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Text und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCUS RONCALLI
40 Jahre Die Reise zum Regenbogen
Köln, 15. Mai 2016
www.roncalli.de
Vierzig Jahre und noch immer voller Schwung und neuer Ideen - so präsentiert sich der Circus Roncalli zum runden Jubiläum auf dem Kölner Neumarkt. Am 18. Mai 1976 gab der Circus Roncalli in Bonn auf der Hofgartenwiese seine erste Vorstellung. Nach fulminantem Start des Programms "Die größte Poesie des Universums" blieb dem jungen Unternehmen kurzzeitig der Erfolg verwehrt. Erst der Neustart, am 04. Juni 1980 auf dem Kölner Neumarkt, mit der "Reise zum Regenbogen·begründete den bis heute anhaltenden legendären Erfolg dieses einzigartigen Unternehmens.
Selbstverständlich war man zum Jubiläum wieder einmal  in Köln auf dem Neumarkt zu Gast und die erste „große Nummer“ wurde – vom Publikum weitestgehend unbemerkt – von der technischen Crew des Circus Roncalli vollbracht. Der Aufbau auf dem engen, ringsum von hohen Bäumen umgebenen und Straßenbahngleisen eingefassten Platz stellt hohe Anforderungen an Logistik und Mannschaft. Der Raum ist so eng, dass das Chapiteau in der Breite genau darauf passt. Nur wenige Materialwagen können zur gleichen Zeit vorfahren, müssen gleich entladen und direkt wieder weggebracht werden um Raum für die nächsten zu schaffen.
So drängen sich während des Gastspiels Büro, Kasse und die legendäre Wurstbraterei vor der einen Zeltseite dicht aneinander, während gegenüber das „Café des Artistes“ seinen Platz hat. Die beiden historischen Frontwagen und der prächtige Nostalgiezaun vor dem Vorzelt mit dem kunstvoll gestalteten Giebel bilden die bestens bekannte Fassade und verbreiten das typische Roncalli-Flair. Hinter dem Grand Chapiteau reicht der Platz gerade aus für die Elektrozentrale, die Garderobenwagen und den Pferdestall von Karl Trunk.

Der Pfiff einer Trillerpfeife startet den Einlass und sogleich nimmt der Zauber Roncallis die durch die Sperre drängenden Besuchermassen gefangen. Portiers in traditioneller, aufwändiger Livree entwerten die Karten und die Besucher bekommen rote Nasenspitzen und Herzchen auf die Wange gemalt. Im Vorzelt unterhält die Band mit flottem Dixieland-Sound und Artisten, Jongleure und Clowns geben erste Kostproben ihres Könnens. Am Eingang des Spielzeltes bieten die Programmverkäuferinnen in schmucken Uniformen die Hefte feil und das Einlasspersonal dirigiert die einströmenden Besucher zu ihren Plätzen.
Das Innere des Chapiteau bietet den seit vielen Jahren bekannten Anblick. Edle weiß-rote Logen, mit aufwändigem goldenem Schnitzwerk verziert, ziehen sich um die Piste, ein Bankgradin nimmt den größten Teil des Raumes ein und dekorative Balkonlogen schließen daran an. Der reich verzierte Artisteneingang beherrscht den hinteren Teil des Raumes. Auf seiner Empore hat das ausgezeichnete, druckvoll aufspielende Orchester seinen Platz.
Während des Einlasses schwebt ein aufwändig gearbeitetes Mobile über der Manege. Auf seinen permanent kreisenden Leinwänden erzählen die von Beamern eingespielten Fotos Roncallis vierzigjährige Geschichte.

