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Text und Fotos Friedrich Klawiter
European Circus Festival
Lüttich, 20. Dezember 2008

www.europeancircus.com
Ganz großen Circus präsentiert Stefan Agnessen bei der 18. Ausgabe seines European Circus. Im Zentrum von Lüttich hat die blau-gelbe Zeltstadt traditionell ihren Platz. Die Ränge sind bestens gefüllt, als Kapellmeister Edward Tyburski den Taktstock zur Ouvertüre hebt. Einer der größten, neben Sergio, der Gilde der französischen „Monsieurs
Loyals“ ist wie alle Jahre zur Stelle, um das Publikum zu begrüßen und eloquent durchs Programm zu geleiten. Außer mit seiner großen Rhetorik weiß Christophe Ivanes auch optisch mit sechsmaligem Kostümwechsel zu überzeugen.

Das Ballett von Gino Serri, dieses Mal in der Besetzung mit sieben jungen Frauen, kommt zu seinem ersten Auftritt. Seit Jahren sorgt diese Compagnie für die glamourösen Momente, bildet den roten Faden und schafft fließende Übergänge in den Circusprogrammen von Stefan Agnessen. Dann gehört die Manege Alain Chabri mit seiner Jonglage langer Stäbe. Requisiten und Kostüm noch immer im typischen Flic Flac-Stil, wirkt er in diesem klassisch-elegant verkauften Circusprogramm ein wenig befremdlich. Auf dem Weg nach Monte Carlo hat Karl Ferdinand Trunk hier einen Zwischenstopp eingelegt. Seine Freiheit mit den acht Ponys ist ideenreich und schön anzusehen. Die Pferdchen laufen perfekt, werden vom Vorführer elegant präsentiert. In einem zweiten Auftritt sehen wir Namayca und Karl mit Bauernhoftieren. Je drei Ziegen, Schweinchen und Gänse entzücken hauptsächlich die kleinen Besucher.

Für einen der ganz großen Momente im Programm sorgt Beatrice Esterlee. Die Luftartistin im reiferen Alter war schon des Öfteren in diesem Circus an verschiedenen Requisiten zu sehen. Im aktuellen Programm zelebriert sie  – Charles Aznavour singt per Playback „Ave Maria“ – eine Kür am Trapez, wie man sie in Leistung, Können und Ausstrahlung nur noch selten geboten bekommt. Ungeheuer kraftvoll, elegant, mit weich fließenden Bewegungen und scheinbar ohne Anstrengung beginnt sie vollkommen ungesichert und ohne Vorteil mit Fersenhang, zeigt unter anderem Hang an einem Spann und Genickhang. Nachdem Orchester und Ballett mit den entsprechenden Zutaten für südamerikanische Folklorestimmung gesorgt haben, gehört die Manege den „Los Alamos“. Sehr schnell und sicher agiert Patrick Brumbach mit seinen Wurfmessern, Äxten und Sternen. Er platziert die Messer mit großer Präzision beeindruckend nahe an seiner Partnerin. Prince Henry nennt sich der Reprisenclown, es handelt sich um ein Mitglied der Ayala-Hochseiltruppe. In chicem glitzerndem Outfit, und für europäische Verhältnisse auch ungewöhnlich geschminkt, sehen wir ihn in einigen der üblichen Reprisen. Mit seiner Partnerin spielt er das Spaghetti-Entree, und das turbulente Spiel gipfelt in reichlichen Mengen tief fliegender Nudeln.
Nach, fast auf den Tag genau, einem Jahr sehen wir Thomas Janke mit seiner Jonglage wieder. In dieser Zeit hat er etwas mehr Persönlichkeit entwickelt, wirkt etwas erwachsener und hat ein wenig gelernt, zu „verkaufen“. Sein Auftritt wirkt nun weniger mechanisch, weniger „auswendig gelernt“, da er sich mehr bewegt und den Raum der Manege nutzt und  auch ansatzweise den Kontakt zum Publikum sucht. Verändert werden sollte evtl. seine Erscheinung. In schwarzer Hose, weißem Poloshirt und korrekter Sonntagsfrisur wirkt er sehr brav, ein wenig streberhaft und nicht wie ein cooler junger trendiger kommender Manegen- oder Bühnenstern.


Vor der Pause dann noch einmal richtig Wirbel und Temperament – Christian und Alex Gärtner auf dem Todesrad. Die Brüder geben sich als obercoole Latino-Machos und zeigen genreübliche Tricks. Von Orchester und Lichtregie glänzend unterstützt, verkaufen die beiden ihre Show, und das Publikum geht begeistert mit. Die Löwen und Tiger von Kid Bauer zeigen ihr Repertoire auch in dieser Spielzeit wieder hier in Lüttich. Mit großer Nonchalance und Souveränität leitet der Dompteur seine Schützlinge an, ihre Pyramiden und Sprünge auszuführen. Hochsitzer, Balkenlauf, abliegen und weitere Tricks komplettieren diese ruhig gearbeitete Nummer, die in Monte Carlo mit einem Preis belohnt wurde. Die Elefanten der Gärtners haben während dieses Engagements einen weiteren Vorführer bekommen. In den vergangenen Jahren sahen wir Stefan Agnessen mit verschiedenen Pferden arbeiten, nun ist er in den Auftritt der beiden großen Elefantendamen integriert. Die gefällige Trickfolge wird flott geboten und gipfelt im Abliegen eines Tieres über der Partnerin von Alex Gärtner. In vielen Circussen haben wir Martyn Chabry gesehen, und auch diesem Programm verleiht sie einen besonderen Kick.

Es ist schwer zu sagen, womit sie das Publikum mehr fasziniert – mit ihrer großen Musikalität und damit einhergehend des Beherrschens der verschiedensten Instrumente, oder dem blitzschnellen Wechsel ihrer Kleider. Das Hochseil ist ihr Metier. Zu dritt sorgen die Ayala für Nervenkitzel zum Programmende.  Alle Tricks, die zu einer Spitzendarbietung gehören, werden geboten. Sie zeigen unter anderem Zweimannhoch,  Sprung über den Partner, Radfahren –  auch auf einem Einrad und den Sprung durch einen Feuerreifen. Perfekt im Verkauf und mit reichlich südamerikanischem Temperament ausgestattet, werden sie vom Publikum gefeiert.

Das Gino Serri Ballett zieht alle Register, die Artisten werden von Christophe Ivanes präsentiert, und Stefan Agnessen bedankt sich beim Publikum für den Besuch. Der weitere Ablauf hat Tradition bei dieser Veranstaltung, die Artisten ziehen sich zurück, das Ballett hat noch einen letzten Auftritt. Langsam verlassen die Zuschauer das Chapiteau – das Orchester spielt noch immer  – währenddessen die Artisten im Foyer ein Spalier gebildet haben und sich noch einmal persönlicher verabschieden. Viele Besucher nutzen die Gelegenheit für ein paar anerkennende Worte an den einen oder anderen Künstler.