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Text und Fotos Friedrich Klawiter
LA GRANDE FÊTE LILLOISE DU CIRQUE
Lille, 31. Oktober 2015

www.lagrandefetelilloiseducirque.com
Ein hell strahlender Fixstern im alljährlichen Reigen der Circus-Veranstaltungen ist  „La Grande Fête Lilloise du Cirque“. Die von Impresario Thierry Fééry initiierte Veranstaltung bietet exzellenten Circus auf höchstem Niveau. Mehrere große Truppen, erstklassige Solisten und Duos, versierte Tierlehrer und ein facettenreicher Clown werden, begleitet von einem hervorragenden Live-Orchester und dank Einsatz modernster Circus-Technik, zu einer großartigen Show vereint.
Die eleganten weißen Zeltanlagen waren auch in diesem Jahr wieder auf dem „Champs du Mars“ am Rande der Altstadt von Lille aufgebaut. An den hohen Gittermastbögen, die die Konstruktion tragen und die jegliche Masten und Sturmstangen im Innern überflüssig machen, leuchten zahllose blaue LED in der Dunkelheit. In gleicher Weise wird der dekorative Frontzaun in Szene gesetzt.
Rings um die Zelt sind die zahlreichen Wohnwagen, Unterkünfte und Ställe samt Freigehegen angeordnet.
Die Seitenwände des zweimastigen Vorzeltes sind im Innern mit straff gespanntem roten Stoff verkleidet und der große Verkaufswagen der Restauration steht hinter einer „Wand“, die im Bereich des Tresens ausgeschnitten ist.
Siebzehn Reihen Einzelklappsitze füllen das Chapiteau vollkommen aus. Lediglich der Bereich des schmalen Artisteneingangs aus blauem Samt bleibt ausgespart. Auf dessen Empore nimmt Orchesterleiter Kristof Majewski mit seinen acht Musikern Platz. Dieser vorzügliche Klangkörper unterstützt die auftretenden Artisten in eindrucksvoller Weise.
Eine ringförmige Gitterrohrträgerkonstruktion, hoch über der Piste hängend, trägt die voluminöse und bestens bestückte Lichtanlage, deren eindrucksvolles Design mit vielerlei visuellen Effekten aufwartet.

Nachdem die Artisten ihre Positionen in der Manege eingenommen haben, flammen die Lichter auf und Thierry Fééry, der auch in diesem Jahr wieder als eloquenter und engagierter „Monsieur Loyal“ seine Artisten dem Publikum näherbringt, begrüßt die Anwesenden im weiten, restlos besetzten Rund. Gekonnt singt Monsieur Fééry das bekannte französische Circus-Chanson „Sous le plus grand Chapiteau du Monde“ und lässt das Opening so stimmungsvoll ausklingen.
Die acht kubanischen Artisten der Truppe „Sol de Havanna“ sind mit ihrem rasanten Auftritt an der Russischen Schaukel als erste zu erleben. Variantenreiche weite Flüge, die bis hoch in die Kuppel führen und allesamt sicher auf einem Kissen gelandet werden, bieten viele unterschiedliche Salto- und Schraubenkombinationen. Ein Doppelsalto zum Vier-Mann-Hoch und ein dreifacher in einen Sessel sind herausragende, nicht alltägliche Elemente des Genres. Abschließend wird ein im Drei-Mann-Hoch empor gehaltener Ring durchquert.

