wir die Damen im Circus Charles Knie erlebt, hat seinen ersten Auftritt. Manche Darbietung des Programms wird durch ihre erstklassigen Auftritte in stimmigen Kostümen eingeleitet und in seiner Wirkung unterstützt. Fabian Egli ist erneut ein versierter Ringmaster, der seine Rolle  unaufgeregt und charmant ausfüllt. Im Finale hat er dann mit Live-Gesang seine große Szene.
Rasant startet die Spielfolge und die Zuschauer gehen gleich begeistert mit. Jongleur Ives Nicols und seine Partnerin Ambra verstehen es mit großer Leistung und perfektem Verkauf zu überzeugen. Die Abfolge der Routinen mit Bällen, Bumerangs und Keulen sind von vielen Engagements her, z. B. bei Herman Renz oder Barum, bekannt, läuft routiniert und fehlerfrei ab.


Einige Akteure waren noch vor wenigen Tagen in verschiedenen Weihnachtsgalas in Paris aktiv – nun sind sie gemeinsam hier in Heilbronn zu sehen.
Da ist zunächst einmal Clown André, der Schweizer wird in der kommenden Saison mit dem Circus Charles Knie auf Tournee gehen, mit seinen charmanten originellen Reprisen. In diesem Rahmen spielt er mit einer Wasserpistole eine Melodie auf verschieden tönenden Bratpfannen. Dann präsentiert er seinen Teddy als Piloten. Diese liebevoll gestaltete Szene hat nur einen kleinen Schönheitsfehler – nachdem der Teddy nicht mit dem Flieger abgestürzt ist, schwebt er nicht einfach aus der Kuppel am Fallschirm nieder sondern wird sichtbar vom Musikerpodium geworfen. Dadurch wird die Pointe stark beeinträchtigt. Nach der Pause folgt die neu komponierte Reprise in der André zunächst per Fernbedienung mit dem Licht spielt dann den dadurch verursachten Stromausfall per Hometrainer kompensiert, um schlussendlich mit sich selbst ein Duett zu singen. Zu guter Letzt besiegt er, nach hartem Kampf, einen weißen Hai in seiner Badewanne.
Die Azzario Sisters versetzen das Heilbronner Publikum mit ihrer perfekten Hand-auf-Hand Kür genauso in Erstaunen, wie ihnen dies in Paris gelungen ist. Harmonisch und ohne die kleinste erkennbare Unsicherheit werden auch die kräftezehrenden Passagen von den beiden attraktiven jungen Frauen ausgeführt. Es ist eine „große Nummer“ die sich die Schwestern erarbeitet haben.
Kurz darauf sehen wir ihren Vater José Mitchell in der Manege. Mit der üblichen Einladung durch den Manegensprecher zu „Essen und Trinken gratis“ nimmt das Wasserentree der José Mitchell Clowns seinen Anfang. In gekonntem Spiel nimmt das Chaos seinen Lauf und die beiden immer eifriger bemühten Auguste schaffen es nicht, den Weißclown zu übertölpeln. Mit temperamentvoller Musik findet das große Entree schlussendlich sein gelungenes Finale.
Zur Pause zeigen Vicky und Pablo Garcia ihre spektakuläre Luftsensation an der rotierenden Rakete. Die dramatische Einleitung wird durch das im Astronautenlook gekleidete Ballett effektvoll verstärkt. Der Wirkung der risikoreichen, ungesichert ausgeführten, teils einmaligen Tricks kann sich niemand im weiten Rund entziehen. Nur mit den Zähnen hält Pablo Garcia das kleine Trapez, an dem seine Frau an einem Fuß im Zehenhang schwebt. Immer wieder nimmt der Schlusstrick gefangen, zu dem sich der Artist nur an Metallnoppen unter den Schuhsohlen unter der Rakete einklinkt. An einer Handstrapate dreht er alsdann seine Frau Vicky im einem Nackenwirbel aus. In donnerndem Applaus löst sich die Spannung im Zuschauerraum nachdem die beiden Artisten wieder festen Boden unter den Füssen haben.

Die meisten Dressurdarbietungen des diesjährigen Weihnachtscircus in Heilbronn kommen vom Circus Charles Knie. Marek Jama hat das große artenreiche Exotentableau umgstellt, so dass nun auch mehrere Tierarten zusammen in der Manege agieren. Vier Kamele eröffnen zusammen mit vier Zebras die Dressurfolge. Für kurze Zeit kommen vier Rinder dazu, bevor die Zebras die Manege verlassen. Känguru und Emu folgen als Solisten, dann dürfen sechs Lamas ihre Lauffiguren absolvieren.
Die Freiheitspferde werden im weiteren Programmablauf en bloc vorgeführt. Zunächst zeigen die sechs Friesen ihre erlernten Lektionen. Im direkten Anschluss sind die sechs Araber an der Reihe, deren Vorführung mit einigen eindrucksvollen Da Capo Steigern endet.

