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Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCUS GEBR: KNIE
St. Gallen, 27. April 2017

www.knie.ch
In diesem Jahr bestreitet der „Schweizer National Circus Gebr. Knie“ die 99. Tournee in ununterbrochener Folge durch unser Nachbarland.  Die Kontinuität des Unternehmens zeigt sich auch in der aktuellen Produktion „Wooow“, die stringent die Programm-Konzeption der vergangenen Jahre fortführt. 
In St. Gallen gastiert der Circus auf dem innerstädtischen Spelterini Platz. Das Gelände inmitten der Bebauung kann nur die wesentlichen Teile des Circus aufnehmen. Außer dem großen weißen Vier-Masten Chapiteau finden nur wenige Wagen – Garderoben, Generatorwagen und weitere technische Ausstattung - Platz. Das kleine, dreiseitig offene Vorzelt mit dem hohen, bunt bemalten Giebel und die Container der Circusrestauration nehmen den restlichen Raum ein. Der moderne Kassenwagen und die dekorative Maringotte haben gegenüber dem Haupteingang ihren Platz.
Ein am Platz entlangführender Straßenzug und ein weiterer Weg sind in voller Länge gesperrt und nehmen die Stallungen der Pferde und Kamele auf. Die Wohnwagen der Mitarbeiter und Artisten sowie die Bürowagen stehen auf den Seitenstreifen der umliegenden Straßenzüge. Materialtransporter und Zugmaschinen sind andernorts abgestellt.
Pünktlich zur Premiere gab es noch einmal einen starken Wintereinbruch in der Ostschweiz und heftiger Schneefall – in der Nacht fielen sechsundzwanzig Zentimeter Schnee, mehr als im gesamten Winter - machte der Circus-Crew schwer zu schaffen, galt es doch Schäden am Zeltmaterial zu verhindern.
Das rund zweitausenddreihundert Besucher fassende Gradin ist komplett mit – nummerierten – Einzelklappsitzen ausgestattet. Ein neuer Artisteneingang beherrscht den hinteren Zeltteil. Reiche goldene Applikationen strukturieren den leuchtend roten Samt der dreiteiligen Kombination. Das Musikerpodium, von einem massiven dunklen Metallgeländer umgeben, nimmt nun die gesamte Breite der Konstruktion ein und ein fächerförmiger Baldachin bildet eine Rückwand. Ein elegant geschwungener, zahlreiche Scheinwerfer und Kugelköpfe tragender Gitterrrohrbogen spannt sich über das Podium
Das achtköpfige Orchester unter der Leitung von Ruslan Fil setzt die Akzente der weitestgehend im Halbplayback stattfindenden musikalischen Begleitung im typischen Sound von Germain Bourke.
Das Lichtdesign zeigt sich absolut auf Höhe der Zeit und setzt die auftretenden Künstler perfekt in Szene.

Franco Knie jun. obliegt es, das hochverehrte Publikum willkommen zu heißen.
Eine Kerze und eine Chronik mit einer Feder stehen auf einem massiven Tisch und eine flackernde Laterne hängt darüber - Clown Housch ma Housch trippelt herbei und gestaltet in seiner unnachahmlichen Art das Opening.
Alsbald kommen die sieben Mitglieder der Truppe Bingo hinzu und nach einigen Tanzsequenzen arbeiten drei weibliche Truppenmitglieder einige veritable Equilibristik- Tricks. Im weiteren Verlauf der Show sehen wir die Truppe Bingo mehrfach wieder. Als modernes Ballett begleiten sie die auftretenden Artisten.
Mit einer Lasso-Nummer sind die Mitglieder der Xinjiang Troupe gleich zu Programmbeginn zu sehen. Dreizehn Artisten zeigen vielfältige Abläufe mit den Seilschlingen, springen Saltos und Flickflack durch die rotierenden Lassos.
Im zweiten Programmteil präsentieren achtzehn Artisten Handbalancen zu Tschaikowskys „Schwanensee“. Die Hommage an das weltberühmte Musikstück folgt einer strengen, selbst die kleinsten Bewegungen regelnden Choreographie und die Kostüme symbolisieren Gefieder. Bis zu fünf Etagen hohe Pyramiden, der Obermann longengesichert, vereinen bis zu zwölf Artisten, während der Rest der Truppe den oftmals langwierigen Aufbau tänzerisch überspielt. Die komplizierten und anspruchsvollen (Handstand)-Figuren werden perfekt ausgeführt, allerdings will, ob des strengen und sehr inszeniert wirkenden Ablaufs der Funke nicht so recht aufs Publikum überspringen.

Das jüngste Mitglied der Familie Knie, die sechsjährige Marie-Chanel eröffnet in diesem Jahr den Reigen der Tierdressuren. Selbständig und gekonnt lässt sie ein schneeweißes Pony durch vier große, per LED-Technik beleuchtete Metallringe laufen.
Gleich im Anschluss präsentiert ihre Mutter, Géraldine-Katherina Knie, sechs großrahmige Hengste mit golden schimmerndem Fell in einer flott ablaufenden Freiheitsdressur. Vielfältige Lauffiguren werden souverän dargeboten und einige erstklassige Steiger runden den Auftritt in gelungener Weise ab.
Wenig später sehen wir Maycol Errani sechs weiße Kamele vom Pferd aus vorführen. Schwungvoll und temporeich lässt der versierte Vorführer die verschiedenen Abläufe ausführen. Schließlich liegen die Trampeltiere in der Manege ab und mit einer gekonnten Levade auf dem überaus prächtig aufgeschirrten Friesen beendet der Tierlehrer den Auftritt.
Vor der Pause begeistert Ivan-Frédéric Knie mit der Ungarischen Post. Unter der Peitschenführung seines Opas Fredy Knie jun. läuft der temperamentvolle Auftritt ab. Auf einem Friesengespann umrundet der Stehendreiter die Manege, überspringt dabei eine Hürde. Einen dritten Friesen lässt er unter seinen Beinen hindurch passieren und schließlich kommen nacheinander neun weiße Araber als „Vorauspferde“ zwischen dem Handpferdegespann hindurch hinzu. Der junge Mann nimmt von jedem den Zügel auf und in voller Karriere fegt die Post durch die Manege. Ein großartiges Bild. Chapeau.
Franco Knie jun., seine Frau Linna und Sohn Chris-Rui präsentieren gemeinsam eine Ziegen-Revue. Mit der Projektion einer Elefantensilhouette auf einer Leinwand im Artisteneingang nimmt die Nummer ihren – freundlich ausgedrückt – befremdlichen Beginn. Dann nehmen die zwölf Ziegen unterschiedlicher Rassen ihre Plätze ein und arbeiten routiniert die erlernten Tricks.