Die ausgezeichnete Jubiläums-Show wurde völlig neu zusammengestellt. Viele neue Darbietungen bringen frischen Wind in die Roncalli-Manege und die wenigen prolongierten Artisten präsentieren ihre Darbietungen neu arrangiert. Die kurzweilige Show läuft höchst unterhaltsam und temporeich ab. Zahlreiche Tempowechsel im Ablauf durch geschickte Reihung der diversen Genres bieten einen sich stetig steigernden Spannungsbogen. Hervorragende musikalische Begleitung und ein erstklassiges Lichtdesign tragen sehr zu ihrem Gelingen bei.
Anatoli Akermann, Ramon Hoopmann und Devlin Bogino sind mit ersten Scherzen in den Abbau des Mobile eingebunden, dann gehört die Manege der Truppe Bingo. Die sieben ArtistenInnen präsentieren eine rasante Melange verschiedenster artistischer Genres. Im Rahmen dieses rasante Openings zeigen Lili Paul und Jemaile Martinez Ausschnitte aus der letztjährigen Rollschuh-Nummer der „Les Paul“.
Ein weiteres Mal erleben wir Bingo vor der Pause mit der Arbeit an drei Chinesischen Masten.
Erste Solistin des diesjährigen Programms ist Vivian Paul mit einer stimmigen Kür am Luftring. In einem phantasievollen Harlekinkostüm präsentiert die Juniorin des Hauses in einem poetisch inspirierten Auftritt gekonnt eine Reihe attraktiver Tricks des Genres.
Die Poesie, mit der einst Clowns wie Pic und Pello das Publikum verzauberten und mit der sich Roncalli von anderen Circussen abhob, kehrt mit Clown Carillon, alias Paolo Casanova in den roten Ring zurück. In pointiertem Spiel nimmt er das gebannt verharrende Publikum mit auf seiner phantastischen Reise. Viele mechanische Gags prägen den ersten Auftritt. Ein surrealer „Hund“ aus Metallteilen wird zum Leben erweckt, Seifenblasen und Konfetti kommt aus seinem hohen Zylinderhut zum Vorschein und schließlich „öffnet“ der Clown seine Brust, gewährt Einblick auf eine Art Uhrwerk in seinem „Innern“ und zieht die Feder, die sein Werk am laufen erhält mit einem großen Schlüssel wieder auf. Gegen Ende der Show sehen wir Carillon erneut, nun präsentiert er seine Version der Seifenblasen. In eigener Weise manipuliert er mit den schnell vergänglichen Gebilden und bringt in zeitgemäßer Weise die Poesie in die Roncalli-Manege zurück.
Mit der Schleuderbrett-Darbietung des Trio Csàszàr gewinnt die Show nach den beiden vorangegangenen romantischen Nummern deutlich an Tempo. Rasant erfolgen die verschiedenen Sprünge der Voltigeuse, die allesamt sicher von den beiden Herren gefangen werden. Mit einem gehörigen Schuss Humor verkauft, lässt dieser Auftritt das Publikum begeistert mitgehen. Ungläubiges Staunen und riesiger Jubel machen sich breit, wenn der recht beleibte Peter Császàr mehrere Salti auf dem Brett dreht und schließlich auf den Schultern seines Bruders Gabor landet. Mit einem dreifachen, hervorragend ausgeführten Salto hat die Darbietung ihren Höhepunkt.

Wie stets in den Programmen bei Roncalli nimmt die Clownerie breiten Raum ein.
Weißclown Gensi ist in verschiedenen Zwischenspielen – z. B. mit Fingerpfeifen und mit einem Kostümpferd – weiterhin mit dabei.
Anatoli Akerman präsentiert unverändert seinen Stepptanz in Kombination mit einer Zigarrenkisten-Jonglage und tritt in verschiedenen anderen Szenen gleichfalls in Erscheinung.
Ramon Hoopman ist in seiner Rolle als omnipräsenter Hausmeister während vieler Darbietungen mit stimmiger Situationskomik im Hintergrund zugegen und besticht, „plötzlich und unerwartet“ zum Magier auserkoren, mit treffendem Wortwitz in Verbindung mit hervorragender Darstellungskunst.
Beatboxer Robert Wicke ist zwei Mal zu erleben. Im ersten Teil interpretiert er bekannte Melodien in einer Art Playback-Show in seinem Stil in gekonnter Weise neu. Als Finalnummer präsentiert er sein Beatboxing in Kombination mit einer Comedy-Jonglage und bezieht drei Zuschauer in sein Spiel mit ein. Die Auftritte kommen beim Publikum, das vor Begeisterung rast, allerbestens an und der Künstler wird mit ungeheurem Beifall bedacht. Dennoch wirkt Robert Wicke in Aussehen – geringeltes T-Shirt, herabhängende Hosenträger, schief sitzende Schirmmütze – und Auftrittsstil in der Show isoliert, ein Künstler dem die Bindung zum übrigen Ensemble fehlt.

