Text und Fotos Friedrich Klawiter                                                 
Grande Fête Lilloise du Cirque
Lille, 28. Oktober 2012

www.lagrandefetelilloiseducirque.com
Zum nunmehr sechsundzwanzigsten Mal fand die grandiose "Grand Fête du Cirque" in der nordfranzösischen Metropole Lille ihren Platz. Auch in diesem Jahr ist es dem Produzent Thierry Fééry wieder gelungen ein Programm zusammen zu stellen, dass seinesgleichen sucht.  Erstklassige Clownerie, formidable Tiernummern und artistische Darbietungen von höchstem Niveau begeisterten die Zuschauer in Frankreichs viertgrößten Ballungsraum auch in diesem Jahr wieder über alle Maßen.

Auf dem „Champs du Mars“, in unmittelbarer Nachbarschaft der Altstadt Lilles, waren die imposanten Zeltanlagen errichtet, gab sich die Crème de la Crème der Tierlehrer und Artisten die Ehre. Das moderne weiße Chapiteau mit den royalblauen Applikationen weist im Innern keinerlei Masten und Stangen auf. Zwei mächtige Bögen aus Gitterrohrrahmen, die sich halbkreisförmig hoch über das Zelt spannen, tragen die kühne Konstruktion. Ein Vorzelt im gleichen Dekor, dessen beide Masten sind mittels eines Gitterrohrbogens verbunden, ergänzt das Ensemble. In zwei vor der Front stehenden Containern  finden Abendkasse und Büro ihren Platz.
Der Raum seitlich unter hinter dem Chapiteau teilen sich Ställe und Freigehege für Elefanten, Pferde, Seelöwen, Papageien und Raubtiere sowie die Wohnwagen der Artisten. Gemeinschaftsküche und Kantine, sowie Sanitäreinrichtungen komplettieren die Zeltstadt.
Das Vorzelt ist komplett mit einem Holzboden ausgelegt und beherbergt einen großen Verkaufswagen mit der Restauration und Souvenirshop sowie die Toilettencontainer. Das riesige, im Innern blaue Chapiteau bietet in vierzehn Gradin- und drei Logenreihen auf blauen Einzelsitzen, mit bester uneingeschränkter Sicht von allen Plätzen, Raum für rund zweitausendeinhundert Besuchern. Ein Artisteneingang aus rotem Samt schließt den Raum im hinteren Teil ab und bietet dem ausgezeichneten, furios aufspielenden neunköpfigen Orchester eine Bühne. Die leicht erhöhte Manege ist mit einem Kokosteppich, der entlang des Hufschlages eine keilförmige Überhöhung aufweist, ausgelegt.

Noch während des Einlasses erscheinen Fumagalli und sein Bruder Darix Huesca in der Manege und treiben mit dem Publikum ihre Späße. Schließlich versucht sich Fumagalli als Dirigent.
Impressario und Produzent Thierry Fééry begrüßt wortgewandt sein Publikum. Im weiteren Verlauf der Show erleben wir ihn als eloquenten und souveränen Moderator der Show, der auch im Zusammenspiel mit den Clowns zu überzeugen versteht.
Mit Tempo und Temperament erobert die Casablanca Truppe die Manege. Marokkanische Springer sind heute nur noch selten in den Manegen zu erleben und so kommen sie beim Publikum sehr gut an. Die acht Akrobaten bieten eine Vielzahl an Pyramiden und wirbeln, die verschiedensten Salti und Flickflacks schlagend, durch die Manege. Eindrucksvoll beweist Untermann Sahid abschließend seine Kraft, indem er seine sieben Kameraden auf seinen Schultern trägt.
Mister Dalmatin erobert mit seinen quirligen Hunden und drolligen Ponys gleich danach die Herzen der Kinder im Sturm. Wie entfesselt jagen die Dalmatiner umher und die Pudel geben erstklassige Jockeys ab. Das Headbanger-Pony wird nun von Mister Dalmatin junior bei seinem Treiben auf der „Gitarre“ unterstützt.
Der vierzehnjährige Jongleur Ty Tojo verblüfft mit enormen Können. Spielerisch leicht wirkend präsentiert er seine Tricks mit kleinen weißen Bällen. Rasend schnell und traumwandlerisch sicher erfolgen die anspruchsvollen Routinen, werden u. a. fünf Bälle hinter dem Rücken jongliert. Doch damit nicht genug, das Kunststück wird mit sieben Bällen genauso problemlos wiederholt. Drei Zigarrenkistchen zu manipulieren scheint die einfachste Sache der Welt und es scheint auch nicht schwierig die drei Kästchen nach einer doppelten Pirouette wieder aufzufangen.
„The Philip's Sealions and Parrots“ bringen eine außergewöhnlich kombinierte Dressurnummer in die Manege. Allerdings agieren die drei Seelöwen sowie Sittiche und Aras nicht mit einander, sondern die gängigen Tricks der Genres erfolgen im stetigen Wechsel der Arten. So wirkt die Darbietung  ein wenig zusammenhanglos und büßt an Wirkung beim Publikum ein.


