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Text  und Fotos Friedrich Klawiter
CIRCUS RONCALLI
Bonn, 13. Mai 2011

www.roncalli.de
Fünfunddreißig Jahre Roncalli - ein halbes Menschenalter lang gibt es nun Circuskunst a la Bernhard Paul. Auch wenn es so scheint, als wären es „erst ein paar Jahre“ her, sind dreieinhalb Jahrzehnte vergangen seit der Circus Roncalli seine Weltpremiere auf der Hofgartenwiese in Bonn feierte.
Heute steht der Circus nur wenige hundert Meter vom damaligen Platz entfernt vor der Bonner Beethovenhalle. Im Verlauf der Jahre hat sich das äußere Erscheinungsbild nur marginal verändert. Die gepflegten nostalgischen Wagen bestimmen nach wie vor das Bild, der üppig dekorierte Frontzaun erstrahlt im Schein unzähliger Glühbirnen und die Schlange vor dem Einlass zeigt sich auch an diesem Abend wie in früheren Zeiten. Die Farbgebung der Chapiteaux hat die augenscheinlichste Metamorpose erlebt und aus Baumwolle sind die heutigen Zelte auch nicht mehr. Interieur von Vorzelt und Chapiteau bieten das seit Jahren gewohnt stilvolle Ambiente und verbreiten das typische Roncalli-Flair.
Dazu trägt natürlich auch ein herausragendes Lichtdesign bei.

Das große hervorragende Orchester, unter der Leitung von Georg Pommer hat seinen Platz unverändert über dem dekorativen Artisteneingang. Leider hat sich leider auch in diesem Circus die Unsitte eingebürgert einen Teil der Nummern von CD begleiten zu lassen. Auch in dieser Show wirken die Darbietungen durch diese Maßnahme steriler und das Publikum applaudiert verhaltener, erhält die Stimmung einen Dämpfer.

Das Jubiläumsprogramm folgt der seit einigen Jahren bewährten Grundkonzeption, wurde im Vergleich mit dem Vorjahr aber in weiten Teilen mit neuem Inhalt gefüllt.
Drei Säulen tragen im Wesentlichen das Programm - Pferde, Handstände und Clownerie.
David Larible ist auch aktuell wieder die tragende, jederzeit präsente Figur - beginnend mit dem warm-up während des Einlasses, der Verwandlung vom Hausmeister zum Clown, in seinen Reprisen und Entrees, im Finale bis hin zur Rückkehr ins Hausmeisterkostüm.

Pferde mit stilvollen Schabracken, auf denen die Programmmottos vergangener Jahre eingestickt sind, werden von prachtvoll gewandeten Bereitern entlang der Piste geführt. "Pferdeparade" betitelt das Programmheft diese Eröffnung.  Unterdessen trägt Patrick Philadelphia seine Begrüßung vor. Natürlich wird er von Gensi gestört, der bekanntermaßen den „dummen August“ als vermisst meldet. Nachdem David Larible als Ersatz verpflichtet und vom Ensemble entsprechend ausstaffiert wurde, mündet  das Opening ins „Charivari der jungen Generation“. Das Roncalli Ballett umrahmt die Aktivitäten von Vivi und Lilli Paul, Dede Larible, Geraldine Philadelphia und Kevin Richter, die jonglierend und in der Luft ihr Können beweisen. Clio Togni, die im Programmverlauf in einigen Zwischenspielen präsent, ergänzt das Charivari mit ihren Handständen.

Sehr umfangreich fallen die hippologischen Vorführungen aus. Florian Richter ist derzeit alleine für deren Präsentation zuständig, da seine Frau Edith  nach einem Sturz bei der „Ungarischen Post“ verletzungsbedingt ausfällt.  Assistierend steht ihm Katja Kossmayer zur Seite. Eine beinahe in Vergessenheit geratene Form der Hohen Schule, die Tandem-Schule eröffnet den Reigen. Auf, bzw. mit zwei Friesen demonstriert Florian Richter sein Können..
Sein zehnjähriger Sohn Kevin lässt ein Pony zwei verspielte Tricks ausführen, dann kommt Florian Richter als Stehendreiter auf zwei Friesen zurück in den roten Ring. Im spanischen Tritt paradiert das Gespann entlang der Piste. Die folgende Freiheit findet derzeit mit sieben Pferden - drei weiße Araber und vier Friesen - statt. Flott und sicher laufen sie ihre Figuren und mit den obligatorischen Da Capo Steigern findet die Pferdeshow ihr vorläufiges Ende.
Kurz und schmerzlos, so präsentiert sich Florian Richter mit der „Ungarischen Post“ als Pausennummer. Einmal umrundet er die Manege auf den beiden Friesen stehend, schon folgen die Araber als Vorauspferde. Rasch werden die Leinen aufgenommen, was fast immer gelingt, und kaum hält er die fünfte Leine in den Händen, ist die Nummer auch schon beendet.

