Text und Fotos Friedrich Klawiter
Interview mit Thierry Fééry
Lille, 27. Oktober 2012

Impressario Thierry Fééry veranstaltet seit vielen Jahren in der nordfranzösischen Metropole Lille, einem Ballungsraum mit mehr als 1,1 Millionen Menschen, eines der bedeutendsten Circus-Events in Europa, „La Grande Fête Lilloise du Cirque“. Nun ergab sich zwischen den beiden Vorstellungen des Tages die Gelegenheit zu einem Gespräch.

Circus-online: Monsieur Fééry, Sie kommen nicht aus dem Circusmilieu, sind bürgerlicher Herkunft. Wie kam es, dass Sie heute zu den erfolgreichsten Circusshow-Produzenten gehören?
Thierry Fééry: Circus hat mich schon seit Kindertagen fasziniert. Nach meiner Ausbildung habe ich für Varietés gearbeitet und war Agent einer in Frankreich bekannten Sängerin. Im Circus, bei den Artisten faszinierte mich immer schon die Leidenschaft und Perfektion, mit der sie ihre Arbeit machen. Das habe ich so nirgends im Showgeschäft erlebt. Die Sänger, ja sie machen ihre Arbeit mit Freude, aber diese Hingabe und Perfektion, die gibt es  nur im Circus.

Circus-online: Sie haben die "Grande Fête Lilloise du Cirque" zu einem der größtenCircusevents Europas gemacht. Worauf führen Sie diesen riesigen Erfolg zurück?
Thierry Fééry: Die Veranstaltung findet in diesem Jahr zum sechsundzwanzigsten Mal statt. Impressario war in den ersten zehn Jahren Jean Pierre Panier, er zog sich dann aus Altersgründen zurück und bot mir, bis dahin machte ich die Moderation, die Nachfolge an. Bis zu diesem Zeitpunkt fand die Grande Fête Lilloise in einem Theater statt. Wir sind dann ins Chapiteau gewechselt, weil Circus traditionell in einem Zelt beheimatet ist und dort eine ganz andere, eigene, typische Atmosphäre herrscht.
Zunächst arbeitete ich mit Fliegenpilz, dann mit Arena zusammen und nun habe ich mein eigenes modernes Chapiteau.
Mein Wunsch war es immer ein großes Programm zu machen. Ich reise viel und sehe viele Vorstellungen an. Jedes Jahr besuche ich in Moskau, Peking, Monte Carlo Circusshows, um geeignete Darbietungen für mein Programm zu finden. Damals als ich anfing, da sagten die Leute „oh, Monte Carlo und Stuttgart – das ist phantastisch“; heute nennt man Lille im gleichen Atemzug. Das macht mich ein bisschen stolz, dass wir auch in Frankreich eine Stadt haben, die für erstklassigen Circus steht.

Circus-online: Die Programme der „Grande Fête Lilloise du Cirque“ sind hochkarätig besetzt und bringen im Gegensatz zu vielen anderen Produktionen viele große Truppen in die Manege. Wie stellen Sie ihre Sows zusammen?
Thierry Fééry: Die Gestaltung eines Programms bedeutet Arbeit für ein Jahr. Die Nummern müssen zu einander passen, ihre Abfolge ist nicht willkürlich sondern gut durchdacht. Tradition und Moderne, langsame und schnelle Nummern, Tiere und Akrobaten – alles muss mit einander harmonieren und einen Spannung aufbauenden Ablauf haben. Letzten Winter sah ich in einer sehr sehr großen Produktion vier mal das Gleiche – vier mal Handstandnummern in einem Programm. Das ist nicht gut, auch wenn jede Darbietung hervorragend war, aber man kann dem Publikum nicht vier gleiche Nummern präsentieren, dass wird langweilig.
Wir haben heute das Glück aus dem Vollen schöpfen zu können. Als ich anfing und erstklassige Artisten, die Chinesen und Koreaner wegen eines Engagements anfragte, musste ich lange verhandeln und bekam viele Absagen. Niemand wollte nach Lille, man kannte es nicht. Heute sprechen uns Alle an, auch die Allerbesten fragen mich, ob sie einmal bei uns auftreten dürfen.

