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Text Friedrich Klawiter
European Circus Festival Lüttich
Lüttich, 20. Dezember 2006


Bereits zum sechzehnten mal veranstaltet der ehemalige Trapezartist Stefan Agnesen seinen Weihnachtscircus in Lüttich. Als “European Circus Festival” gastiert man alljährlich von Mitte Dezember bis zum ersten Januar Wochenende hier, da jeder Besucher per Stimmzettel darüber entscheiden kann, welche Artisten den goldenen, silbernen und bronzenen Stern erhalten. Der Circus steht im Parc d’ Avroy, einer Grünanlage im Zentrum der Stadt, nur zwei Minuten von der Fußgängerzone entfernt.

Ein blau/gelbes Chapiteau von ca. 30 m Durchmesser mit passendem Vorzelt wird von zahlreichen ebenso lackierten Wagen umgeben. Das komplette Material macht einen sehr gepflegten Eindruck, auch weil man keine Reisesaison absolviert, sondern im Sommer fest in einem Freizeitpark steht. Passend zur diesjährigen Werbung “Erstmals mit weißem Tiger”, steht ein alter renovierter Raubtierwagen, bestückt mit drei großen weißen Plüschtigern, vor der Front. Die Fassade mit Lichterbögen und Tannenbäumchen atmet gerade abends sehr viel Atmosphäre. Ein kleiner Stall mit Esel und Ziege neben dem Vorzelt lockt die Kinder an und unterstreicht die Weihnachtsstimmung. Das geräumige, innen rote, Vorzelt hat genau wie das Spielzelt einen Holzboden, komplett mit Teppich belegt. Die Toilettencontainer sind direkt angebaut, sodass kein Besucher durch den doch tiefen Morast des Außengeländes muss. Verkaufsstände und ein großer Wagen halten das übliche Angebot zu äußerst moderaten Preisen bereit. Alte gusseiserne Raubtierpostamente und Elefantentonneaus dienen als Ablagen und Dekoration zwischen den Weihnachtstannen. Hieran lässt sich probieren, wie schwer es Dompteure hatten. Ein großer plüschiger Artisteneingang nimmt auch das achtköpfige Orchester unter Eduard Tyburski auf. Die Logen sind mit Polsterstühlen höchst komfortabel bestückt, während dem neunreihigen Holzplankengradin leider Rückenlehnen fehlen. Lüttich, die größte Stadt Walloniens, dem französischsprachigen Teiles Belgiens, weist den Charme und die Lebensart des großen Nachbarlandes auf.


Entsprechend wird die Show vom Ballett Gino Serri, fünf Damen und zwei Herren, in prachtvollen Revuekostümen eröffnet. Sie bilden den roten Faden im Programm und zaubern einen Hauch von Molin Rouge in die Manege. Guy Saas, während der Saison in Holland bei Alberto Althoff, führt seine sechs Araber Fuchshengste vor. Gleich im Anschluss einer der artistischen Höhepunkte. Das Duo Triali zeigt an der Hängeperche hervorragende Luftakrobatik. Kein französisch inspirierter Circus ohne “Monsieur Loyal”. Christophe Ivanes ist ein Star seiner Zunft und hier in Lüttich seit jeher dabei. Wortgewaltig und virtuos führt er durch den Abend und präsentiert sich in acht verschiedenen Kostümen. Abweichend von den Ankündigungen ist an Stelle von “Michaels Fußballhunde” eine Liliputanerin, der Name war leider nicht zu verstehen, mit einer Pudelmeute engagiert. Zur Freude der zahlreichen Kinder arbeitet sie eine typische Nummer alter russischer Schule.

Seit Jahren sind die Nery Clowns aus Portugal für den Humor in diesem Circus zuständig. Dieses Mal mit ihrer Version des Kunstschützen-Entrees. Diana Rhodin bringt Micky, eine große afrikanische Elefantenkuh in die Manege, bevor das Ballett mit einem feurigen Can-Can zur Pause überleitet. Die Sifolinis starten den zweiten Teil mit viel Schwung auf dem Riesenrad. Die üblichen Tricks werden gut schnell und sicher ohne unnötige Effekthascherei gezeigt. Die Ikarier Fausto Scorpio sorgen für einen tollen Wirbel in der Manege. Routiniert arbeitet das Ehepaar und Tochter die liebevoll choreographierte Nummer. Zu ihrem Markenzeichen gehört die Beteiligung von Zuschauern.
Tradition ist der Auftritt von Direktor Agnesen, selbstverständlich außer Konkurrenz der Sternewertung. Nach diversen Pferdevorführungen in den letzten Jahren arbeitet er nun in einer großen Magie-Show mit. Die Großillusionen von Zoltan und den Nery Brüdern wurden zusammengefasst und Stefan Agnesen verschwindet bzw. erscheint aus einigen Kisten. Die Gebrüder Nery, seit einigen Saisons bei Amar/Falck in Frankreich steuern die Tricks mit den beiden Tigern, einem normalfarbenen und einem weißen bei. Das Publikum ist sichtlich beeindruckt, wenn der große weiße Tiger, nur an einer Kette geführt, hochaufgerichtet in der Manegenmitte an Garibali Nery lehnt. Die Malinkovitch runden mit Kostümillusionen die magischen Szenen ab. Daniel Rossetti lässt die reichlich vorhandenen Muskeln spielen und gibt den obercoolen Supermacho. Seine kraftvolle Handstandakrobatik ist der Schluss- und Höhepunkt eines guten und liebevoll präsentierten Circusprogramms.


Das Ballett leitet mit großem Revue-Auftritt über zum Finale, indem alle Mitwirkende noch einmal namentlich vorgestellt werden. Die Zuschauer werden gebeten noch einen Augenblick auf ihren Plätzen zu verharren, damit die Artisten Zeit finden, wie es hier seit dem ersten Festival üblich ist, im Foyer Spalieraufstellung zu nehmen. Man verabschiedet sich persönlich und oftmals mit Händedruck und viele der Stamm-Besucher nutzen die Gelegenheit einige Worte mit Stefan Agnesen zu wechseln. So dauert es im stets sehr gut besuchten Circus eine Weile, bis der letzte Gast den Weg gefunden hat.
Will man in dieser Spielzeit etwas kritisieren gibt es nur geringe Ansätze. Leider lassen sich nicht alle Artisten vom Orchester begleiten. Der andere Punkt ist in der Ansammlung der Magie-Auftritte begründet. Hierdurch bedingt fehlt es im zweiten Teil an einem Clown-Auftritt und auch die sonstige Reihung ist etwas unorthodox. Ganz eindeutig im Vordergrund steht aber das positive Erlebnis. Das European Circus Festival garantiert stets eine stimmungsvoll dargebotene Show sehr guter Cirusnummern, der man die Freude ihrer Macher an ihrem Tun anmerkt.