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Text: Friedrich Klawiter, Fotos: Archiv Friedrich Klawiter
WELTWEIHNACHTSCIRCUS
Stuttgart, 20. Dezember 2009

http://www.weltweihnachtscircus.de
Zum siebzehnten Mal wurde auf dem Cannstatter Wasen das Zelt des Weltweihnachtscircus errichtet. Wuchtig wie eh und je dominiert der Sechsmaster die Umgebung. Ein großes Vorzelt, ein Zweimaster als Garderobenzelt, die relativ schlichte große rot/gelbe Fassade mit integriertem Kassencontainer, wenige Materialwagen, einige Artistenwohnwagen, Pferdestall und Raubtieranlage – befinden sich rings ums Chapiteau arrangiert, wirken in der Eiseskälte des Wintermorgens wie erstarrt.

Wieder einmal ist Stuttgart im Dezember zum Mekka der Circusfreunde geworden, strömen die Massen ins weiße Chapiteau, müssen Zusatzvorstellungen angesetzt werden um dem Andrang gerecht zu werden. Produzent Henk van der Meyden feiert nach eigenen Angaben, genauso wie Kris Kremo sein vierzigjähriges Bühnenjubiläum, dieses Jahr in Stuttgart sein vierzigstes Jahr als Theateragent. Deshalb wolle er, als Geschenk an das Publikum, die aktuelle Produktion zum größten Weihnachtszirkus der Welt machen. Es sei sein und seiner Frau Monica Strotmann Bestreben, dem Stuttgarter Publikum das allerbeste zu bieten, was die Welt im Circusbereich zu bieten habe und „den Weltweihnachtscircus Stuttgart jedes Jahr noch besser und noch großartiger zu machen, und das wird in diesem Jahr auch geschehen.“

Bei solch enormen Ansprüchen stellt sich natürlich die Frage, in wie weit sie erfüllt werden konnten. Nun, die Liste der engagierten Nummern ist lang und die Namen sind erlesen. Aber zu einem „weltbesten Circusprogramm“ gehört schon noch mehr, als eine Fülle hochkarätiger Darbietungen zu verpflichten.
Wir hatten diesen Circus zwei Jahre nicht besucht und so fiel auf, dass man weniger große Truppen verpflichtet hatte und mehr Einzelartisten im weiten Rund auftraten. Die meisten Darbietungen waren in der Vergangenheit schon in diesem Rahmen zu sehen gewesen und so bekam die Veranstaltung ein wenig den Charakter eines „best off“.
Diesen Eindruck versuchte Manegensprecher Peter Goesmann nach Kräften zu unterdrücken. Pries er doch so gut wie jeden Act als „erstmalig in Stuttgart – einmalig in Deutschland – erstmalig in Deutschland, bzw. Europa“ an. Diese doch sehr „komödiantische“ Art passt nicht zum übrigen Stil, es ist eher das verlesen einer Laudatio über den jeweiligen Artisten, der Ansagen und auch nicht zum Stil dieser Veranstaltung.

So war denn die Truppe vom Nationalcircus Pyongyang mit ihren bis zu zwanzig Meter weiten Flügen von der russischen Schaukel in die Arme von drei Fängern schon mehrfach in Europa, zuletzt im letzten Jahr in Frankfurt zu sehen.
Auch Martin Lacey ist mit seinen großen Löwengruppe kein Unbekannter in Stuttgart. Die vier Jungtiere arbeiten nun in der Gruppe mit und für seinen prachtvollen Mähnenträger Kassanga wurde das Postament in eine Art Thronstuhl umgearbeitet.

Die Chinesen der Wolf Hunan Troupe eröffnen rasant die Spielfolge. Ihnen folgen Yelena Larkina, Sergey Akimov und Konstantin Mouraviev – allesamt bestens bekannte Spitzendarbietungen in ihren Genres, die andernorts gefeiert hier nur freundlich zur Kenntnis genommen wurden. Die exzellente Trapezdarbietung der Sorellas war leider verletzungsbedingt ausgeschieden, nachdem Christophe Gobet beim aufhängen des Requisits abgestürzt war. Kris Kremo, Willer Nicolodi und Anatoliy Zalevsky sind seit langen Jahren in den Manegen der Welt zu Hause und faszinieren, jeder auf seine ganze eigene Art das Publikum stets aufs Neue.