Ein „königliche“ Reprise sieht Gensi mit David Larible und weitere Mitspieler in der goldenen Kutsche, die andernorts in der Einleitung zur ungarische Post der Richters zu sehen war.
Die beiden weiteren Szenen von David Larible im ersten Teil sind schon länger fester Bestandteil der Roncalli-Programme. Mit einem Jungen aus dem Publikum inszeniert er ein Duell im Wasserspuken. Sein bestens bekanntes Teller-Entree ist immer wieder ein Garant für gute clowneske Unterhaltung.
An den Strapaten zeigt Shirley Larible eine ansprechende Arbeit. Ihr Vater David und Gensi begleiten den Auftritt auf der Concertina und mit Live-Gesang. So erhält diese Darbietung eine elegant-verträumte Note. Abschluss der Evolutionen ist ein Spagat in den Strapatenschlaufen, in den die junge Artistin freihändig gleitet.

Highlight des ersten Programmteils, nach eher verhaltenem Beginn der Show, ist die Handstandequilibristik der Azzario Sisters. Mit wunderbarer Selbstverständlichkeit zelebrieren die Katie und Quincy ihre Kür. Anspruchsvolle, kräftezehrende Tricks folgen einander im raschen Wechsel und ziehen die Zuschauer in ihren Bann. Eine stimmige Abfolge mit flüssigen Übergängen kennzeichnet die Trickfolge mit einem stetig sich steigernden Schwierigkeitsgrad.

Nachdem das Ballett den zweiten Teil in Kostümen und zu Musik, die Assoziationen an Raubtierdressuren wecken, eröffnet hat, ist eine außergewöhnliche Darbietung zu erleben. Der Brasilianer Fabricio Nogueira präsentiert eine Luftnummer auf dem Fahrrad, die es in dieser Form lange nicht zu sehen gab. Eine trichterförmige Konstruktion von etwa eineinhalb Meter Höhe, ca. vier Metern Durchmesser, aus Holzleisten, dem unteren Teil einer Motorradkugel ähnlich wurde installiert. Auf dieser „Steilwand“ radelt der Artist im Kreis, während die Konstruktion schwankend in die Höhe gezogen wird. Die Fahrt auf der unten offenen Bahn verlangt einige Geschicklichkeit und Kraft, ist wohl auch nicht ganz gefahrlos.
Der Ball ist sein Freund - so könnte man ohne Weiteres die Jonglagekünste von Jemile Martinez beschreiben. Trickreich und sehr sicher präsentiert der junge Mann seine variantenreichen Routinen, in denen ausschließlich Fußbälle als Jonglierutensilien zum Einsatz kommen. Den Höhepunkt seiner Darbietung kennt man aus dem Fußball-Tennis - einen hochgekickten Ball - eine doppelte Pirouette und alles landet wieder sicher auf dem selben Fuß.
Borys - ein neues Gesicht in der Roncalli-Manege. Der Kiewer Pantomine tritt als Automatenmensch in Erscheinung und lässt in seine Kür Handstand- und Klischniggelemente einfließen. Sein poetisch-träumerischer Auftritt zu klassicher Musik von CD  nimmt leider ein wenig den Schwung aus dem Programm. Von der Regie wenig glücklich platziert beeinträchtigt er die Publikumswirksamkeit des nur wenig später auftretenden Andrey Romanovsky. Dieser gehört mit seiner bekannten Klischnigg-Darbietung als Schornsteinfeger genauso wieder zum Roncalli-Ensemble, wie das Duo Bobrov mit seiner beeindruckenden Kür am Vertikalseil.

Natürlich sind auch in der zweiten Programmhälfte wieder Zwischenspiele, Reprise und ein Entree von David Larible zu sehen. So ist er u. A. zusammen mit Gensi als Amor in Aktion. Das Defiléé der Damen leitet zur „Opera“ über. Als Finalnummer platziert, zeigt sich das Entree unverändert publikumswirksam. Natürlich entscheidet nicht nur die Tagesform des Clowns, sondern auch die Spielfreude der Mitspieler aus dem Zuschauerraum über das Gelingen.
Auch der zweite Teil wird von einem Handstandartisten dominiert. Encho Keryazov versteht es wie kein anderer das Publikum gefangen zu nehmen und zu begeistern. Mit herausragender Leistung und perfekter Präsentation sorgt der charismatische Artist für einen Jubelsturm im Gradin.

Das Finale ist der Klassiker schlechthin im Programm. In all den Jahren im Ablauf unverändert, wurde es stilbildend für Generationen von Circusregisseuren. Ausgiebig feiert man sich selbst und gemeinsam mit den Zuschauern.
Doch damit nicht genug, wird im anschließenden Epilog aus dem Clown David wieder der Hausmeister. Gensi, in einen wunderbaren Umhang gehüllt, begleitet diese Szene und bedeutet hernach dem „Hausmeister“, dass er nun dazu gehört zur Artistenschar.
Auch im aktuellen Jubiläumsprogramm bleibt Roncalli sich und seiner Linie treu, lädt mit seinem Programm ein zum staunen und träumen, unterhält mit erstklassiger Circuskunst.