Fünf erstklassige Dressur-Darbietungen bietet die aktuelle Produktion der „Grande Fête Lilloise“ und Laura Urunova ist mit ihren Hunden als erste zu erleben. Pudel unterschiedlicher Größe führen die allermeisten Tricks. Rasant wie selten zu erleben folgen die zahlreichen und abwechslungsreichen Aktionen, die allesamt perfekt ausgeführt werden, aufeinander. Die Nummer folgt stringent der russischen Circustradition bei der stets nur die Trick ausführenden Tiere aus der Gardine erscheinen und man die Anzahl der Tiere nicht erkennen kann.
Pavel Vyakin und sein Bär „Tima“ faszinieren immer wieder aufs Neue. Völlig alleine in der Manege, der Vorführer tritt bis hinter den Vorhang zurück, zeigt der große prächtige Bär sein Können. Er entlockt einem einer Fanfare ähnlichen Musikinstrument Töne. Einen leichten, auf dem Kopf stehenden Kunststoffsessel dreht er blitzschnell in die richtige Position und nimmt gelassen darauf Platz, was angesichts seines Umfangs zunächst unmöglich schien. Einen gereichten Hula Hoop Ring stülpt er sich gewandt über den Kopf und versetzt ihn völlig selbständig in Rotation.
Als einziges Ensemblemitglied ist Erwin Frankello mit zwei Auftritten zu erleben. Im ersten Teil der Show präsentiert er in einer äußerst trickreichen Darbietung seine beiden Seelöwen. Artistische Tricks – u. a. ein „Einflossenstand“ und verschiedene Balancen erfolgen in spielerischer Ausführung, so spielen sie miteinander Kopfball und reichen sich „heruntergefallene“ Requisiten gegenseitig an. Mit viel komödiantischem Talent ausgestattet zeigen sie, dass Seelöwen singen und schnarchen können, geben ihrem Vorführer einen Klaps auf den Hintern oder küssen ihn überraschend.
Auch die beiden afrikanischen Elefanten beherrschen ein umfassendes Repertoire. Neben Laufarbeit und verschiedenen akrobatischen Übungen, wie z. B. hochsitzen, geht es auch spielerisch zu, wenn beispielsweise Rechenaufgaben gelöst werden. Effektvoll wird das enge Vertrauensverhältnis des Dompteurs zu seinen Schützlingen demonstriert, indem ein Elefant seinen Fuß nur wenige Zentimeter über den Kopf des liegenden Dompteurs hält und anschließend über ihm abliegt.
Den Reigen der Tierdarbietungen komplettiert Rosi Hochegger mit ihrem Bettpferd „Scout“. Der schwarz-weiß gescheckte Hengst reagiert perfekt auf die kaum wahrnehmbaren Zeichen seiner Vorführerin und spielt gekonnt mit. Er „verweigert“ einen Sprung, lässt sich den „verletzten“ Huf verbinden, verhindert das auflegen des Sattels und legt sich schlafen – nicht ohne die Zudecke bis zum Kopf hoch zu ziehen. Die fröhlich dargebotene, perfekt ablaufende Pferdekomödie kommt beim Publikum allerbestens an.

Clown Bello Nock ist das omnipräsente Gesicht dieser Show. Er erobert mit seinen abwechslungsreichen Auftritten, seiner fröhlichen Ausstrahlung und der offenen Art auf das Publikum zu zu gehen die Herzen im Sturm. Er beherrscht die unterschiedlichsten Facetten des komischen Fachs und ist in seinem ambitionierten Auftreten authentisch und die Aktionen wirken nie aufgesetzt – ein wahrer Könner. Im ersten Auftritt entsteigt Bello Nock einem großen Stoffwürfel und wirbelt in einem überdimensionalen, luftgefüllten Kostüm zu einem French Cancan durch die Manege. Pantomimisch geht es zu, wenn sich ein Koffer partout nicht vom Fleck bewegen lässt bis eine Wolke kleiner roter herzförmiger Luftballons daraus entweicht und in Richtung Kuppel emporsteigt. Mit einem in seine Einzelteile zerfallenden und „falsch“ wieder zusammengesetzten Fahrrad persifliert Bello Nock die vorangegangene Fahrrad-Darbietung. Akrobatisch geprägt sind die Auftritte auf dem Todesrad und am Trampolin. Außer vielseitigen Slapstick Gags und feiner Komik wird auch umfangreiches artistisches Können geboten. Vielfältige Kaskaden auf und um das Trampolin, sowie ein Salto im Kessel des Todesrades, Aufgang an einem Arm und freie Flüge über dem Rad gehören beispielsweise dazu. Die turbulente Kunstschützen-Reprise mit einer Assistentin aus dem Publikum, wird mit einem imaginären Pfeil und einem Bogen aus einem Ballon in flottem Ablauf und mit etlichen vorzeitig zerstörten Luftballons, schwungvoll gespielt und kommt bei den Zuschauern bestens an.