So zu sagen auch von Charles Knie kommt Alexander Lacey mit seiner eindrucksvollen gemischten Raubtiergruppe. Die Trickfolge ist nach wie vor eindrucksvoll und wird höchst publikumswirksam präsentiert. Seit einiger Zeit ist der Löwenmann Massai nicht mehr mit dabei, sein Part wird zu weiten Teilen nun von einem Tiger übernommen. Einzig der Rachentrick ist nun nicht mehr möglich. Beeindruckend ist der weite Sprung eines Tigers über zwei nicht sehr dicht beieinanderstehende Artgenossen. Gleiches gilt für den parallelen Rückwärtssteiger zweier Tiger. Natürlich sind auch die weiteren Dressurelemente – Pyramide, Hochsitzer, Sprünge, Scheinangriff, vierfaches Rollover der Tiger – sehenswert in ihrer Präsentation. Abschließend zeigt sich ein Tiger als Hochsitzer auf der Spiegelkugel, anders als bei Massai auf dieser Position steigt Alexander Lacey nicht mit hinzu.

Die vierte und letzte Dressurdarbietung wird von Vlad Olandar mit seinen acht weißen Hauskatzen gebracht. Auf einem Einrad, mit einer Katze auf seinen Schultern kommt der Vorführer in die Manege. In hohem Tempo lässt er die Stubentiger ihr Können absolvieren. Es ist eine typische Nummer der klassischen russischen Schule, bei der eine jede Katze nach jedem Trick sofort schnell wieder hinter der Tür einer kleinen Box verschwindet.
Attraktive Rola-Artistik versteht Paolo Kaiser zu zelebrieren. Salto auf der Rola und von einem zum anderen Rola-Brett gehören zu den effektvollen Evolutionen. Der Sprung von einer zur anderen Rola, auf einem niedrigeren Piedestal, seinerzeit von Enrique Romero grandios verkauft, gehört gleichermaßen zu seinem Repertoire.

Ein zweites Mal sind Ambra und Ives zu sehen. An Strapatentüchern zelebrieren sie eine stimmige hervorragend gestaltete Kür, die durch den Live-Gesang von Ives ein zusätzliches publikumswirksames Element enthält. Die elegante Trickfolge sieht beide als Porteure und wird in extremer Höhe, direkt unter der Kuppel des hohen Chapiteau gearbeitet. Viele weite, raumgreifende Flüge verleihen der Darbietung einen besonderen Charme.
Adagio-Akrobatik vom Feinsten bietet das Trio Laruss. Die „Goldmenschen“ aus Ungarn, zwei Damen und ein Herr, überzeugen mit schwierigen Hebungen. Die einzelnen Posen werden sicher und souverän eingenommen und lange gehalten. Es sind erstklassige Leistungen die hervorragend gearbeitet und mit optimaler Unterstützung von Musik und Licht publikumswirksam präsentiert werden.

Das Programm des diesjährigen Heilbronner Weihnachtscircus steht durchgängig auf einem sehr hohen Niveau, weist einen sich permanent steigernden Spannungsbogen auf, der in einer exquisiten Schlussnummer seinen Kulminationspunkt findet. Die elfköpfige Truppe Chernievski, in Monte Carlo ausgezeichnet, demonstriert ihre Darbietung am Schleuderbrett. Die Nummer ist perfekt gestylt, nicht die kleinste Bewegung eines der Artisten ist zufällig, bzw. entspricht nicht exakt der Choreographie. Die Kostüme, es überwiegen dezente blasse Beige- und Grautöne entsprechen sportlicher „Freizeitkleidung“ der zwanziger-dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts. Es gibt keinen Augenblick ohne Action, sei es Tanz oder ein Trick – in der Manege ist stets etwas zu sehen. Die variantenreichen Sprünge werden auf vielfältige Weise gelandet, so z. B. auf einem Kissen, Stelzen oder im Sessel. Nur auf die Bildung hoher Menschentürme wird weitgehend verzichtet. Viele Sprünge zeichnen sich durch enorme Höhe aus. Der Schlusstrick zeigt einen Sprung in einen Sessel in extremer Höhe. Dieser wird von zwei Untermännern mit einer dazwischenliegenden Perchestange gehalten.
Das Finale trägt ganz klar erkennbar die Handschrift von Louis Knie. Der Ablauf mit Zugaben und großer Pyramide, dazu die mitreißende Musik – viele Jahre erklang sie zum Finale im Circus Gebrüder Knie – machen Stimmung, sorgen für Schwung und suggerieren noch einmal einem großen Programm beigewohnt zu haben. Dann erstarren die Bewegungen in der Manege und es kommt unweigerlich zu Standing Ovations.

Der Heilbronner Weihnachtscircus ist von erlesener Qualität, bietet eine Programmstärke die kaum noch überboten werden kann. Was ihn zu einem besonderen Event macht und somit zum wohl besten Weihnachtscircus, ist die Art seiner Präsentation. Hier wird nicht nur kalte nackte Höchstleistung geboten und schlicht Nummer nach Nummer abgearbeitet, hier wird mit viel Liebe Circus gemacht, Wird eine runde harmonisch abgestimmte Show für die begrenzte Anzahl an Spieltagen entwickelt. Es kann sich wohl niemand der Wirkung dieses Circus entziehen und von dieser Veranstaltung nicht begeistert sein.
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