Text und Fotos Friedrich Klawiter
LA GRANDE FÊTE LILLOISE DU CIRQUE
Lille 25. Oktober 2014
www.lagrandefetelilloiseducirque.com
Die 28. Auflage der „Grande Fête Lilloise du Cirque“ bietet exzellenten Circus auf höchstem Niveau. Viele illustre Darbietungen – darunter fünf Truppen und fünf Darbietungen mit Tieren – insgesamt fünfzig Artisten, Tierlehrern und Clowns hat Impresario Thierry Fééry zu einem grandiosen klassischen Circusspektakel zusammengefügt und präsentiert dieses, auch dank des modernen technischen Equipments, perfekt.
Die eleganten weißen Zeltanlagen waren wie stets auf dem „Champs du Mars“ am Rande der Altstadt von Lille aufgebaut. Die hohen Gittermastbögen, an den die Konstruktion aufgehängt ist und die jegliche Masten und Stangen im Innern überflüssig machen, sind nun neu mit unzähligen blauen LEDs illuminiert. Auch der dekorative Frontzaun wird in gleicher Weise in Szene gesetzt.
Rings ums Zelt sind die zahlreichen Wohnwagen, Mannschaftsunterkünfte sowie Ställe und Freigehege der Tiere angeordnet.
Im Vorzelt dominiert die Farbe rot. Teppichboden dieser Farbe bedeckt den Holzboden und straff gespannter Stoff verkleidet das Rondell. Der große Verkaufswagen der Circusrestauration steht hinter einer „Wand“, die im Bereich des Tresens ausgeschnitten wurde.
Die siebzehn Reihen des Schalensitzgradin, wovon die ersten vier gleichfalls ansteigenden Reihen die Logen bilden, füllen das Chapiteau komplett. Eng vom Gradin eingerahmt bietet der blaue Artisteneingang auf seiner Empore den neun Musikern des ausgezeichnet aufspielenden Orchesters, unter der Leitung von Kristof Majewski, Platz.
Hoch über der Manege hängt eine Gitterrohrkonstruktion, die die voluminöse Lichtanlage trägt. Das eindrucksvolle Lichtdesign unterstützt die auftretenden Artisten ideal und bietet mit vielerlei visuellen Effekten einen hervorragenden Background.
Mit einem temperamentvollen Czardas des achtköpfigen Balletts vom ungarischen National Circus Richter beginnt die Show. Thierry Fééry tritt in den roten Ring und begrüßt im voll besetzten Chapiteau sein Publikum. Wie in jedem Jahr ist er ein ausgezeichneter „Monsieur Loyal“, der mit erkennbarer Begeisterung für guten Circus vielfältige Informationen vermittelt.
Jockeyreiterei auf hohem Niveau bietet die Josef Richter Truppe auf ihren schweren Kaltblut-Pferden. Obwohl die Tiere auf dem Kokosteppich der Manege Schwierigkeiten haben und rutschen, erfolgen die Tricks der Reiter sicher und elegant. Flickflacks auf den Pferderücken, Salto vom Zwei-Mann-Hoch aufs nachfolgende Pferd und Salto von Pferd zu Pferd sind Toptricks die souverän präsentiert werden. Temperamentvolle Sprünge zum Stand auf das galoppierende Pferd, Runden im Zwei-Mann-Hoch und mit der kompletten Truppe auf dem Pferderücken runden die Darbietung ab.
Gleich im Anschluss präsentieren Maike und Jörg Probst eine heutzutage eher ungewöhnliche Dressurdarbietung mit vier Pavianen und einem Makaken. In fröhlicher und verspielter Weise interagieren die erfahrenen Tierlehrer mit ihren Schützlingen. Die tiergerechten akrobatischen Tricks erfahren in Comedy-Elementen und Schmuseszenen Auflockerung und Ergänzung, sodass sich die Abläufe zu einem harmonischen Ganzen fügen. Im zweiten Programmteil sehen wir Maike und Jörg Probst, die als einzige Akteure zwei Auftritte absolvieren, mit ihrer Haustierrevue im bayrischen Look. Ein großer Esel, zwei Wollschweine, sieben dekorative Ziegen, zwei Hähne und ein kleiner Hund sind die tierischen Mitwirkenden dieser fulminanten Darbietung. Temperamentvoll, in mitreißender Weise werden die vielseitigen Abläufe perfekt vorgetragen, so balancieren die Ziegen über eine Planke, bauen eine Pyramide und springen von einem zum anderen Podest. Ein Wollschwein rollt eine Walze durch die der Hund die Seiten wechselt. Eine freie Interpretation der „Bremer Stadtmusikanten“ sieht Esel, Ziege, Makake und Hahn und mit gelungenen Voltige auf dem Esel klingt die Darbietung aus.