Lili Paul lässt in ihre anmutig präsentierte Kautschuk-Darbietung einige Antipoden-Elemente einfließen, indem sie kleine Teppiche auf Händen und Füßen rotieren lässt.
Karl Trunk ist mit seinen Freiheitsdressuren ebenfalls im Jubiläumsprogramm zu erleben. Zunächst lässt der erfahrene Dresseur ein Shirehorse und zwei unterschiedlich große Ponys ihr erlerntes Repertoire zeigen. In spielerisch leicht wirkender Manier werden die verschiedenen Figuren gelaufen. Anschließend dirigiert Vivian Paul ein fröhliches Groß-und-Klein. Unter der hervorragenden Peitschenführung von Karl Trunk agieren drei Ponys als „Korbpferde“ zwischen den Cavaletti. In erstklassigem Timing erfolgen die Stopps und Volten und mit einem dreifachen Steiger durch die Manege erreicht die Darbietung ihren eindrucksvollen Höhepunkt.
Jongleur Ty Toyo arbeitet mit weißen Bällen. Souverän meistert der erst siebzehnjährige US-Amerikaner viele unterschiedliche und anspruchsvolle Routinen mit zunächst drei, dann fünf und schließlich sechs Bällen.

Zu Beginn des zweiten Teils erleben wir die außergewöhnlichen Handvoltigen der Truppe „Lift“. Die beiden Fänger haben ihren Platz auf zwei dichten beieinander stehenden erhöhten Plattformen, von denen aus sie die beiden Voltigeusen gemeinsam quer zur Achse ihrer Plattformen hoch in die Luft katapultieren um sie nach vielfältigen Salto- und Pirouettenkombinationen wieder sicher zu fangen. Die leistungsstarke, riskante und innovative Darbietung wurde 2014 beim Festival Cirque de Demain in Paris mit einer Silbermedaille ausgezeichnet.
Bei der gleichen Veranstaltung erhielt Ai'Moko Gold für seine Nummer am Cyr Rad. Der junge Venezulaner hat eine surreale Figur geschaffen, deren kurioser, kindlich-spielerisch Auftrittsstil die akrobatische Leistung beinahe vergessen lässt. Die Melange aus Comedy, Tanz und Akrobatik am Cyr Rad, untermalt von kehligen Lauten des Artisten, weckt, in Verbindung mit dem eigenwilligen Kostüm, Assoziationen sowohl an die Teletubbys als auch an den „Igelmann“ auf dem Seil.
Das Duo Pykhov wartet gleichfalls mit einem innovativen Auftritt auf. Yana Pykhova tanzt auf dem Seil und ihr Mann gibt als Tambour den Takt auf einer Landsknechtstrommel vor. Der Seilapparat wird von einer interessanten und wohl einmaligen Konstruktion gebildet. Zwischen den Spitzen zweier sichelförmiger Metallkufen ist das Seil gespannt und der freistehende Apparat neigt sich entsprechend den Bewegungen der Artistin. Die vielseitige Trickfolge findet im Spitzentanz auf dem Seil und einem Schrägseillauf, hierbei bringt der Partner mit seinem Körpergewicht den Seilapparat in die entsprechende Position, ihre Höhepunkte.

Am Schwungtrapez bieten Avital und Jochen Pöschko eine Reihe spektakulärer Tricks. Zahlreiche Saltos, Pirouetten und Voltigen – allesamt longengesichert – führt die Partnerin gekonnt aus und mit den waghalsigen Aktionen reißen die beiden Artisten das Publikum förmlich von den Sitzen.
Das große Roncalli-Finale folgt auch in der Jubiläums-Show der langjährig bewährten Regie. Die große Schar der Mitwirkenden lässt Luftballons ins Publikum fliegen, es folgt der Walzer mit den Logengästen und die einzelnen Vorhänge für jede Darbietung. Längst hat sich das Publikum erhoben, feiert die Akteure und ein wenig auch sich selbst, es gibt die obligatorischen Zugaben, Konfetti regnet aus der Kuppel und mit weißen Tüchern winkend verabschiedet sich die Truppe von ihrem Publikum.
In die Aufbruchstimmung hinein kommt Beatboxer Robert Wicke zum Epilog ein letztes Mal vor den Vorhang. Eine Mondsichel leuchtet in der Kuppel auf und ein letztes Mal intoniert Wicke, zusammen mit dem Publikum „Morgen früh, wenn Gott will....“ Anatoli Akerman, mit Zipfelmütze, überdimensionalen Puschen und seinem Kopfkissen ausgerüstet beendet den Gesang und nimmt den Beatboxer mit hinter die Gardine.