Circus-online: Wie sehen Sie die Zukunft des traditionellen Circus?
Thierry Fééry: Gut gemachter Circus, der die Familie, alle Generationen, anspricht wird immer eine Zukunft haben und seine Besucher finden. Wir machen hier in Lille seit fünfundzwanzig Jahren traditionellen Circus und zeigen dabei in jedem Jahr etwas Neues und entwickeln uns stetig weiter. Z. B. wurde vor 150 Jahren in Frankreich das Fliegende Trapez erfunden. Betrachten wir nun heute in unserer Show die Koreaner dann ist das nicht mehr eine Nummer am Trapez sondern ein fliegendes Ballett; außer dem Requisit hat es mit damals nichts mehr gemeinsam. Der traditionelle Circus ist über die Zeit gewachsen und entwickelt sich Jahr für Jahr weiter, bietet dabei immer wieder Neuerungen. Nouveau Cirque und Cirque du Soleil sind eine neue, andere  Art von Show, aber Niemand kann abschätzen, ob diese Art so lange Bestand haben wird wie der traditionelle Circus.

Circus-online: Wird es nach Ihrer Meinung in der Zukunft – sagen wir in 10
Jahren – noch Circus mit so genannten Wildtieren geben?
Thierry Fééry: Davon bin ich überzeugt. Wir wollen immer minimum fünf Nummern mit Tieren im Programm haben, die Besucher wollen Tiere sehen. Schauen Sie sich bei uns um. Die Tierlehrer, die hier arbeiten tun alles für ihre Tiere. Haltung, Pflege, Gehege, Futter, Zustand und Umgang mit den Tieren – alles ist vorbildlich. Den Tieren geht es sehr gut; die Arbeit mit ihnen geschieht auf einer Vertrauensbasis. Wir bekommen immer wieder große Tiernummern, z. B. mit Bären, aus Russland angeboten. Diese  verpflichten wir nicht, weil der Umgang mit den Tieren dort ein anderer ist. Die Tiere müssen mit Lust agieren. Morgen (Sonntag, den 28. Okt. - Anmerk. d. Red.) werden Tierrechtler hier bei uns gegen Tiere im Circus demonstrieren. Wir wollen mit ihnen sprechen und haben sie eingeladen sich bei uns um zu sehen, zu schauen wie es den Tieren geht. Das wollen diese Leute nicht; sie lehnen Gespräche ab.
Tiere im Circus haben eine Zukunft, wenn immer mehr Menschen erkennen, dass die Dresseure nicht mehr wie früher vor hundert Jahren arbeiten, das Freundschaft und Vertrauen Stock und Peitsche ersetzt haben. René Casselly, z. B. sagt mir immer „wenn wir in eine neue fremde Umgebung kommen, gehe ich voraus und die Elefanten folgen mir, weil sie Vertrauen haben“. Im Circus haben die Tiere mehr Freude als im Zoo, weil sie mehr Beschäftigung, Bewegung und Abwechslung und mehr Zuwendung erfahren.

Circus-online: Glauben Sie, dass der klassische Circus in seiner typischen Form als Reisecircus eine Chance hat auch in der Zukunft wirtschaftlich erfolgreich zu sein, oder sehen Sie die Zukunft des Circus eher in anderer Form?
Thierry Fééry: Es ist sehr schade und ich bedauere es sehr, aber für den typischen reisenden Circus sehr ich nur äußerst geringe Chancen. Ok, einige wenige große Unternehmen, bei Ihnen Krone oder Roncalli oder bei uns Arlette Gruss, können sich vielleicht noch einen Tourneebetrieb leisten. Die Bedingungen werden immer schwieriger und der Kostendruck wächst. Jeden Euro, den man für Diesel ausgeben muss fehlt beim Programm. Wir haben keine Reisekosten, wir haben keine Lkw und keine Wagen. All unser Geld investieren wir ins Programm. So kann man die Qualität für den Besucher erhöhen. Schauen Sie, Veranstaltungen wie Stuttgart, Heilbronn, Karlsruhe bei Ihnen oder Lille hier bei uns, machen Werbung für den Circus und investieren ins Programm. So kann traditioneller Circus funktionieren und hat in dieser Form eine Zukunft.