Die einzigartige Raketensensation des Duo Garcia, im Rahmen dieser Show sehr zeitig aufgeboten, sorgt regelmäßig für schweißnasse Hände im Zuschauerraum. In gewohnter Perfektion und völlig ungesichert folgen die riskanten und spektakulären Tricks aufeinander. Immer wieder begeisternd der Zehenhang an einem Fuß von Vicky Garcia an einem kleinen Trapez, dass der Partner nur mit den Zähnen hält. Gleiches gilt für den abschließenden Nackenwirbel, bei dem Pablo Garcia, nur mit zwei aus den Schuhsohlen ragenden Metallknöpfen in der Außenhaut der Rakete eingeklinkt, einarmig seine Frau voll ausdreht.
Clown Bonbon und Partnerin Tina greifen in ihrer ersten Reprise das Thema „fliegen“ gekonnt auf. In einem von „Superman“ inspirierten Kostüm – weißer Overall, rotes Cape und Ledersturmhaube – steuert der Clown einen Quadrocopter. Flugs wird ein Zuschauer requiriert und zeigt sich auf Anhieb als perfekter Pilot an der Fernbedienung, der das Flugmodell gekonnt schweben lässt und durch einen großen Reifen dirigiert – jedenfalls so lange bis Tina auf der Szene erscheint und der Schwindel auffliegt.
Auch die folgenden Acts haben mit „fliegen“ zu tun.
Alessio Fochesato lässt im Gradin stehend gleich zu Beginn des Auftritts zwei prächtige Aras quer durchs Zelt auf seine Arme fliegen. Ein Ara "überbringt" einer Zuschauerin eine Rose und ein Kakadu fliegt durch Reifen, die von Kinder hochgehalten werden. Das riesige Chapiteau, in dem keinerlei Masten und Stangen stören, bietet der abschließenden Flugshow mit sechs Papageien ideale Voraussetzungen und elegant ziehen die großen Vögel ihre Kreise übers Gradin.
Das Trio Simet zeigt die außergewöhnlichste Darbietung der Show an einem ebensolchen Requisit - dem Semaphor. Jahrzehntelang nicht in den Manegen zu sehen, ähnelt die Arbeit der auf dem Hochseil. Bei dem Requisit handelt es sich um ein großes tropfenförmiges Rad, dass exzentrisch auf einer Achse sitzt und am schlanken Ende ein Gegengewicht hat. Dieses Rad vermag per Elektroantrieb eine dreiviertel Umdrehung auszuführen, so dass die Artisten in mehr oder minder großer Höhe arbeiten. Die Darbietung ist im Weltraum-Look gestaltet, wird mit blauem sphärischen Licht ausgeleuchtet und mit ihren Bewegungsabläufen lassen die Akteure Schwerelosigkeit erkennen. Die außergewöhnliche und trickstarke Darbietung wird vom Publikum begeistert aufgenommen.
Wer nun dachte, mit diesem circensischen Highlight ginge es in die Pause, wurde eines Besseren belehrt. Die „Troupe National de Peking“ präsentierte eine außergewöhnliche Handstand-Equilibristik. Zu klassischen Klängen arbeiten die fünf ArtistenInnen ihre Tricks mit der Attitüde von Balletttänzern. Auf einem hohen Requisit werden die anspruchsvollen Tricks, die auch viele Kontorsionselemente beinhalten mit der von chinesischen Artisten gewohnten Perfektion ausgeführt. Einzigartig die Abfolge von Sprüngen im einarmigen Handstand. Neun in einer Reihe angeordnete Handstäbe bilden eine „Klaviertastatur“ und der Artist „spielt“ darauf mit seinen Sprüngen eine Melodie. Zum Schlussakkord fächert sich die Plattform des Requisits in drei Teile auf und in der Mitte fährt eine hohe Säule aus. Verschiedene Handstandfiguren auf den Plattformen und eine Kopfstandpirouette an der Spitze des Turms lassen das Publikum begeistert mitgehen.
Mit der bestens gearbeiteten Tigerdressur von Carmen Zander beginnt der zweite Programmteil. Erstklassig wie stets folgen die vielfältigen Tricks aufeinander, werden u. a. Hochsitzer, Pyramide, Sprünge durch Handreifen und über vier andere Tiere und Rückwärtssteiger ausgeführt. Futtergaben aus der Hand und Schmuseszene sind Beleg für das enge und vertrauensvolle Verhältnis der Tierlehrerin zu ihren Schützlingen.