Hochkarätig besetzt zeigt sich auch der artistisch-akrobatische Teil des Programms.
Alain Alegria arbeitet seine trickstarke und risikoreiche Nummer auf dem Washington-Trapez mit cooler Attitüde. Ohne jegliche Sicherung erfolgen die risikoreichen Tricks hoch in der Kuppel. Freihändigen Balancen auf dem weit ausschwingenden Trapez sowie auf einem mit zwei Beinen auf der Trapezstange stehenden Stuhl sitzen und stehen wird getoppt von der Aufnahme eines Tuches mit dem Mund im vollen Schwung, wobei der Artist für einen kurzen Moment völlig frei im Raum schwebt.
Der „Splitting Globe“ der Diorios ist die spektakuläre Pausennummer. Begeistert gehen die Zuschauer mit, wenn zwei, drei und vier Fahrer auf ihren Maschinen in verwegener Manier durch  die enge Stahlgitterkugel rasen. Besonders effektvoll und lauthals bejubelt wird der Schlusstrick, zudem sechs Fahrer – vier oben und zwei unten – im sich öffnenden Globe ihre Bahnen ziehen.
Die Familie Jackson präsentiert hervorragende Fahrradartistik, wie man sie heutzutage so gut wie nicht mehr geboten bekommt. Das umfassende Repertoire klassischer Kunstrad-Tricks wird in bestechender Manier ausgeführt. Tricks mit zwei und vier Personen auf einem Fahrrad stehen am Beginn der Nummer. Die unzähligen Solotricks gipfeln im überqueren von vier Bänken mittels einer Rolle vorwärts mitsamt dem Fahrrad. Abschließend werden auf einem Mini-Rad mehrere Runden im Zwei-Mann-Hoch und zu viert geboten.
Leosvel und Diosmani begeistern mit ihrem furiosen Act am Chinesischen Mast ein jedes Publikum. Mit immensem Kraftaufwand und doch leicht wirkend werden die hochklassigen und teils einmaligen Tricks in Perfektion ausgeführt. Atemloses Staunen bemächtigt sich weiter Teile des Auditoriums beim einmaligen Höhepunkt der Darbietung – einem einarmigen Handstand auf dem Oberkörper des Untermannes, der sich mit durchgestreckten Armen quer zum Mast nur mit den Händen hält.

Die Luftsensation der „The Flying Girls“ aus Pyongyang sorgt für den spektakulären finalen Höhepunkt der Show. Vier kräftige Porteure wirbeln die zierlichen Voltigeusen durch die Luft und nutzen dabei die Kuppel in ihrer ganzen Größe. Drei Fänger nehmen dabei eine stehende Position ein, während der vierte, unter dem mittleren hängend, an einem Trapez weit zu beiden Seiten schwingt. Vielfältige Kombinationen von Saltos und Pirouetten werden von den Fliegerinnen zwischen den verschiedenen Fängerpositionen ausgeführt. Eine dreifache Pirouette und ein vierfacher Salto sind die effektvollen Höhepunkte dieser Darbietung.
Zum Finale nehmen die sechsunddreißig Artisten ihre Formation in der Piste wieder ein und nach sehr lang anhaltenden Standing Ovations verabschiedet Monsieur Fééry die begeisterten Zuschauer bis zur kommenden Ausgabe der Veranstaltung im nächsten Jahr. Während die Mitwirkenden die Manege verlassen erfreut Thierry Fééry noch einmal mit seinem gekonnten Live-Gesang die Anwesenden. Ein stimmungsvolles französisches Chanson sorgt zusammen mit abertausenden, über den Boden der nun leeren Manege huschenden, Lichtern für poetische Momente und zusammen mit einem Mädchen aus dem Gradin verabschiedet sich der Macher der Veranstaltung winkend vor dem Vorhang.
„La Grande Fête Lilloise du Cirque“ zeigt sich erneut als großartiges Circus-Ereignis, dass mit ausgezeichneten Leistungen und charismatischen Akteuren, die in einem erstklassigen Ambiente mit herausragendem Licht und hervorragender musikalischer Begleitung zu perfekten Show vereint werden, aufwartet und ein mitreißendes spannungsgeladenes, rund drei Sunden andauerndes, Circuserlebnis bietet.