Circus-online: In ihren Programmen setzt die „Fête Lilloise“ auf den klassischen Dreiklang  Tiere, Clowns und Akrobaten. Werden Sie dieser Linie weiterhin treu bleiben, oder sind andere Formen der Programmgestaltung eine Option für Sie?
Thierry Fééry: Ein intelligenter Mensch sollte niemals „nie“ sagen. Wir sind dem traditionellen Circus verbunden und genau diesen erwartet unser Publikum. Natürlich entwickeln wir dieShow weiter und passendiese den Entwicklungen und Strömungen der Zeit und den Wünschen der Besucher an. Wenn ich als Beispiel unseren jungen Jongleur Ty Tojo nehme, er arbeitet zu moderner Musik und wirkt spielerisch in seinem Auftritt. Da hat sich schon sehr viel verändert in den letzten Jahren im Auftritt auch und gerade bei den ganz klassischen Genres.
Wir haben hier am 13. Oktober begonnen, zusammen mit einigen weiteren Stationen und den Weihnachtsgalas hier in Lille, haben wir für diese Saison, die am 19. Dezember endet, nach dem heutigen Stand bereits 160.000 Karten vorab verkauft. Dieses großartige Ergebnis zeigt, dass wir mit unserem Konzept richtig liegen.
In den ersten Jahren haben mir die Leute auf der Straße gesagt, ja wir kommen in ihren Circus damit unsere Kinder ein wenig Spaß haben. Heute sagen sie mir, wir kommen gerne zu unserem eigenen Vergnügen.
Wir verkaufen nur noch selten Eintrittskarten für ein oder zwei Personen. Meistens sind es Kontingente zwischen zehn und fünzehn Karten für komplette Familien – Eltern mit Kindern, Opa, Oma und Tanten und Onkel oder Nachbarn und Freunde. Wir können sagen, inzwischen ist der Besuch hier im Circus in Lille für die Familien eine Tradition geworden.

Circus-online: Die „Fête Lilloise“ hat sich über die Jahre entwickelt, ist qualitativ besser, größer und schöner geworden und als letztes sichtbares Zeichen wurde im vergangenen Jahr das hochmoderne Chapiteau angeschafft. Auf welche Entwicklungen und Veränderungen können wir uns künftig freuen?
Thierry Fééry: Wir haben die Veranstaltung Jahr für Jahr verbessert und schöner gemacht und letztes Jahr unser eigenes Chapiteau bauen lassen, nachdem wir zuvor gemietetes Material nutzten. Größer wollen wir nicht werden. In unserem Chapiteau haben rund 2100 Zuschauer Platz, dass ist genug. Man hat mir letztes Jahr gesagt, warum baust du nicht ein Zelt für 3000 oder mehr Personen – das ist kein Problem, es kostet nicht viel mehr – und spielst dann einige Tage weniger, dann verdienst du mehr Geld.
Nein, die Leute kommen nicht wegen mir oder weil das Zelt groß ist, sondern weil wir ein gutes Ambiente und eine gute Show bieten. Das Licht ist sehr gut gemacht und wir haben ein erstklassiges großes Orchester und die Show hat Atmosphäre. Davon geht viel verloren, wenn es zu groß wird. Dann wird es unpersönlich und wird Massenabfertigung und das will ich nicht. Ich will die Tradition des guten Circus. Viel Geld ist nicht alles was zählt, man braucht nicht immer mehr zum Leben. Wozu? Mehr als sich zwei mal satt essen am Tag kann man nicht und ein Haus und zwei schöne Autos habe ich auch. Mehr braucht es nicht, wozu also immer mehr Geld verdienen?
Freude am Leben und mit Freude seine Arbeit gut machen, dass ist wichtig und ist das was zählt.
Heute sehen wir sehr viel zweitklassigen Circus. Das ist schade, denn es schadet Allen. Nur erstklassige Shows und Ambiente sind Werbung für die ganze Branche und für die Artisten und ihren Beruf.
Circus-online: Monsieur Fééry wir bedanken uns recht herzlich, dass Sie sich die Zeit genommen haben für dieses ausführliche und sehr interessante Gespräch.
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