Jongleur Semen Krachinov arbeitet in seinem ausgefallen gestalteten Auftritt mit bis zu sieben weißen Bällen und Keulen. In hohem Tempo erfolgen die variantenreichen Routinen mit teilweise ungewöhnlichen Abläufen.
Bonbon und Tina sind selbstverständlich mit ihrem furiosen Badminton Match zu erleben. Schwungvoll gehen die beiden Cracks zu Werke. Ohne Längen werden Gag an Gag gereiht und feine Tricks mit Schläger und Federball, von denen letztlich fünf zur gleichen Zeit in der Luft gehalten werden, ausgeführt. In einer weiteren Reprise „kämpft“ der Clown mit einem großen Plüschgorilla, der fest mit seinem Kostüm verbunden ist. Nach blitzschnellem Wechsel des Outfits erscheint der Clown wieder – nun in einem Käfig sitzend den der riesige „Affe“ trägt.
Die Strapatennummer der Shenyang Acrobatic Troupe begeisterte schon hierzulande in verschiedenen Circussen die Besucher und findet auch im Rahmen dieser Show großen Anklang. In den verschiedensten Formationen führen die weiten Flüge durch die Kuppel und stets balancieren die Artistinnen eine „Fackel“ auf ihrem Mundstab.
Die Truppe Sokolov, beim letzten Festival von Monte-Carlo wurden sie mit einem „Goldenen Clown“ ausgezeichnet, arbeitet ihre hervorragende Schleuderbrettakrobatik vor dem Finale. Unter dem Motto „Mozart“ bieten die zwölf Mitglieder und Dimitri Sokolov in entsprechenden Kostümen und ebensolcher Musikbegleitung eine große Show. Bis in die letzte Handbewegung stylisch choreographiert wird die umfangreiche Trickfolge mit vielerlei Tanzsequenzen verbunden. Die Serie der hoch und weit, den gesamten Luftraum des Chapiteau nutzenden Sprünge, die auf einem Kissen gelandet werden finden ihre Krönung in einem vierfachen Salto. Ein Vier-Mann-Hoch, ohne jeden Vorteil ausgeführt ist genauso erwähnenswert, wie eine Landung im Spagat im Drei-Mann-Hoch. Ein Doppelsalto wird vollkommen sicher nur auf den Händen des Porteurs gestanden und ein dreifacher Salto endet im hoch empor gehaltenen Sessel. Selbstverständlich gehört auch ein Doppelsalto auf einer Stelze ausgeführt ins variantenreiche Repertoire. Mit einem spektakulären Trick erreicht die Darbietung ihren Höhepunkt. Auf einer von zwei Truppenmitgliedern gehaltenen Stange steht auf hohen Stelzen der Porteur, der seinerseits einen auf einer hohen Stange montierten Sessel hält. Scheinbar ohne jede Anstrengung gelingt der Sprung zur sicheren Landung in etwa fünf bis sechs Meter Höhe.
Eine Gelbstirnamazone beweist im Dialog mit Alessio Fochesato und Thierry Fééry ihr Sprachtalent und Begabung als Geräuschimitator.
Unterdessen wurde die erforderliche Technik in der Manege installiert und das große Finale mit tanzenden Fontänen entlockt den Besuchern im weiten Rund laute „Ah's“ und „Oh's“. Die Artisten stellen sich zunächst im Gang zwischen Logen und Rängen auf und umrunden schließlich in doppelter Reihe das Wasserbecken. Impressario Thierry Fééry verabschiedet sein Publikum und stellt eine neue großartige Show für das kommende Jahr in Aussicht. Frenetische Beifall und Standing Ovations halten die Mitwirkenden lange in der Manege ehe die Show mit weiteren Wasserspielen ausklingt und ihr Initiator vor der Gardine die mit Freude die enorme Anzahl an Autogrammwünschen erfüllt.
„La Grande Fête Lilloise du Cirque“ versteht es auch in der achtundzwanzigsten Ausgabe mit großartigen Leistungen und Charisma der Akteure zu überzeugen. Sie werden in erstklassigem Ambiente, mit herausragendem Licht und musikalischer Begleitung zu einer großen Show vereint, die ein rund dreistündiges stimmungsvolles und spannungsgeladenes Circuserlebnis bietet.