„Bienchen, Bienchen – gibt mir Honig“ - der Klassiker unter den Entrees schlechthin sieht einen groß aufspielenden Fumagalli in seiner Paraderolle. Zusammen mit seinem Bruder Darix und Thierry Fééry, der die Rolle des Weißclowns gekonnt übernimmt, sorgt Giovanni Huesca für die Lacher.
Eine etwas andere, moderner interpretierte Clownerie bietet Totti mit seinen Reprisen. Zunächst präsentiert er im Dialog mit Thierry Fééry die „Eintrittskarte“. Im zweiten Teil demonstriert er in zwei musikalisch geprägten Auftritten seine Vielseitigkeit auf diesem Gebiet und stellt sein komödiantisches Können unter Beweis. In der ersten Szene zeigt er höchst geschickt und temporeich Kaskaden, die man angesichts seiner Statur niemals erwartet hätte. Der Kampf gegen die Tücke des Objekte, in diesem Fall Trompete, Hosenträger und Notenblätter, wird schließlich in grandioser Weise gewonnen. In seinem letzten Auftritt bietet er zunächst formidablen Live-Gesang. Mit einem spanischen Volkslied heizt er die Stimmung, Totti bittet das Publikum zur Salsa-Party, gewaltig an. Den zweiten Teil der Reprise sehen wir ihn auf Sopran-, Tenor- und einem, nur höchst selten gespielten, Bass-Saxophon gestalten.

Großartige Dschigitenreiterei bietet die Truppe Eshimbekov. Furios stieben zunächst drei Stehendreiter auf je zwei edlen Rössern durch die Manege. Dann erfolgen die hochklassigen Dschigitentricks auf, neben und an den Pferden. In höchstem Tempo dahin jagend, liegen die Reiter quer über dem Sattel, heben Tücher vom Manegenboden auf, tauchen unter dem Pferd hindurch, reiten im Handstand und bieten der Tricks noch mehr. Im Zwei-Mann-Hoch entrollen sie auf dem Pferderücken eine riesige usbekische Landesflagge.
Vor der Pause ist die große Akrobaten-Truppe der Volksrepublik China, diese Darbietung ist auch aus deutschen Manegen – u. a. Heilbronner Weihnachtscircus - mit ihrer „Schalenpagode“ platziert. Die acht kräftigen Artisten und ihre vier sehr jungen und äußerst zierlichen Partnerinnen präsentieren in einer strengen Choreographie eine enorme Zahl an Höchstschwierigkeiten  aus den Genres Hand-auf-Hand und Handvoltigen. Die kleinen Mädchen, die zu den spektakulären Tricks ausschließlich im Handstand durch die Luft fliegen, halten währenddessen permanent Pagoden aus kleinen Schalen auf einem Fuß.