Wieder einmal sind Florian und Edith Richter mit ihrer großen Truppe in Stuttgart zu Gast. Zunächst präsentieren sie eine 'Ungarische Post', die in allererster Linie durch ihre äußerst opulente Ausstattung und Präsentation auffällt. In einer geschlossenen goldenen Kutsche gelangt die Artistin in die Manege, die Truppenmitglieder bilden in wunderbaren hellblauen goldbesetzten Husarenuniformen den Rahmen. Ein Hauch von „Sissi“ weht durch die Manege. Dann nimmt Edith Richter ihren Platz auf dem Rücken zweier Friesen ein und die Helfer lassen nach und nach acht Schimmel zwischen ihren beiden Pferden hindurch laufen. In der besuchten Vorstellung gibt es die eine oder andere Unsicherheit und drei Mal gelingt es ihr nicht, die Leine vom durchlaufenden Pferd aufzunehmen.
Als Finalnummer wurde die große Jockeyreiterei der Florian Richter Truppe platziert. Auch hier wird mit großer Aufmachung gewuchert, spielen drei Musiker auf der Piste auf. Vielfältig ist die Trickfolge, doch viele der Salti von Pferd zu Pferd wirken unsicher in der Ausführung, werden nur mit Schwierigkeiten auf dem Pferd gelandet.  Beide Nummern der Richters sind pompös inszeniert, können allerdings die so geweckten Erwartungen mit den gezeigten Leistungen nicht vollkommen erfüllen.

Ebenfalls mit zwei Auftritten sind die Navas vertreten. Zunächst arbeiten sie zu viert auf zwei übereinander gespannten Hochseilen. Schnell, spannungsgeladen und actionreich wird eine umfassende Palette heutiger Tricks ausgeführt. Zweifaches Zwei-Mann-Hoch, vierfacher freier Stand auf Stühlen, Bocksprünge, Scheinstürze, Seil springen, Pyramide mit Stuhl – sind die wesentlichen Elemente, bevor es einen vierfachen Abgang über die Schrägseile zu bestaunen gibt.
Im zweiten Teil arbeiten Rudi und Ray als Velez-Brothers mit südamerikanischem Temperament in bekannter Weise auf dem Todesrad.

In mehreren Auftritten ist Housch Ma Housch mit seinen skurrilen Einfällen präsent. Originell  und aus der Masse hervorstechend in seiner Maske erreicht er auch in diesem weiten Rund sein Publikum. Mit einfachen Mitteln erreicht er die Lacher und ein mitgehen der Menge.
Hervorstechend, faszinierend in Leistung und Ausstrahlung – Elaine Kramer. Die junge Kontorsionisstin bietet eine überaus elegante Kür und versteht es auch schwierige Passagen ihrer Arbeit anmutig und leicht wirkend zu zelebrieren. Ihr Auftritt ist einer der wenigen wirklich „einmaligen“ Momente in dieser Show.
Die in unseren Augen schönste und faszinierendste Nummer wurde von den Italiener Alessio Fochesato gezeigt. Rechts und links in der Manege werden je vier verchromte elegant geformte Stelen platziert und darauf landen je vier Rot – und Gelbbrust-Aras. Diese dekorativen Vögel beherrschen eine große Anzahl verschiedener Tricks. Unterstützung erfahren sie hierbei von einem Schwarm goldfarbener Kleinsittiche. Einmalig die Flugdemonstrationen über dem Zuschauerraum in dem riesigen Chapiteau.

Im Finale werden die Artisten selbstverständlich überschwänglich von den Rängen gefeiert. Sicher sind viele Zuschauer überzeugt, den „weltbesten Circus“ gesehen zu haben – schließlich wurde es ihnen oft genug suggeriert. Vielleicht möchten sie es auch angesichts der verlangten Eintritts- und Restaurationspreise gerne glauben.