Mit Housch-ma-Housch und César Diaz präsentiert der Circus Knie in dieser Spielzeit zwei Vertreter der modernen Clownerie.
César Diaz zeigt drei, von seinem Engagement bei Charles Knie bekannte, Szenen. Er bringt mit einem Mitspieler aus dem Publikum seine Western-Parodie sowie die „Bananen-Reprise“. Natürlich darf der Auftritt als eleganter Sänger von „My Way“, der von einer in die nächste Katastrophe schlittert nicht fehlen.
Clown Housch ma Housch, alias Semen Schuster, ist mit seinen Auftritten, der Star der Show. Mit seinem markantem Aussehen verkörpert er eine unverwechselbare Figur, die mit erstklassigem pantomimischem Spiel, charakteristischer Mimik, treffender Rhetorik - „kaputt“- und skurrilen Ideen die Zuschauer begeistert. Hingebungsvoll kämpft er mit einem Stromkabel gegen die Tücke des Objekts. Perfekt wird die Illusion vermittelt bei einem Stück Zottelfell handele es sich um ein lebendes Tier. Das Konzert mit Klebeband und eine ausführliche Beat Boxing Szene im Zusammenspiel mit zwei Zuschauern  sind weitere, vom Publikum mit Begeisterung aufgenommene Auftritte.

Balljongleur Michael Ferreri bietet mit seinem leistungsstarken und frischem Auftritt ein besonderes Highlight der Veranstaltung. Er beginnt seine variationsreichen und sehr sicher vorgetragenen Routinen mit drei weißen Bällen. Nach jeder Tour fällt ein weiterer Ball aus der Kuppel in seine Hand und der Schwierigkeitsgrad der Muster steigert sich zunehmend. So werden schließlich sieben Bälle hinter dem Rücken und als Spitzenleistung neun Bälle in der Luft gehalten. Zum Höhepunkt der Darbietung platziert Michael Ferreri einen Ball auf seiner Stirn und fügt mit schnellen Griffen sieben, auf einem Gestell liegende Bälle zu einem vertitablen Muster.
Der zweite Programmteil beginnt mit einer an der „Trampolinwand“. Drei Herren des „Spicy Circus“ agieren zusammen mit den drei Brüdern Errani auf den beiden großen Trampolinen zu beiden Seiten des aus Plexiglasplatten und Metallprofilen zusammengesetzten „Hauses“.
Das „Duo Skatin Flash“, Ursula Rossi und Leandro Zeferino, arbeiten ihre tempogeladene Rollschuh-Darbietung auf einem mehr als mannshohen Piedestal. Mit südländischem Temperament präsentieren sie sämtliche hochkarätigen Tricks des Genres in erstklassiger Ausführung und reißen das Publikum förmlich von den Sitzen.

Beide Luft-Darbietungen der diesjährigen Show entstammen dem gleichen Genre – den Strapaten und zeigen dennoch die Vielfalt der Luftartistik.
Im ersten Teil schwebt „Ikarus“ Jason Brügger, Gewinner der letztjährigen Ausgabe der TV-Sendung „Die größten Schweizer Talente“, zu Beginn der Darbietung im Goldflimmer, mit riesigen Flügeln an den Armen, aus der Kuppel in die Manege. Er präsentiert eine umfassende Abfolge kräftezehrender und anspruchsvoller Tricks in erstklassiger Ausführung, während die Truppe Bingo dem Auftritt  einen stimmigen Background verleiht.
Als Final-Darbietung sehen wir das Duo „Desire of Flight“ - Valeriy Sychev und Malvina Abakarova – mit seinem mitreißenden Act. Zum Chanson „Je suis malade“ präsentieren die beiden Luftartisten ihre hervorragende Trickfolge. Nervenkitzel pur, und entsprechende Publikumsreaktionen hervorrufend, bieten die Momente, wenn die Partnerin völlig ungesichert und frei im Raum schwebt.
Das Finale beginnt mit einer temperamentvollen Choreographie der Truppe Bingo. Der weitere Verlauf zeigt den seit Jahren bewährten Ablauf. Nacheinander kommen die Artisten in die Manege und erhalten ihren verdienten Applaus. Die Mitglieder der Familie Knie nehmen inmitten des roten Rings Aufstellung und Franco Knie jun. verabschiedet sich mit der traditionellen Grußformel des Hauses. Nach Konfettiregen, forcierten Standing Ovations und einigen Zugaben verliest Housch-ma-Housch in seiner typischen, unverständlichen Brabbelsprache eine Art Nachspann. Schließlich nimmt ihn die kleine Marie-Chanel bei der Hand und führt ihn, die in der Hand gehaltene Kerze ausblasend, zur Gardine.