Eric Borman eröffnet mit seiner Tigerdressur den zweiten Programmteil. Ein weißer und sieben normalfarbene Tiger beherrschen eine große Zahl variantenreicher Tricks, die in hohem Tempo dargeboten werden. Verschiedene Pyramiden und Hochsitzer, Teppich, Fächer und Flaschenlauf werden u. a. in erstklassiger Manier ausgeführt.Zwei eindrucksvolle Vorwärtssteiger sind weitere hochkarätige Bestandteile der Nummer. Den besonderen Moment erleben wir, als Alexandra Borman in den Käfig kommt und eine Tigerin zum Sprung zwischen den Beinen ihres im Handstand stehenden Mannes hindurch dirigiert.
Super Silva bietet mit seinem Deckenlauf einen sensationellen Akt hoch in der Kuppel des Chapiteau. Nach einigen Haltetricks am Trapez hangelt er sich kopfüber, nur mit den Füssen haltend, von einer zur nächsten Seilschlaufe. Dabei zeigt er Kehren und Wendungen, die vielen Zuschauern den Atem stocken lässt. Doch damit noch nicht genug des Nervenkitzels springt er abschließend in vierzehn Metern Höhe, auf jedwede Art von Sicherung verzichtend, von einem zu einem anderen Trapez. Chapeau.
Die Azzario Sisters verzaubern mit ihrer derzeit unerreichten, leistungsstarken Hand-auf-Hand Darbietung auch dieses, von großen Nummern verwöhnte Publikum. Mit großer Ausstrahlung werden die kraftzehrenden Evolutionen souverän und ohne erkennbare Schwierigkeiten in scheinbarer Leichtigkeit absolviert.

Die Familie Cassely bietet auch in diesem Jahr wieder einen der umjubelten, herausragenden Höhepunkte in diesem Programm der Extraklasse. Aus ihrem schier unerschöpflichem Reservoir verschiedenen Auftritte erleben wir sie heuer mit der Trickfolge, die im Januar diesen Jahres mit dem Goldenen Clown beim Festival von Monte Carlo ausgezeichnet wurde. Zu Beginn der Nummer zeigen Merylou und René jun. Tricks der Stehendreiter auf den Elefanten. Der Lauf vom hintersten zum ersten Tier über Rücken und Köpfe hinweg ist genauso zu sehen, wie Handstände und Flickflacks auf den Elefantenrücken. Salto auf  und von einem zum anderen Elefanten werden mit großer Sicherheit gesprungen. Quick Change von zunächst Merylou und dann auch dem Elefanten verblüffen das Publikum. Höhepunkt der umfangreichen Demonstration großen artistischen Könnens sind die verschiedenen Tricks am Schleuderbrett, dass von einem der Rüsseltiere bedient wird. René Casselly jun. springt zunächst einen Salto auf den Rücken eines Tieres und einen Doppelsalto zum Zwei-Mann-Hoch auf die Schultern seiner Schwester, die auf dem Elefant steht. Tosender Beifall ertönt, nachdem der dreifache Salto auf den Elefantenrücken mit traumwandlerischer Sicherheit im ersten Versuch gelingt.

„The Young Flyers“, das große Flugtrapez aus Nordkorea, bieten den Schlusspunkt in einem formidablen Programm. Drei Fänger auf verschiedenen Ebenen erlauben den fünf Flieger/Innen variantenreiche Flüge zwischen den Positionen und die integrierte Russische Schaukel erhöht die Möglichkeiten nochmals. Die Salti und Pirouetten werden sowohl vom Trapez zu den Fängern, als auch als Handvoltigen zwischen den Fängern ausgeführt. Höhepunkt in der von uns besuchten Vorstellung war der dreifache Salto, da der vierfache wegen einer Verletzung des Artisten ausfallen musste.
Nachdem das Sicherheitsnetz in Windeseile entfernt ist, kommt die riesige Artistenschar die Treppenaufgänge hinab zum Finale in die Manege. Der Monte Carlo Marsch erklingt und die vierundfünfzig Mitwirkenden nehmen Aufstellung im roten Ring. Veranstalter Thierry Fééry stellt alle noch einmal vor und mit Standing Ovations dankt ein begeistertes Publikum für eine Show, wie man sie heutzutage fast nirgends mehr geboten bekommt.
Die „Grande Fête Lilloise du Cirque“ bietet nicht allerhöchstes Leistungsniveau, sondern versteht es ausgezeichnet mit erstklassigem Ambiente, herausragendem Licht und  musikalischer Begleitung ein stimmungsvoll und spannungsgeladen präsentiertes Circuserlebnis zu gestalten.

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